Kritik zu "Tatort Hydra" Wie braun ist Dortmund wirklich?

Düsseldorf · Schon viele Autoren und Regisseure haben sich am Neonazi-Thema versucht, doch selten war es so aktuell und gelungen umgesetzt wie Sonntagabend beim "Tatort" aus Dortmund.

"Tatort: Hydra": Dortmunder-Team ermittelt in rechter Szene
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"Tatort: Hydra": Dortmunder-Team ermittelt in rechter Szene

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90 Minuten in 90 Zeichen
Anführer der Rechten in Dortmund wird getötet/Polizist als Spitzel und Mörder entlarvt.

Was der Titel bedeutet
Unter einer Hydra versteht man in der griechischen Mythologie ein vielköpfiges schlangenähnliches Ungeheuer. Wenn die Hydra einen Kopf verliert, wachsen ihr zwei neue nach. Der mittlere Kopf ist zudem unsterblich. Der Bezug zur Neonazi-Szene war überdeutlich und das Thema in Zeiten von Pegida und Hooligan-Aufmärschen höchst aktuell.

Bester Dialog
Der "Tatort" war ein Sprüchefeuerwerk von Kommissar Faber. Ein Beispiel: Rivale Franke fragte ganz zu Beginn: "Wieso übernehmt Ihr den Fall? Wir waren an Fischer dran!". Faber: "Vielleicht wollen unsere Chefs, dass so ein Fall auch mal gelöst wird."

Die Ermittlungsstrategie
Zusammen mit ihrem Kollegen Faber (Jörg Hartmann) spielte Nora Dalay (Aylin Tezel ) die klassische "Good Cop/ Bad Cop"-Strategie, wobei sie als Halbtürkin die Mitglieder der Rechten provozierte, während Faber als der Verständnisvolle die wichtigen Hinweise bekam. Prompt wurde sie nachts überfallen, ihr Körper mit einem Hakenkreuz verunstaltet.

Tolle Darsteller
Die Schauspieler überzeugten, was längst nicht immer der Fall war. Besonders Jörg Hartmann als Kommissar Faber legte eine angenehme Nachdenklichkeit an den Tag, von seinen früheren Eskapaden — er zertrümmerte mal mit einem Baseballschläger ein Auto — ist er abgerückt. Mittlerweile setzt er auf Zurückhaltung und Wortwitz, wobei seine Sprüche immer noch recht derb sein können. Auch scheint er ein gewisses Interesse an Kommissarin Bönisch (Anna Schudt) zu entwickeln.

Der Tatort-Chic
Die Ermittler trinken während ihrer Einsatzbesprechung Pils aus Flaschen.

Den sollte man sich merken
Der rechtsradikale Tobias, Bruder von Ermittler Kossik, wurde fabelhaft gespielt von Robert Stadlober. Mit "Crazy" wurde er dem Publikum im Jahr 2000 bekannt.


Tourismusfaktor
Dortmund als Sinnbild stillgelegter Industrieanlagen. Zum zentralen Motiv wurde das Hochofenwerk West Phönix. Dort passierte der Mord. Für die Öffentlichkeit ist der Ort derzeit nicht zugänglich.

Das Beziehungsgeflecht
Drehbuchautor Jürgen Werner, der bisher alle Dortmunder Fälle geschrieben hat, betont, wie wichtig ihm die privaten Hintergründe seiner Figuren sind, etwa die einsamen, irgendwie kaputten Existenzen von Bönisch und Faber oder die gescheiterte Beziehung von Kossik und Dalay.

Beste Szene
Kommissaron Bönisch (Anna Schudt) - bislang bekannt für ihr Stelldichein mit Callboys - trinkt abends alleine Wein am Tresen einer Hotelbar und macht dabei Männerbekanntschaften, plötzlich stößt Kollege Faber uneingeladen dazu, um dann gleich wieder zu verschwinden. Der potenzielle Fang für die Nacht hat da schon das Weite gesucht. Bönisch: "Geiler Abend."

Realitätsbezug
Laut WDR haben Insider von Polizei und Verfassungsschutz die Authentizität des Falls bestätigt: "Nach unseren Informationen entspricht der Hintergrund, vor dem unsere Geschichte gebaut ist, in jeder Hinsicht der aktuellen Situation", erklärt Regisseurin Nicole Weegmann. Dortmund gilt als Hochburg der rechten Szene. Hier ist die Anzahl der Straftaten von Rechtsextremisten im zurückliegenden Jahr um 30 Prozent gestiegen. 115 politisch rechts motivierte Straftaten wurden registriert, darunter zehn Körperverletzungen. Im ersten Halbjahr 2013 waren es noch 89 Straftaten gewesen (Quelle: Landesregierung NRW, Oktober 2014). "Nirgendwo in Nordrhein-Westfalen haben wir eine so verfestigte, eine so aggressive, eine so gut organisierte neonazistische Szene wie in Dortmund", erklärte der Innenminister Ralf Jäger am 3. Juli im NRW-Landtag. Mit zahlreichen Aktionen, Bildungsprojekten und Gegendemonstrationen gibt es in Dortmund auch viel Widerstand gegen rechts.

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