Kritik zu „Tiger King 2“ Der Tiger ist totgeritten

Düsseldorf · Nach dem großen Erfolg der wahnwitzigen Doku-Serie „Tiger King“ hat der Streamingdienst Netflix nachgelegt. Die Fortsetzung entpuppt sich aber als zumeist langweiliges „True Crime“-Format, das sich in vagen Spekulationen ergeht und damit noch fragwürdiger ist als das Original.

 Da durfte Joe Exotic alias „Tiger King“ noch Tiger streicheln, jetzt sitzt er im Gefängnis.

Da durfte Joe Exotic alias „Tiger King“ noch Tiger streicheln, jetzt sitzt er im Gefängnis.

Foto: AFP/-

Wer sich Joe Exotic nennt, wie ein Revolverheld immer mit einem Pistolengürtel herumläuft, Dutzende Raubkatzen in einem Privatzoo hält und einen Kleinkrieg gegen eine Tierschützerin führt, kann nur die Hauptfigur in einem durchgeknallten B-Movie sein. Eigentlich. Was der Streamingdienst Netflix seinen Zuschauern ziemlich zu Beginn der Pandemie unter dem Titel „Tiger King“ servierte, schien zu bizarr, zu grotesk, zu konstruiert, um wahr zu sein. Was sich als kolossaler Irrtum erwies. Um so fassungsloser verfolgte man das Geschehen auf dem Bildschirm; nur die Landung von Aliens vor dem Brandenburger Tor hätte wohl ähnlich entgeisterte Reaktionen hervorrufen können. Auch das Timing hätte nicht besser sein können. Netflix konterte den Virus-Wahnsinn mit einer Doku-Serie, die selbst an Wahnwitz nicht zu überbieten war, und ließ den Zuschauer gerade zur rechten Zeit abtauchen in eine Parallelwelt, von der kaum jemand gedacht hätte, dass sie existieren könnte. Klar, dass „Tiger King“ damals den Streaming-Thron für sich reklamierte; auch klar, dass Netflix rund eineinhalb Jahre später eine Fortsetzung präsentiert.  

 Nun ist das mit Fortsetzungen so eine Sache, vor allem, wenn der Erfolg des Originals eher überraschend kam. Damit, dass die Serie so einschlagen würde, war nicht unbedingt zu rechnen, vor allem weil ein Großteil des Personals wohl gelinde gesagt als verhaltensauffällig einzuordnen ist und die Doku dadurch streckenweise an eine Freak-Show erinnert. Nebenbei erzählt „Tiger King“ auch von Drogenmissbrauch, von Waffenverliebtheit und Größenwahn, liefert eine hanebüchene Egoshow, die darin gipfelt, dass Joe Exotic erst das Präsidentenamt und dann den Posten des Gouverneurs von Oklahoma anstrebt. Während des Drehs verliert eine Mitarbeiterin einen Arm im Raubtierkäfig, ein Ehemann des „Tiger Kings“ schießt sich aus Versehen in den Kopf. Am Ende landet Exotic, der mit bürgerlichem Namen Joseph Allen Maldonado-Passage heißt, wegen Anstiftung zum (nicht ausgeführten) Mord an seiner Gegenspielerin, der Tierschützerin Carole Baskin, für 22 Jahre im Gefängnis und sein Zoo einschließlich aller Katzen in den Händen dubioser Geschäftspartner. Was hinter dem Mordvorwurf an Baskin steckt, bleibt ebenso im Unklaren wie viele Motive der Akteure, ihr Innerstes vor der Kamera zu entblößen. Wäre dies die Handlung einer fiktionalen Serie, die Kritik hätte sie mit Hohn überschüttet.

 Weil sich solcher Wahnsinn schwerlich steigern lässt, haben sich die Regisseure Eric Goode und Rebecca Chaiklin in „Tiger King 2“ darauf verlegt, ein wenig Licht ins Dunkel der Geschichte zu bringen. Zumindest vordergründig. Denn erhellt wird am Ende wenig, alle Spuren führen ins Nichts. Es geht um Joe Exotics Werdegang, seine Kindheit, seine vorübergehende Arbeit als Sheriff, die Anfänge seines Zoos. Vor allem aber geht es um die Frage, ob Carole Baskin ihren ersten Ehemann an ihre Raubtiere verfüttert hat, wie es Exotic unermüdlich und ohne jegliche Beweise behauptet. Denn Baskin betreibt ihrerseits ein Refugium für von ihr aus privaten Zoos gerettete Raubkatzen. „Tiger King 2“ entwickelt sich so nach dem irrwitzigen Parforceritt durch menschliche Abgründe aus Teil eins zu einem eher bodenständigen bis langweiligen „True-Crime“-Format. In einer aufwendigen Recherche wird versucht, das Verschwinden von Baskins Ehemann zu erklären, der möglicherweise in Costa Rica untergetaucht ist. Indizien werden präsentiert, Begleiter aufgestöbert, aber der Funke will nicht mehr überspringen. Zu normal ist diese Geschichte, zumindest gemessen an „Tiger King“-Maßstäben.

 Erschwerend hinzu kommt, dass Baskin vor dem Start der zweiten Staffel Netflix verklagt hat, weil ihr Einverständnis zu Filmaufnahmen angeblich nur für die erste Staffel vorliege. So fehlen aktuelle Kommentare der Tierschützerin, das gesendete Material stammt aus der Originalserie oder bedient sich bei ihrem Youtube-Tagebuch. Das wirkt etwas schal und zusammengeschustert, zumal alle Vorwürfe ihr gegenüber nicht über Geraune hinausgehen. Beweise gibt es keine. Zudem fehlt Baskin als zentrale Figur der Serie im Vergleich zu Joe Exotic, der nur gelegentlich als Telefonstimme aus dem Gefängnis den Lauf der Ereignisse  kommentieren darf, das Schillernde, abstrus Überdrehte. Was nicht heißen soll, dass „Tiger King 2“ nicht wieder punkten könnte mit mindestens halbseidenen Figuren, von Internetermittler Ripper Jack über den Anwalt John Phillips bis zu Unternehmer Jeff Lowe, plus einem so wohl nur in den USA möglichen Potpourri privater Raubtierhalter. Es bleibt also ein Resthauch Exotik. Ansonsten aber ist der Tiger totgeritten. 

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