Olaf Scholz bei „Anne Will“ „Man muss jetzt regional gucken“

Düsseldorf · Hitzig ist es wahrlich nicht zugegangen in dieser Talkrunde, und das mochte am Thema gelegen haben: Corona ermüdet. Dennoch blitzten Spitzen gegen einen Politiker aus dem Süden des Landes durch.

 Die Talkrunde bei "Anne Will" am 27.09.2020.

Die Talkrunde bei "Anne Will" am 27.09.2020.

Foto: NDR

Am Dienstag soll der nächste Bund-Länder-Gipfel zur Bekämpfung der Pandemie stattfinden, und zuvor lässt Anne Will eine Runde aus Politik, Wissenschaft und Medizin zum Thema „Sorge um steigende Corona-Zahlen - reichen die Maßnahmen aus?“ diskutieren.

Die Gäste:

  • Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler und Bundesfinanzminister
  • Wolfgang Kubicki (FDP), Bundestagsvizepräsident
  • Melanie Brinkmann, Virologin
  • Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates
  • Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Darum ging’s:

Angesichts von steigenden Infektionszahlen in Europa und immer mehr Hotspots in Deutschland sollen die Gäste darüber sprechen, ob das Land den richtigen Weg eingeschlagen hat.

Der Talkverlauf:

Trotz aller Kritik am Übermaß der Corona-Themen im Fernsehen geht es am Sonntagabend auch bei „Anne Will“ um den Umgang mit der Pandemie. Dabei fragt die Moderatorin über weite Strecken die Meinung der Gäste zu konkreten Maßnahmen und technischen Entwicklungen ab, von Schulschließungen bis Schnelltests.

Den Anfang macht Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), und der hat vor allem eingeschränkte Freiheiten im Blick. So argumentiert Kubicki etwa mit Urteilen, die frühere Corona-Maßnahmen als verfassungswidrig bewerten. „Man muss sich in jedem Einzelfall fragen: Sind die Maßnahmen notwendig, sinnvoll und verhältnismäßig?“ Nicht nur im Gerichtsbeispiel, sondern auch später in der Diskussionsrunde zeigt sich die Krux an diesem Prinzip: Meist geht das erst im Nachhinein.

Aus der Zukunft berichten soll hingegen offenbar Vizekanzler Olaf Scholz (SPD): Moderatorin Anne Will möchte von ihm wissen, was am Dienstag beim Corona-Gipfel von Bund und Ländern entschieden werde. Stoisch verweist Scholz darauf, dass Entscheidungen dort erst nach „sorgfältigen“ Gespräche kämen. Da zeige sich die Stärke des Föderalismus: Dass viele mitreden, bringe ausgewogenere Entscheidungen.

Aber eine eigene Meinung lässt Scholz dann doch durchblicken. „Man muss jetzt regional gucken“, sagt er. Aus der Pandemie habe man gelernt, dass es um schnelle, zügige und gut verabredete Reaktionen gehe. Skeptisch zeigt er sich hingegen gegenüber der Verkündung großer, allgemeiner Regeln, die für alle gelten sollen. Ob das eine Spitze gegen den einen oder anderen Ministerpräsidenten gewesen sein mag, lässt Scholz offen.

Auch Alena Buyx begrüßt die Regionalisierung der Maßnahmen, weil „man nicht über Regeln, sondern über Maßstäbe nachdenkt“, etwa über Groß- und Privatveranstaltungen. Denn bei Feiern und Hochzeiten seien zuletzt Cluster entstanden, nicht etwa in Betrieben, argumentiert die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. Und mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit seien solche Veranstaltungen nicht so hart wie Schul- oder Geschäftsschließungen.

Die Virologin Melanie Brinkmann lehnt es ab, Maßnahmen pauschal zu betrachten. Eine Maskenpflicht etwa ergäbe da Sinn, wo sich viele Menschen begegnen und länger zusammen aufhalten – etwa an beliebten Treffpunkten wie dem Münchner Viktualienmarkt. Wenn hingegen in einer Fußgängerzone nicht viel los sei, seien Masken „nicht unbedingt erforderlich“. Sie stellt deshalb die Kommunikation in den Mittelpunkt: „Das ‚Warum‘ muss verständlich sein“, sagt sie.

Darin stimmt ihr Andreas Gassen zu. Der Kölner Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung glaubt: „Je transparenter und vernünftiger Maßnahmen erklärt werden, umso eher halten die Leute sich daran.“ Generell setzt er auf Eigenverantwortung statt Zwang. Er erinnert daran, dass es eine absolute Sicherheit ohnehin nicht gebe. „Es gibt Politiker im Süden der Republik, die den Eindruck erwecken, je schärfer die Maßnahmen, desto sicherer.“

Das Thema „Sicherheit“ beschäftigt die Runde auch bei der Frage nach den neuen Schnelltests. Brinkmann zufolge sind diese Tests zwar eine sinnvolle Ergänzung, aber keine Wundermittel. Sie könnten falsche negative Ergebnisse ausgeben. Das bestätigt Gassen. Er findet allerdings, dass man dieses Risiko offen diskutieren müsse – und dann entscheiden, ob man es etwa vor einem Besuch im Altenheim dennoch nutzen wolle.

Will reitet auf Schulen herum, in denen sich die Fenster nicht öffnen lassen, obwohl gute Belüftung für die Sicherheit vor in der Luft schwirrenden Viren wichtig ist. Scholz erklärt, dass das weniger mit maroden Schulen zu tun habe als mit – nun – Sicherheitsvorkehrungen. Brinkmann bringt die Runde schließlich zu einer positiven Sichtweise. All die Maßnahmen und Nachteile hätten doch auch den Blick auf Dinge gelenkt, die schon lange im Argen lagen. In den Schulen etwa gebe es nun die Chance, vieles zu verbessern – nicht nur bei der digitalen Ausstattung, sondern auch in puncto Raumluft.

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