„Tatort“-Nachlese Heile, braune Welt

Düsseldorf · Der Fall „Sonnenwende“ des Schwarzwälder „Tatort“-Teams deckt auf, wie unter dem Deckmantel der Heimatliebe rechtsextreme Gedanken gedeihen. Besonders zwei Schauspielerinnen machten diesen Krimi sehenswert.

Worum ging es? Sonnhild Böttger (Gro Swantje Kohlhof) lebt mit ihrer Familie abgeschieden auf einem Hof. Ihr Vater Volkmar ist Bauer und träumt davon, Familien wie seine auf den aufgegebenen Höfen anzusiedeln. Er bezeichnet sich als „Wehrbauer gegen die Umvolkung“ und sieht sich als „Schutzmacht für deutsches Blut und deutschen Boden“. Doch Sonnhild hat eine Affäre mit Tarek, für ihre Familie ist er bloß ein „Kanake“. Dann stirbt sie an einer anscheinend falsch behandelten Diabetes. Die Kommissare Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) ermitteln, entfernen sich aber während ihrer Arbeit auch voneinander. Tobler schaltet schnell und vermutet einen rechtsextremen Hintergrund, Berg traut seinem alten Freund Volkmar so etwas nicht zu.

Worum ging’s eigentlich? Der zweite Fall „Sonnenwende“ des Schwarzwald-Teams ist düster und diskutiert die Frage, wie weit die Heimatverbundenheit eigentlich gehen darf. Schnell wird deutlich, wie groß das braune Netzwerk dieser völkischen Wehrbauern ist, die von Sippen reden und sich in germanischer Tradition zu einem Thing treffen wollen. Sie haben im Dorf schon wichtige Schaltstellen besetzt und wollen ihre Leute in die Jugendarbeit bringen – jeder, der gegen sie ist, bekommt ihre Macht zu spüren. „Es ist eine spannungsgeladene Geschichte mit einem Konflikt, der aktuell ist und sinnbildlich für gesellschaftliche Veränderungen von heute: Völkisches und rassistisches Gedankengut kommt im Kleid von Heimatliebe und Traditionsbewusstsein daher“, sagt der österreichische Filmemacher Umut Dag. Außerdem geht es um Landflucht, den Druck auf die Landwirte, um V-Leute im rechten Milieu und natürlich um eine scheinbar unmögliche Liebe.

Wie war’s? „Sonnenwende“ war ein bildstarker Krimi mit Motiven wie aus einer anderen Welt. Auch die Ideen, Teile der Geschichten durch Videos auf Sonnhilds Handy zu erzählen, war gelungen. Spannend war weniger die klassische Krimi-Handlung, sondern die Wandlung des Kommissars, der erkennen muss, dass sein Freund gefährliche Ideen verfolgt. Vor allem aber bestach der Fall durch seine Schauspieler. Besonders Gro Swantje Kohlhof als Sonnhild und Janina Fautz als ihre Schwester Mechthild bleiben in Erinnerung. Das Schwarzwälder Duo Berg/Tobler ist angenehm unaufgeregt, doziert nicht über Weltpolitik und bleibt menschlich.

Härtester Spruch „Was muss man bei dir tun, um eine Chance zu kriegen? Im Schlauchboot übers Mittelmeer kommen?“, herrscht Friedemann Berg seine Kollegin an, als die andeutet, dass sein Jugendfreund rechtsextrem ist.

Welche Texte rezitiert Sonnhild? Die junge Frau hat eine Schwäche für klassische deutsche Literatur. Zu Beginn im Klassenzimmer rezitiert sie das Nibelungenlied, übertragen von Karl Simrock, am Ende in einem Video „Der Ritter und das Seefräulein“ des badischen Philologen und Politikers Karl Zell. Bei der Ernte singt ihre Familie das Volkslied „Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit“, das sich auch bei Youtube unterlegt mit Nazisymbolen und Fotos aus der NS-Zeit findet.

Was erntet Kommissar Berg? An den Bäumen auf seinem Hof wachsen Zibarte, eine Unterart der Pflaume, auf alemannisch Zibärtle genannt. Daraus wird ein gleichnamiger Obstschnaps gebrannt, was der Polizist in einer Szene auch macht.

Was erfährt man weiter über die Kommissare? Kommissar Friedemann Berg hat einen alten Hof im Schwarzwald geerbt und tut sich schwer damit, den Besitz seiner Familie aufzugeben. Er liebäugelt mit einem Leben auf dem Land. Franziska Berg, von ihrem Kollegen „Franz“ genannt, plant mit ihrem Freund Nachwuchs, doch ihr Partner zweifelt die Ernsthaftigkeit ihres Wunsches an. Ihr Job scheint ihr noch wichtiger zu sein. Die Dreharbeiten für den dritten Fall haben laut Südwestrundfunk bereits begonnen, zu sehen ist er voraussichtlich im Herbst.

Wie rechts ist Deutschland? Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz hat die rechte Szene auch 2016 weiter Zulauf bekommen. Es beziffert die Mitglieder rechtsextremer Parteien und Zirkel auf knapp 25.000. Wer einen Einblick in das Leben einer rechtsextremen Familie bekommen möchte, sollte Heidi Benneckensteins Buch „Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neonazi-Familie“ lesen. Sie wuchs unter Rechtsradikalen auf, feierte Hitlers Geburtstag und verbrachte die Sommer in Ferienlagern der „Heimattreuen Deutschen Jugend“. Mit 19 gelang ihr mit ihrem Mann der Ausstieg.

(mso)
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