Review Picard 3. Staffel Picard: Wunderbar nostalgisch und furchtbar ideenlos
Die zweite Hälfte der 3. Staffel von Picard konnte nicht das halten, was die ersten fünf Episoden versprochen haben. Gute Ansätze werden verspielt für wohltuende Nostalgie. Das Ende ist versöhnlich. Achtung: Die Review enthält Spoiler. Auch zu Star Wars „Rückkehr der Jedi-Ritter“.
Es endet dort, wo auch bereits die „Next Generation“ vor fast 30 Jahren aufgehört hatte: Die alte Crew der Enterprise-D sitzt lachend und vergnügt noch einmal am Pokertisch. Und das ist ein wundervoll nostalgischer Moment. Die alten Weggefährten von einst haben ein versöhnliches Ende gefunden. Auch wenn der Weg dorthin nicht sonderlich kreativ und manchmal sogar unglaubwürdig war. Wenigstens war die Story nicht so abstrus, lächerlich, inhaltsleer und jeder Logik widersprechend wie in den beiden Staffeln zuvor. Es ist ein großer Schritt nach vorne.
Und das, nachdem die zweite Hälfte eigentlich mit einer Enttäuschung beginnt. Nach fünf Episoden hatten wir kritisiert, dass viel zu oft Erinnerungen an Star-Trek-Filme und Next-Generation-Episoden eingebaut werden. Die sechste Folge besteht dann aber fast nur daraus. Ob in der Daystrom-Station oder dem Flotten-Museum: Eine Reminiszenz reiht sich an die nächste. Sei es das Projekt Genesis aus „Star Tek II“ (1982) oder Tribbles, die erstmals in der Folge „Trouble with Tribbles“ (1967) der ursprünglichen Star-Trek-Serie auftauchten. Wir sehen auch den Hinweis auf die sterblichen Überreste von James T. Kirk, die aus irgendwelchen Gründen in der hochgeheimen Forschungsstation aufbewahrt werden. Leider führt das nirgendwohin. Es wurde mehr oder weniger aus Spaß untergebracht – ebenso wie das Hologramm von Professor Moriarty aus „Next Generation“ (1988 und 1993). Der mittlerweile 77-jährige Schauspieler Daniel Davis hat einen vielleicht zweiminütigen Auftritt. Nicht besser geht es im Museum zu. Da werden die Schiffe der Vergangenheit immer schön untermalt von ihren prägnanten Serienmelodien gezeigt. Mehr ist da nicht.
Star-Trek-Fans werden in der Folge vielleicht einen Familienstreit provoziert haben, weil sie alle paar Minuten auf „Pause“ gedrückt haben oder unaufgefordert Erklärungen anboten. Tatsächlich wäre das auch nicht weiter schlimm gewesen. Inhaltlich lässt sich die sechste Episode schnell zusammenfassen. Geordi La Forge ist noch mehr ein Beamter geworden, der nach Vorschrift vorgehen möchte. Etwas, dass sich in „Next Generation“ mehrmals andeutete. Vor allem in der Folge „Relics“ (1992), als er auf „Scotty“ von der der ursprünglichen Enterprise stieß.
Jack Crusher installiert das Tarngerät von dem klingonischen „Bird of Prey“ aus „Star Trek IV“ (1986) an Bord der Titan. Und Data ist jetzt in einem mehr oder weniger biologischen Körper. Zusammen mit seinem „Bruder“ Lore. Ja, es geht wieder um die beiden. Was das nicht schon längst mit dem Serien-Zweiteiler „Descent“ (1993) abgeschlossen? Egal. Und wie oft muss Data eigentlich sterben, um zu leben? Im Finale des Films „Nemesis“ (2002) war sein Ende gekommen. Dann stirbt er noch einmal in der ersten Picard-Staffel. Und nun lebt er dann doch weiter. Irgendwie weigert man sich in der dritten Staffel beharrlich, die ersten 20 Episoden der Serie anzuerkennen. Und wir können das verstehen.
Dafür kann Amanda Plummer zeigen, warum sie überhaupt mitspielt. Ihre bislang eher blasse Figur Vadic bekommt Tiefgang, Vielschichtigkeit und sogar eine gute Hintergrundstory. Zudem ist sie plötzlich nicht mehr der überzogene rauchende Antagonist aus der 08/15-Schule für Bösewichter, sondern sie ist immer Herr der Lage. Selbst als sie von Jean-Luc Picard und Beverly Crusher festgesetzt wird. Aus der Figur hätte man in den durchaus spannenden zwei Episoden sieben und acht noch viel mehr machen können. Leider stirbt sie dann einen Klischee-Tod: Sie friert sofort im kalten Weltall ein und zerbricht tiefgefrostet wie der T-1000 in „Terminator 2“. Für die wissenschaftlich Interessierten: Es dauert mehr als zwölf Stunden, wenn nicht noch länger, bis ein Körper im Weltall einfriert. Die Wärme kann nur über Strahlung abgegeben werden, was Zeit benötigt. Es gibt kein Medium wie Luft oder Wasser im Weltraum, dass die Energie aufnehmen kann.
Aber so endet die Vadic-Geschichte und mit ihr eigentlich auch die Story um die Wechselbälger. Die kriegen danach noch ein Alibi, warum sie überhaupt in der 3. Staffel dabei sind. Aber das wird auch nur erzählt, nicht gezeigt. Da wird eine interessante Idee, die man bislang gut aufgebaut hatte, einfach vom Tisch gewischt. Und das alles für eine alles andere als kreative Wendung: Es sind mal wieder die Borg, die hinter allem stecken. Auch hinter Jacks seltsamen Verhalten und seinen übermenschlich anmutenden Fähigkeiten. Klar, wer sonst!?
Wir geben zu: Die Überlegung dahinter ist noch nicht einmal schlecht und klingt nach Science Fiction. Als Picard von den Borg in dem Serien-Zweiteiler „Best of both worlds“ (1990) übernommen worden war, haben die nicht nur Nano-Roboter implantiert, sondern auch seine DNA verändert. Das hat er an seinen Sohn weitergegeben, bei dem sich das volle Potenzial der Gen-Veränderungen zeigt. Er ist quasi ein biologisch assimilierter Borg. Und mit seinem Gen-Material wurde über die Transporter-Technik alle Sternenflotten-Offiziere infiziert. Die Borg assimilieren die Föderation von innen. Und um das umzusetzen, benötigte man die Wechselbälger.
Das ist eine gute Idee, die sogar ausgearbeitet scheint und überzeugt. Aber schon wieder die Borg!? Das hätte vielleicht funktioniert, wenn sie in den zwei Staffeln zuvor nicht auch schon vertreten wären und sogar „gut“ wurden. Aber wie der neue Serienverantwortliche Terry Matalas bei Twitter schrieb. Diese „Agnes Nice Borg“ (Agnes Nette Borg) spielen keine weitere Rolle, weil die einen Transwarp-Tunnel bewachen. Auch daraus kann man einen ironischen Seitenhieb in Richtung der vergangenen Staffel lesen.
Dafür kann man durchaus die Intention erkennen, die Geschichte um die Borg nun abzuschließen. Nachdem die Borg eigentlich schon in „Voyager“ endgültig besiegt worden waren. Man hat sogar mit Alice Krige (68) die Schauspielerin verpflichtet, die in „First Contact“ (1996) die Borg-Königin gespielt hatte. Als etwas uraltes Böses, wie Deanna Troi sagt. Und das hätte eine interessante Geschichte ergeben können: Wie hat die Königin aus dem Film „First Contact“, der vor allem im 21. Jahrhundert spielt, eigentlich über Jahrhunderte überlebt? Was ist mit ihr passiert? Und wie hat sie ihren Plan geschmiedet? Viele Fragen, nur keine Antworten. So wirklich erfahren wir das alles nicht. Die ist eben einfach da.
Auch die Idee mit Jack und den Wechselbälgern scheint eher zufällig zu sein. Irgendwann hatte sie telepathisch oder über die Biotechnologie Kontakt zu Picards Sohn. Genauso zufällig traf sie auf die Wechselbälger. Und der Rest scheint improvisiert. Wir wissen es nicht genau. Die Autoren auch nicht. Aber das war ihnen nicht wichtig.
Viel lieber zeigen sie uns, wie die alte Crew ein letztes Mal die restaurierte Enterprise-D aus „Next Generation“ betritt. Ideenlos? Unkreativ? Vielleicht. Aber es ist für Fans der ersten Stunde ein so emotionaler Moment, dass man Tränen in den Augen hat. Als ob man nach 30 Jahren auf Reisen nach Hause zurückkehren würde und nichts hat sich verändert. Das ist Terry Matalas und den Autoren so gut gelungen, dass wir nachsichtig werden. Tatsächlich war das in der 9. Folge der Höhepunkt der Staffel für uns. Und wenn Picard auf der Brücke sagt, „Make it so“ (Machen Sie es so) und „Engage“ (Energie), fühlt sich das so vertraut an, als ob die Serie gestern gelaufen wäre und nicht zwischen 1987 und 1994.
In der 10. Episode können wir dann direkt zu Beginn zumindest im englischen Original den mittlerweile 86-jährigen Walter Koenig hören. Der hatte in der Ursprungsserie aus den 1960ern Pavel Chekov gespielt, nun verleiht er dessen fiktiven Sohn Anton die Stimme als Präsidenten der Föderation. Und danach wird es leider etwas sehr uninspiriert. Picard stellt sich erneut der Borg-Königin und die Enterprise-D fliegt durch einen riesigen Borg-Kubus wie der „Millennium Falcon“ in „Rückkehr der Jedi-Ritter“ (1983) durch den Todesstern. Nun ist das Star-Wars-Raumschiff nur knapp 35 Meter lang, die Enterprise-D dagegen eher um die 580 Meter. Das ist nicht sonderlich überzeugend.
Zumal viel an den Star-Wars-Film erinnert, wenn man den Todesstern durch den Borg-Kubus ersetzt und den Imperator durch die Borg-Königin inklusive der Zerstörung eines kritischen Elements im Zentrum sowie der anschließenden waghalsigen Flucht. Und wenn im Krieg-der-Sterne-Teil der Sohn Luke Skywalker seinen Vater Darth Vader retten möchte, so ist es in der Serie nun der Vater Jean-Luc Picard, der seinen Sohn Jack helfen will. Und die beiden haben plötzlich ein enges Band, obwohl sie sich ein Leben lang nicht kannten. Aber sie haben ja für ein paar Minuten geredet und in der Holo-Bar der Titan zusammen getrunken. Das erklärt alles.
Eigentlich ist das nicht sehr überzeugend. Bis auf Picards Erklärung, warum er zur Sternenflotten gegangen ist. Auf der Suche nach einer Verbindung zu anderen Menschen wurde die Sterneflotte seine Familie. Und dennoch hat er sich stets von anderen abgeschottet. Überraschend passt das zum Charakter. Das war in den vergangenen Staffeln nicht immer so. Nichtsdestotrotz kommt es danach zu den drei (!) Enden. Das erste Finale: Mit der Sternenflotte ist alles gut. Da hätten wir uns aber ein paar mehr Erklärungen gewünscht. Wir würden beispielsweise viel mehr interne Überwachung erwarten, nachdem man so einfach unterwandert worden war. Und wie gehen sie mit dem massiven Verlust an Offizieren um? Schließlich haben Bio-Borg ganz schön gewütet an Bord der Schiffe.
Und wurden alle begnadigt? Offenbar. Denn im zweiten Ende sehen wir, wie Jack Crusher nun doch zur Sternenflotte gegangen ist. Wie seine Mutter, die am Anfang der Staffel noch große Vorbehalte gegenüber der Organisation hatte. Seven of Nine, die außer entschlossen zu gucken, nicht so viel zu tun hatte, ist nun Captain der Enterprise-G (ehemals die Titan). Raffi Musiker, die uns in der Vergangenheit so dermaßen auf die Nerven ging, war zum Glück ohnehin nur eine Nebenfigur. Nun ist sie 1. Offizierin. Und Jack ist Kadett an Bord der Enterprise-G. Terry Matalas will so eine mögliche neue Serie namens „Legacy“ (Vermächtnis) bewerben.
Dazu passt die letzte Szene mit Jack, der von Q besucht wird. Klar, wer sonst!? Ist der nicht in der zweiten Staffel gestorben? Ja! Nein! Menschen würden immer so linear denken, ist seine Erklärung. Er hat auf jeden Fall ein Auge auf Picards Sohn Jack wie früher auf seinen Vater. Das macht auch deutlich, was das Autoren-Team und Terry Matalas offenbar von der unglaublich schlechten zweiten Staffel halten: Sie ist überflüssig. Denn da war Q und sein Tod die treibende Kraft der Geschichte. Das wurde jetzt wieder abgeräumt. Ist damit die 2. Staffel nie passiert?
Wir könnten jetzt wieder den Kopf schütteln. Auch weil der beste Neuzugang, Captain Liam Shaw, in der 9. Folge erschossen wurde. Da hatte man einen Charakter mit Potenzial geschaffen, um ihn dann wieder zu beerdigen. Aber es gibt da noch das dritte Ende. Die Crew der Enterprise-D sitzt an der Bar. Picard zitiert noch einmal Shakespeare (Julius Caesar). Es wird gelacht, es wird gewitzelt. Dann spielt man Poker. Und das ist herzerwärmend und einfach gut. Überhaupt haben die Autoren sehr viel Feingefühl bei der alten Besatzung gezeigt. Alle haben sich zwar ein wenig verändert. Aber es passt, ist stimmig und überzeugend. Die gesamte Staffel wirkte wie eine große Verbeugung vor den Leuten der „Next Generation“-Enterprise-D. Und ja, trotz aller Mängel hat es Spaß gemacht, noch einmal mit ihnen auf die Reise zu gehen. Darum fällt es uns schwer, ein abschließendes Urteil zu fällen. Es war nicht alles kreativ und gut, aber dafür war es emotional und spannend. Vor allem aber war es ein würdiger Abschluss und Abschied. Und damit haben wir nach den zwei vorangegangenen Staffeln nicht mehr gerechnet.
Was bleibt, ist die eine große Frage: Was wäre gewesen, wenn Terry Matalas von Anfang an die Verantwortung gehabt hätte? Diese dritte Staffel hätte der Beginn für eine großartige Serie werden können. Und eigentlich ist sie das auch. Es spielt fast nichts aus den vergangenen zwei Staffeln eine Rolle, bis auf Picards Androiden-Körper und Seven of Nine, die nun bei der Sternenflotte ist. Aber das hätten wir auch so geglaubt.
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