"Tatort"-Nachlese Ulmen und Tschirner, Inzest-Witze und Armbrust-Omas

Weimar-"Tatort" Nr. 4 ist ein surreales Gesamtkunstwerk um ein aus "Breaking Bad" bekanntes Gift. Story und Charaktere seien nur minimal überzeichnet, schwören die Autoren. Die Nachlese.

"Tatort: Der scheidende Schupo"
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Szenen aus dem "Tatort: Der scheidende Schupo"

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Foto: ARD

90 Minuten in 90 Zeichen

Rosen sind dornig, manchmal auch bombig, und Kakao kann tödlich sein. #HardKnockLife

Was war das?

Im vierten Weimar-"Tatort" mehr denn je: Ein bis zur Auflösung erfrischend konsequent kunstvoll beklopptes Spiel mit inhaltlichen wie filmischen Krimi-Klischees, diesmal im Stil eines Märchens (die Burg, die Hexe, die intriganten Schwestern...) — und geziert mit Zitaten wie der Leichenentsorgung per Gartenhäcksler aus dem Kultfilm "Fargo" oder der finalen Last-Minute-Rettung einer Dame, in der Lessing (Christian Ulmen) den James Bond gibt.

Nochmal: Was zur Hölle haben wir da gesehen?

Anstelle eines Sonntagabend-Krimis über einen Mord vor einem gesellschaftlich relevanten Hintergrund, meinen Sie? Gute Frage. Die Drehbuchschreiber beteuern jedenfalls, dass sie "großen Wert auf den dokumentarischen Charakter unserer Bücher" legen. "Der scheidende Schupo" basiere auf Legenden aus thüringischen Dörfern, die "seit Jahrhunderten keinen Kontakt zur Außenwelt hatten". Erzählt hätten ihnen diese Geschichten "Stammesälteste" bei einem "Gläschen grobe Wurst", geben Murmel Clausen und Andreas Pflüger zu Protokoll. Den Hauptprotagonisten "Lupo" hätten sie übrigens selbst als etwas übertrieben gezeichnet empfunden — bis, ja, bis sie in eine Verkehrskontrolle in Meuselbach-Schwarzmühle gerieten, durchgeführt von einem ganz ähnlich veranlagten Beamten. So weit das Presseheft zum Film...

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Foto: dpa, bt kde sab kde

Warum hat Ihnen dieser Film (nicht) gefallen?

Falls er Ihnen gefallen hat, dann, weil Sie "eine Mischung aus einem Wahnsinnigen und einem vollkommen Irren" sind. Oh, pardon, das waren noch einmal die Drehbuchschreiber — über Lupo, nicht über Sie. Der Meinung seiner Macher nach eignet sich dieser vierte Weimar-"Tatort" für jeden, der "eine Leidenschaft für Fliegerbomben, Armbrüste, Biotoiletten und Mausoleen" hat. Die Zielgruppe ist also zugegebenermaßen eher schmal.

Zum Glück sind die öffentlich-rechtlichen Sender nicht dem Joch der Einschaltquote unterworfen, weshalb zum Beispiel relevante Dokumentationen häufig zu attraktiven Sendezeiten im Ersten gesendet werden. (Das war Sarkasmus.)

Ernst gemeint sind ein Lob an die Verantwortlichen beim MDR für ihren Mut zur Schräg- und Albernheit, inklusive Inzest-Gag auf Fips-Asmussen-Niveau:

"Ich werde Vater?!"
"...und vielleicht auch Onkel."

sowie die dezente Erinnerung: "Normale" Krimis gibt es genug, auch und gerade Sonntagabend im Ersten. Nämlich jeder "Tatort" außer denen aus Wiesbaden und Münster. Und jeder "Polizeiruf".

Woher kommt Ihnen das Gift Rizin bekannt vor?

Im Zweifelsfall aus der TV-Serie "Breaking Bad". Dort ist das Gift so oft Thema, dass es im Fan-Wiki einen eigenen Eintrag hat. Der sich zum Drogenboss wandelnde Chemielehrer Walter White droht erstmals in der zweiten Staffel an, jemanden mit Rizin umzubringen. Unter anderem entkommt ein achtjähriger Junge diesem Schicksal. Erst in der allerletzten Folge kommt das Rizin schließlich doch zum Einsatz — gegen die fiese Lydia.

Wie realistisch war das Ende?

Die obligatorischen Volten zum Schluss betrafen in dieser Episode Lupos Wunderheilung sowie die wirren Geständnisse des Anwalts ("Ich bin an ungeraden Tagen impotent — und ich hab beim Abitur geschummelt!"). Das "McCorder-Godstein-Syndrom", dem diese Situation im Film geschuldet ist, entspringt komplett der Fantasie der Autoren. Dass Lupo nicht an der Rizin-Vergiftung stirbt, ist hingegen denkbar. Nach einer leichten Vergiftung oder sonstigem Kontakt mit dem Gift baut der menschliche Körper eine Immunität dagegen auf. Außerdem ist das Gift schwer zu dosieren. Nur ein Gegenmittel existiert tatsächlich nicht.

(tojo)
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