Schnellkritik zum "Tatort" Dealer inspirieren Hetzer inspirieren Mörder

Dortmund · So düster, so beklemmend, so wichtig: Die Dortmunder Folge Kollaps zeigte ohne Rücksicht das Ausmaß, in dem Integration scheitert, sowie die Folgen, Opfer – und die Profiteure.

Tatort aus Dortmund: Szenen aus "Kollaps"
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Szenen aus dem Dortmunder Fall "Kollaps"

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So düster, so beklemmend, so wichtig: Die Dortmunder Folge Kollaps zeigte ohne Rücksicht das Ausmaß, in dem Integration scheitert, sowie die Folgen, Opfer — und die Profiteure.

90 Minuten in 90 Zeichen

Ausländerfeindlichkeit führt zu Ausländerkriminalität führt zu Ausländerfeindlichkeit.

Der Schwierigkeitsgrad des Falls

Hoch. In den Worten des unvergleichlichen Kommissars Peter Faber (Jörg Hartmann): "Alle kriegen's mit, aber halten die Klappe. Die Bullen sind unterbesetzt, die Stadt ist überfordert, deswegen is'n sechsjähriges Mädchen jetzt tot. Bam! Wen woll'n Se jetzt dafür ans Kreuz nageln? Die Dealer? Die Junkies? Die Nachbarn? Die Bullen? Vatter Staat? Emma? Emmas Mama?" Letztere hatte durch ihre Hysterie beim Verjagen der senegalesischen Dealerin Niara tragischerweise erst dafür gesorgt, dass diese das Kokain nicht wieder an sich nehmen konnte — sodass das Mädchen daran starb, das die Droge für eine Süßigkeit hielt.

Dialog/Zitat/Gespräch für die Ewigkeit

Faber buddelt manisch im Sandkasten, wo die Kinderleiche gefunden wurde.
- Dalay: "Was tut er da?"
- Gerichtsmedizinerin: "Er fabert herum. Frag mich nicht."
- Kossik: "Solange er nicht reinpinkelt und Matschekuchen macht..."

Faber (will sich auf Türkisch für seinen Tee im Café von Gangsterboss von Tarim Abakay bedanken): "Teşekkür... Eschekür... Läschekür ... — ach, is' ja auch egal."

Der "Hä?"-Moment

Jeder, in dem der zum Drogendealen gezwungene senegalesische Flüchtling Jamal spricht. Statt gebrochenes Deutsch mit französischem Akzent spricht er mit rollendem "R" wie eine Kreuzung aus Sowjet-Bösewicht und Google-Suchanfrage: "Jamal Angst!", "Jamal Gefängnis?" So redet niemand nach einem Jahr in Deutschland. Ob mit oder ohne Integrationskurs. Das Wort "Integration" kennt er übrigens nicht. Dafür aber "Köder". Nee ja, is' klar.

Den kenn ich doch

Die markanten Züge, die Stimme — Roland Siebert, der Vater der toten Emma, kommt einem nicht zufällig bekannt vor. Er wird von Sönke Möhring (43) gespielt, dem jüngeren Bruder von Wotan Wilke Möhring. Sönke Möhring spricht im Radio-Tatort des WDR den SOKO-Hamm-Mann Georg Latotzke und war in einer kleinen Rolle auch in Quentin Tarantinos Weltkriegs-Racheepos "Inglorious Basterds" zu sehen.

Der richtige Zeitpunkt für den Klogang

Wann ist bei "Breaking Bad" oder "House of Cards" der richtige Zeitpunkt für den Klogang? Irgendwas verpasst man immer. So ist es auch in der starken 958. "Tatort"-Episode.

Sätze zum Mitreden

- Faber: "Was‘n los? Macht der Alte Ärger oder was?"
- Bönisch: "Er beantragt das Sorgerecht für die Kinder."
- Faber: "Dann treten Se ihm in'n Arsch."
- Bönisch: "...auf Wunsch meiner Kinder."
- Faber: "Dann treten Se denen auch in‘n Arsch!"

Experten-Diagnose

"Eine geschundene Seele bis zum Schluss", sagt die Gerichtsmedizinerin über Niara Gomes. Nur für den Fall, dass das niemandem im Publikum aufgefallen sein sollte. Bei einer jungen Frau, die aus ihrer Heimat fliehen musste und dabei neben den üblichen Strapazen wie Todesangst, Durst und Hunger auch noch schwer misshandelt und mehrfach vergewaltigt wurde. Die davon aber nicht gebrochen wurde, sondern entschlossen war, sich in Deutschland, an dem Ort, wo alles gut werden sollte, zu integrieren und sich eine bessere Zukunft aufzubauen. Die stattdessen aber zum Dealen verführt wurde, sich dabei durch eine tragische Verkettung unglücklicher Umstände schuldig am Tod der sechsjährigen Emma machte — und schließlich vom Sanitäter, der das Kind nicht retten konnte, mit einem Totschläger ermordet wurde.

Der Aha-Moment

Die allerletzte Szene. Hier wird überdeutlich, dass von gescheiterter Integration zwei Fraktionen profitieren — die dieses Scheitern von Integration deshalb auch forcieren: Organisierte Kriminelle, die die Mittel- und Perspektivlosen die Drecksarbeit machen lassen. Und Rechtspopulisten, denen es zunehmend gelingt, mit dem Anprangern dieser Straftaten in der Mitte der Gesellschaft zu punkten. Straftaten, die sich in erster Linie deshalb ereignen, weil vielen Einwanderern der Zugang zu Bildungschancen und Arbeitsmarkt extrem erschwert wird. Das erinnert an einen bitteren Witz:

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(tojo)
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