TV-Kritik zum "Tatort: Kaltstart" "Das glaubt uns doch kein Mensch"

Wilhelmshaven · Am Ende sagt Hauptkommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring): "Das glaubt uns doch kein Mensch." Und so ist es auch: Die Geschichte des "Tatort: Kaltstart" war nicht besonders glaubwürdig – aber unbedingt sehenswert.

"Tatort: Kaltstart" - Szenenbilder
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Szenenbilder aus dem "Tatort: Kaltstart"

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Am Ende sagt Hauptkommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring): "Das glaubt uns doch kein Mensch." Und so ist es auch: Die Geschichte des "Tatort: Kaltstart" war nicht besonders glaubwürdig — aber unbedingt sehenswert.

Falke und seine Kollegin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) sind gerade vom Landeskriminalamt zur mobilen Fahndungseinheit der Bundespolizei gewechselt, und schon stehen sie vor dem Desaster einer missglückten Observation: Ein Hafenmitarbeiter, der Schleusung von Flüchtlingen verdächtig, stirbt bei einer Gasexplosion, ebenso wie zwei Polizisten, die ihn gerade festnehmen wollten.

"Wir wollten ihn heute nur hochgehen lassen", sagt der Einsatzleiter. "Das ist euch gelungen", entgegnet Falke und wendet sich ab von dem brennenden Fischerhäuschen, das in die Luft gejagt wurde. Den meisten Fans gefiel diese Folge des "Tatort". Allerdings verfolgten "nur" 9,57 Millionen Zuschauer den Krimi in der ARD — erstmals blieb Möhring in seinem dritten Fall damit unter der Zehn-Millionen-Marke.

Der lakonische Grundton zieht sich durch den dritten Fall des Ermittlerteams Möhring/Schmidt-Schaller, der eine Premiere in der "Tatort"-Geschichte ist: Erstmals arbeiten die Kommissare bei der Bundespolizei. Für die Schauspieler und Autoren hat das Charme, denn damit werden die Figuren mobil: "Wir können jetzt überall sein und so spannende Themen wie Schleusung und Drogenhandel behandeln", erklärt Möhring. "Sogar über die deutsche Bundesgrenze hinaus können wir tätig werden oder bei internationalen Fußballspielen."

Beeindruckende Szenerie des Jade-Weser-Ports

Zunächst ermitteln sie aber in Wilhelmshaven, in der beeindruckenden Szenerie des Jade-Weser-Ports, Deutschlands einzigem Tiefwasserhafen und ein Milliardengrab. Er liefert eine beeindruckende Kulisse, wenn die Riesen-Container-Pötte am Kai anlegen oder die enormen freien Flächen mangels Auslastung zur Projektionsfläche für Wolkenbilder und Regentropfen werden. Auch an anderen Spielorten gab es inszenierte Bilder, die nachhalten: etwa der Besuch beim Tatverdächtigen Dreyer, den die Flaute im Jade-Weser-Port in die Insolvenz getrieben hat und der nun seine Tenniskarriere wieder aufnehmen will. Wie der Spediteur da in dieser riesigen Halle inmitten von Tennisbällen steht, ist ebenfalls eine starke Szene — und könnte auch als riesiges Foto von Andreas Gursky im Museum hängen.

Dieser "Tatort" wirkt dank seiner optischen Kraft, dem Zusammenspiel von Dunkelheit und Farb- und Lichtakzenten fast wie ein Kinofilm, und vielleicht ist Wotan Wilke Möhring mit seinen kantigen Zügen und blauen Augen auch ein wenig der deutsche Daniel Craig. Vor allen Dingen menschelt es sehr auf eine angenehme Weise: Ermittler Falke und seine Kollegen reden abends beim Feierabendbierchen über Kinderwunsch und Familie.

Suppe essen — Pusten inklusive

Der Kommissar, der bei seinem ersten Fall bei der Bundespolizei auch persönlich mit Startschwierigkeiten zu kämpfen hat, wirkt rührend, als er einen an den Augen verletzten Kollegen im Krankenhaus besucht und ihm hilft, seine Suppe zu essen — Pusten inklusive. Krimi-Fans, die Til Schweigers Geballer und Klaus J. Behrendts Raubeinigkeit mögen, wenden sich womöglich mit Grausen ab. Andere finden es mal wohltuend anders, dass nicht jeder TV-Kommissar zwangsläufig als zutiefst gestörter Soziopath durchs Leben rennt und sich um Harmonie im Team bemüht.

Das Erzähltempo stimmt, und trotz einiger inhaltlicher Schwäche entwickelt die Handlung einen Sog. Deshalb ist auch der Themenwust (Menschenschmuggel, Asylproblematik, Waffenhandel, strukturschwache Regionen) zu verzeihen, bei dem viel angesprochen, aber nichts wirklich auserzählt wird. Oder so manche Schwäche bei der Inszenierung, wenn etwa Wotan Wilke Möhring in manchen Sequenzen arg hölzern wirkt oder der Flüchtling aus dem Kongo, dessen Sohn und Reisegefährten Französisch sprechen, mit den Beamten in akzentfreiem Englisch redet.

Viele der Hintergünde bleiben jedoch einfach im Dunkeln: Was haben die Flüchtlinge mit den Warlords zu tun? Wer ist Hermann Jertz (ganz stark: André M. Hennicke), der für zwielichtige Hintermänner Menschen liquidiert und der Polizei immer einen Schritt voraus ist? Und was sind das für Waffenhändler, die eine bewaffnete Spionagedrohne in Deutschland einsetzen und nicht davor zurückscheuen, einen Menschen mittels Drohne zu liquidieren? Egal. Dieser "Tatort" zeigt, dass man nicht unbedingt etwas glaubwürdig finden muss, um Spaß daran zu haben.

(mso)
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