„Tatort“-Vorschau Tödliche Träume
München · Aus seiner genialen Grundidee macht „Dreams“ mit den Münchener Kommissaren Batic und Leitmayr lange zu wenig – doch allein das Finale des Films macht ihn sehenswert. Die „Tatort“-Vorschau.
Franz Leitmayr ist bedient. „Bloß weil man das Geständnis zurückzieht, ist die Sache doch nicht aus der Welt“, grollt er. „Das ist doch kein Amazon-Packerl!“ Doch die vielversprechende Geigerin Marina Eeden (Jara Bihler) bleibt hart. Ihre Botschaft: Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen! Schon gar keinen Mord an Lucy Castagneda, die mit Marina befreundet war, auch und vor allem aber ihre Konkurrentin im Kampf um einen der raren Plätze als Orchester-Musikerin.
Dabei war es Marina mit dem Geständnis eben jenes Mordes nur Tage zuvor gelungen, das Duo Leitmayr und Batic nach 30 gemeinsamen Dienstjahren noch zu verblüffen: „Ich hab zugestochen, mit ’ner Scherbe“, hatte sie gestammelt. „Und da war Blut, richtig viel Blut.“ Sie befürchte, sie habe ihre Freundin und Konkurrentin Lucy getötet, und zwar auf dem Dach des Münchner Hochkultur-Zentrums Gasteig. Vielleicht zumindest. „Vielleicht war das alles auch nur ein Traum!“ Ja, da staunen die alten Kripo-Hasen, und in uns einfachen Zuschauern wächst die Vorfreude.
Marina hat luzide Träume, besser bekannt als Klarträume. Gemeint sind Träume, in denen sich Träumende des Fakts bewusst sind, dass sie träumen – sodass sie diese Träumen bewusst beeinflussen können. Schon Aristoteles soll davon berichtet haben, heute haben Seiten wie Klartraumforum.de immerhin 7000 Mitglieder, und Youtube ist voll mit Videos, die das Klarträumen erklären, dazu anleiten, davon berichten oder davor warnen.
Die „Eingeweihten“ bezeichnen sich mit dem hübschen Wort „Oneironauten“ - etwa „Seefahrer der Träume“ oder „Traumreisende“. Und es ist ja auch enorm reizvoll – die Möglichkeit, das Geschehen in den Zehntausenden Stunden des Träumens intensiv erleben und sogar steuern zu können. Andererseits kann die Fähigkeit brandgefährlich werden, wenn die Grenzen zwischen Traum, Alptraum und Wirklichkeit zunehmend verschwimmen.
Das real existierende Phänomen Klarträume wird gern von Filmemachern aufgegriffen, etwa in „Vanilla Sky“ (2001) mit Tom Cruise, Penélope Cruz und Cameron Diaz sowie im mehrfach oscarprämierten „Inception“ (2010) mit Leonardo DiCaprio. Nun also ist das Klarträumen Thema der 87. Münchner „Tatort“-Folge „Dreams“, mit ungleich kleinerem Budget. Vielleicht liegt es daran, dass insgesamt enttäuschend wenig mit Traum und Realität gespielt wird. Stattdessen geht es parallel noch um Druck und Konkurrenzkampf in den höchsten Sphären von klassischer Musik und Leistungssport, um Drill und Drogen, Untreue, verschüttete Traumata und Familiengeheimnisse.
Den Machern sind so gleich zwei Kunststücke gelungen: Das weitestgehend unverbrauchte, mithin dankbare, sagenhaft spannende Setting bleibt meist bloße Kulisse in diesem Film, der bei herzlich unnötiger thematischer Überfrachtung plus einer Handvoll Grusel-Szenen zugleich über weite Strecken zäh und leer ist. Aber wer dranbleibt, wird mit einem prächtigen, packenden Crescendo belohnt, natürlich auch musikalisch: 130 Seiten Partitur von Komponist David Reichelt für die extrem präsente Musik haben sich am Ende gelohnt. Und 90 Minuten Lebenszeit auch. Wenn auch vor allem wegen der Idee und des furiosen Finales.
„Tatort: Dreams“, Das Erste, So., 20.15 Uhr