"Tatort"-Vorschau: "Blinder Fleck" Ella (6) im Fadenkreuz
Düsseldorf · Im Züricher „Tatort“ müssen die ungleichen Ermittlerinnen Grandjean und Ott ein kleines Mädchen schützen. Das Tempo steigt erst spät, der Themenmix ist ambitioniert – Fans düsterer „True Crime“ sollten aber einschalten.
Zu Beginn dieses Films gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Ein Dreifachmord erschüttert ein Waldgebiet im Zürcher Oberland; drei Kugeln, drei Kopfschüsse – offensichtlich ein Profi. Die gute: Immerhin zwei Insassen eines beschossenen Autos überleben, nämlich sowohl die sechsjährige Ella als auch ihr Kanarienvogel.
Selbstverständlich nehmen die Zürcher Ermittlerinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schulerje) eine der zumindest körperlich unversehrten Überlebenden in Obhut. „Eigentlich müsste der Vogel in die Asservatenkammer“, bemerkt Grandjean. Er sei potenziell wichtig für die Ermittlungen, und in jedem Fall ja ein Fundstück vom Tatort. „Spinnst du?“, antwortet Ott bekannt beherzt. „Das ist ein Lebewesen. Mit Gefühlen und so.“ So landet das Federvieh in Otts WG.
Derweil erweist sich die von ihrem erwachsenen Sohn entfremdete Grandjean als erstaunlich gute Ersatzmutter für Ella, die an einem eigentlich ganz normalen Morgen Vollwaise geworden ist. Jemand hat ihre Eltern Luc und Julie Perrier hingerichtet, die Gründer eines Start-ups, und deren Banker dazu. Der Verdacht fällt auf Joel Müller, verkaufswilliger Investor des Start-ups und gegelter Unsympath. „Ich habe ein Alibi!“, trompetet er Ott entgegen, die zuckersüß lächelnd entgegnet: „Das haben viele. Und dann waren sie’s am Schluss trotzdem. Schauen Sie keine Krimis?“

Das sind alle „Tatort“-Teams in der ARD
Womit wir bei der Eine-Million-Franken-Frage wären: Sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, Ihren wertvollen Sonntagabend mit diesem Krimi zubringen?
Die Antwort lautet, wie so häufig: Kommt drauf an. Das Thema oder besser gesagt die Themen jedenfalls sind schwer interessant, wenn auch wild zusammengerührt: Einerseits geht es um fliegende Kameradrohnen, deren möglichen Einsatz auch durch die Polizei, Gesichtserkennung, potenzielle Gegenmittel und so weiter. Hinzu kommt, wie schon früh angedeutet wird, einmal mehr eine Altlast aus dem blutigen Bosnienkrieg um die Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina 1992 und 1995.
Die vielen Westeuropäern inklusive dem Kritiker so beschämend ferne, bestürzend blutige Tragödie ist Grandjean aus ihrer früheren Arbeit beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vertraut.
Fahrt nimmt der Film trotz alledem seltsam lange nicht auf, so richtig bangt man nicht um die arme Ella Perrier (Maura Landert). Im letzten Drittel allerdings wird es dann doch dramatisch, dicht und düster, geht es an die großen Fragen, wankt manche vermeintliche Gewissheit über Identität und Motivation der Protagonisten.
Auch bei den Details haben die Filmemacher um die Autoren Karin Heberlein und Claudia Pütz aufgepasst: Die nach quatschigem Plot-Hilfsmittel klingende „serbische Fichte“ beispielsweise, die Grandjean auf einem Foto erkennt und die sie entscheidend weiter bringt, existiert durchaus und wächst auch tatsächlich nur in einer kleinen Ecke des Balkans. So viel zur Botanik.
Der Film von Tobias Ineichen mit gutem Cast ist das absolute Gegenteil eines Schmunzelkrimis. Jedem, dessen Magen „True Crime“ und sehr begründeten Weltschmerz vertragen kann, sei er ans Herz gelegt.
„Tatort: Blinder Fleck“, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr