„Herr der Ringe“ bei Amazon Prime „Ringe der Macht“ – Holpriger Start mit Potenzial

Nach vier von acht Folgen lässt sich eine erste Bilanz zur Amazon-Serie „Ringe der Macht“ ziehen. Sie ist nicht so schlecht, wie viele im Netz schreiben. Sie ist aber auch nicht so gut, wie sie sein könnte.

Morfydd Clark spielt Galadriel in der Amazon-Serie „Ringe der Macht“.

Morfydd Clark spielt Galadriel in der Amazon-Serie „Ringe der Macht“.

Foto: dpa/Matt Grace

Fünf Jahre mussten Zuschauer und Tolkien-Fans warten: Im November 2017 hatte Amazon die Rechte an den Anhängen von „Herr der Ringe“ erworben – und wollte eine Serie drehen. Die sollte im 2. Zeitalter spielen und damit lange vor den Ereignissen in „Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“. Seit dem 2. September läuft die Serie nun bei Amazon-Prime. Vier von insgesamt acht Folgen der ersten Staffel wurden bislang gezeigt. Und trotz eines großen Budgets (eine Milliarde US-Dollar für fünf Staffeln) kann die Serie bis jetzt nicht ganz überzeugen, aber es ist auch nicht alles schlecht.

Beginnen wir mit dem Positiven: Die Serie sieht sehr oft sehr großartig aus. Wenn man in der dritten Episode die Insel Númenor erreicht, ist das überaus beeindruckend und wunderschön inszeniert. Moria oder Khazad-dûm kannten wir aus „Herr der Ringe – Die Gefährten“ als düsteren, verfallenen Ort. Nun sehen wir die Zwergenstadt in ihrer Blüte und sie wirkt großartig. Man möchte in den Bildern versinken und selbst durch diese Orte gehen. Und das sind nur zwei prägnante Beispiele dafür, wie viel Zeit, Liebe und Geld in das Setting gesteckt wurde. Nichts alles besteht aus Computergrafiken, sondern einiges wurde tatsächlich gebaut.

Diese Leidenschaft zeigt sich auch in vielen Kostümen und Schmuckstücken. Nichts wurde von der Stange oder aus einem Fundus gekauft, sondern vieles eigens angefertigt. Um die Ideen der Serienschöpfer zu den verschiedenen Kulturen und Völkern auch umzusetzen. Optisch ist der Serie kaum etwas vorzuwerfen. Auch die Orks wirken echt, weil die Darsteller Masken und Prothesen tragen. Es sind keine Statisten in grünen Anzügen, denen später am Computer das entsprechende Aussehen verpasst wurde. Das alles gibt den Episoden etwas Plastisches und Greifbares.

Zudem liegt über der Serie von Beginn an der Schatten des Bösen, das lauert und wartet. Es ist nicht greifbar. Aber man hat das Gefühl, das sich etwas Bedrohliches versteckt in dieser Welt. Auch das ist den Serienmachern sehr gut gelungen. Die Atmosphäre, das Setting, die Produktion, die Kostüme und die Masken – das sind nicht die Probleme der Serie. Die liegen tatsächlich woanders.

Es beginnt mit dem Tempo: Die erste Folge ist sehr langsam erzählt. Die leidet indes wie bei allen Serien unter dem Problem, die Grundlagen zu legen. Leider zieht das Tempo danach nur wenig an: Über die ersten drei Episoden führt die Serie vor allem Figuren und Orte ein. Zudem werden die verschiedenen Handlungsstränge aufgebaut, nur richtig zünden will das alles nicht. Es ist zwar nicht langweilig und weckt tatsächlich Neugier, aber es ist nicht unbedingt spannend. Und das liegt leider an den Charakteren.

Tolkien-Fans verbinden mit bekannten Namen gewisse Erwartungen, weil sie alle Bücher kennen. Nicht nur „Herr der Ringe“ oder „Hobbit“, sondern vor allem auch das sehr viel schwerer zugängliche „Silmarillion“. Darin wird episodenhaft und im Stil von Mittelalter-Chroniken und Heldenepen die Vorgeschichte von Tolkiens Welt erzählt. Daneben existieren noch weitere Erzählungen. Und davon weicht die Serie an vielen Stellen ab.

Besonders deutlich wird das bei der weiblichen Hauptfigur Galadriel. In der Serie ist sie eine ungeduldige, verbissene bis arrogante Heerführerin. Nach dem Tod ihres Bruders ist sie fast schon besessen von dem Gedanken, das Böse zu vernichten – das sich nach dem Sieg über den finsteren „Gott“ Morgoth zaghaft wieder ausbreitet in Mittelerde. Über Sauron, dem mächtigsten Gefolgsmann von Morgoth.

Das hat nur leider so gut wie gar nichts mit Galadriel aus Tolkiens Werken zu tun. Und sie wirkt in der Serie auch nicht wie eine mehrere tausend Jahre alte, weise Elbin, sondern wie ein trotziger, rotziger Teenager. Tolkien-Fans müssen da schon über einen großen Schatten springen, um das noch für akzeptabel zu halten. Aber die sind nicht die Zielgruppe der Serie. Ebenso wenig wie Fans der Peter-Jackson-„Herr der Ringe“-Filme, die auch schon fast 20 Jahre alt sind. Amazon will ein neues Publikum ansprechen, das vielleicht nur den Namen gehört hat. Und man kann auch verstehen, dass man sich einige Freiheiten nimmt, um eine Geschichte, die sich bei Tolkien über Jahrhunderte und Jahrtausende spannt, zu komprimieren. Aber warum entscheidet man sich dann dafür, Galadriel so unsympathisch wie möglich zu machen? Die einzige Hoffnung ist, dass man sich an der Idee des großen japanischen Filmemachers Akira Kurosawa orientiert: Helden verändern sich und wachsen, Schurken bleiben immer gleich. Das würde bedeuten, dass sich im Laufe der Serie Galadriel entwickeln und zu dem Charakter werden wird, den wir auch in den Jackson-Filmen gesehen haben. Sonst hätte man lieber eine neue eigene Figur erfunden, von denen es in der TV-Adaption einige gibt.

Auch die Serienschöpfer scheinen erkannt zu haben, dass Galadriels Darstellerin Morfydd Clark zwar ein sehr ausdrucksstarkes Gesicht hat – aber fast immer nur verbissen und wütend blickt. Darum darf sie in der dritten Episode lachend auf einem Pferd reiten. In Zeitlupe. Das wirkt wie eine plötzliche Parfüm-Reklame, ist viel zu lang, kommt aus dem Nichts und trägt wenig zur Handlung bei. Es ist irritierend. So wie viele Szene, die erzwungen und wenig durchdacht wirken.

An einer Stelle sehen wir Galadriel mit einer anderen Figur, Halbrand, auf einem improvisierten Floß. Dort hält sie ein Tau in der Hand und zieht daran. Einen Sinn hat das auf dem Wrack indes nicht. Und würde sie Seemannsknoten binden, hätte man das Gleiche erreicht – aber sie würde sofort kompetenter wirken. So sieht es unbeholfen aus und dient nur einem Zweck: Damit sie nicht bedeutungslos rumsteht. Es ist leider nicht sehr überzeugend.

Als sie das Elbenschiff verlässt, weil sie nicht in das paradiesgleiche Valinor möchte, springt sie einfach über Bord. Um ohne Wasser oder Nahrung Tausende Kilometer zu schwimmen? Das hätte man besser inszenieren können. Über ein Beiboot beispielsweise, das sie losmacht, wieder damit aufhört und dann am Ende doch nutzt. Es wäre eine Gelegenheit gewesen, ihren inneren Konflikt zu zeigen. Sie hätte mit anderen Elben diskutieren können oder sich überzeugen lassen können, um doch noch ihre Meinung zu ändern. So aber ringt sie kurz mit sich, hört ihren toten Bruder und springt einfach über Bord. Das lässt sie zwar wild entschlossen, aber auch ein wenig dumm aussehen. Irgendwie wussten die Autoren da nicht mehr weiter und wollten es dann schnell abhaken. Hauptsache war, dass sie das Schiff verlässt. Irgendwie.

An anderer Stelle stiehlt Halbrand einen Dolch. Aus dem Gürtel eines erfahrenen Kapitäns. Vor Hunderten in einen großen Saal, die alle zuschauen. Wie das funktioniert? Keine Ahnung. Vor allem, ohne dass der Kapitän das merkt oder sonst jemand im Saal. Wir wissen auch nicht, wie oder wo er der Dolch unter seinen Lumpen vor allen Menschen versteckt hat. Er ging offenbar nur darum, seine Geschicklichkeit zu zeigen – und um die Bindung zu Galadriel zu vertiefen. Schließlich ist es der Dolch ihres toten Bruders, an dem sie festhält. Aber so, wie es gezeigt wurde, wirkt es erneut mit der Brechstange erzwungen. Zumal der Dolch danach keine große Rolle spielt.

Und damit jeder versteht, wie wichtig der junge Isildur ist, darf er beim Blick auf die Küsten Númenors eine mystische Stimme hören, die ihn ruft. Warum, wieso, weshalb? Egal, aber er muss wichtig sein. Sonst würde er die Stimme nicht hören. Wer mehr wissen möchte: Es reicht zunächst, sich den Prolog des ersten Herr-der-Ringe-Films anzuschauen.

Der Elb Arondir wird eingeführt, als er in eine kleine Stadt kommt – und zu zwei eine Art von Schach spielenden Bewohnern ruft: „Matt in drei Zügen“. Man wollte also unbedingt zeigen, dass er nicht nur Muskeln, sondern auch Hirn hat. Tatsächlich aber kommt es arrogant und überheblich rüber.

Einige Szenen um den Fremden bei den Hobbit-Vorläufern, den Haarfüßen, wirken wie aus einem Cartoon der 1940er. Und als sich herausstellt, dass Saurons seltsames Symbol gedreht werden muss und dann ist es plötzlich ein Kartenausschnitt, will man sich die Schläfen reiben. Das klingt nicht nur äußerst dämlich, das ist es auch. Die Jahrtausende alte Elbin Galadriel hat offenbar noch nie ihre eigene Zeichnung gedreht und sich gefragt, warum sie das an die Südlande beziehungsweise Mordor erinnert – was dann aber ganz plötzlich geschieht.

 Liebe zum Detail: Masken lassen den Ork echt aussehen. Er trägt zudem einen alten Elbenhelm aus vergangenen Schlachten.

Liebe zum Detail: Masken lassen den Ork echt aussehen. Er trägt zudem einen alten Elbenhelm aus vergangenen Schlachten.

Foto: dpa/Ben Rothstein

Es sind viele solcher Kleinigkeiten, die gerade in den ersten drei Folgen erzwungen und unbeholfen wirken. So, als ob die Autoren lange diskutiert und viele Ideen verworfen hätten, bis man erschöpft einfach etwas genommen und es endlich abgehakt hat. Man spürt fast, unter welchem Druck sie standen, gerade zu Beginn etwas Großes zu zeigen – und es dann doch nicht geschafft haben.

Leider macht es den Zuschauern so auch schwer, eine Verbindung zu den Figuren aufzubauen. Aber ohne die wirkt alles höchstens nur interessant, aber nicht mitreißend. Denn dafür muss man mit den Charakteren mitfühlen oder Sympathien entwickeln. Und das gelingt der Serie in den ersten Folgen leider kaum. Auch wenn die 4. Episode die Beste bislang ist, weil da tatsächlich die Geschichten an Fahrt aufnehmen, statt nur Orte und Figuren einzuführen.

Dabei können die Autoren es sehr viel besser. Trotz aller Mängel ist die Story um Elrond und den Zwergenprinzen Durin sehr gut erzählt. Beim Kanzler Pharazôn auf Númenor merkt man, wie geschickt ein ambitionierter Mann die Massen manipuliert und kontrolliert. Mit deutlichen Anlehnungen an faschistische Diktatoren. Die Haarfüße gehen einem anfangs auf die Nerven und scheinen nicht mehr als „Comic Relief“ zu sein. Erst mit der Zeit erkennt man darin einen isolationistische, starre, konservative Kultur, die trotz aller anderslautenden Beteuerungen nicht gerade sozial ist. Das schlägt tatsächlich auch eine Brücke zu den Hobbits aus „Herr der Ringe“. Ihre sesshaften Nachfahren sind zwar sehr viel entspannter und sozialer, aber bleiben genügsam und selbstbezogen – und wollen mit den Problemen der Welt nichts zu tun haben. Generell ist die Serie darum bemüht, eine Verbindung zu den Jackson-Filmen aufzubauen. In der Architektur und Rüstungen von Númenor beispielsweise erkennt man Gondor aus den Filmen wieder – das später von den Nachfahren Númenors gegründet wird.

Doch so bemüht man ist, es bleibt ein gemischtes Gefühl zurück. Ganz überzeugen können die Charaktere bislang nicht, aber dennoch ist es interessant und man ist neugierig. Wer ist Halbrand? Er wirkt bisweilen wie ein Abklatsch von Aragorn aus den Filmen. Aber die Serie spielt mit Andeutungen. Baut man einen positiven Charakter auf, der sich mit Galadriel anfreundet? Nur um aus ihm dann später einen Nazgûl zu machen? Also einen der Könige, die von den Ringen Saurons verführt werden? Oder handelt es sich bei Halbrand sogar um Sauron selbst in einer seiner vielen Gestalten? Das würde der aufkeimenden Freundschaft zwischen ihm und Galadriel eine gewisse Tragik verleihen. Und wer ist der Fremde bei den Haarfüßen? Ein Zauberer wie Gandalf? Vielleicht Gandalf selbst? Oder bei aller anfänglichen Unbeholfenheit am Ende doch ein Diener Saurons?

Eben weil man sich viele Freiheiten von Tolkiens Erzählungen nimmt und neue Figuren einführt, kann man nicht alles vorhersagen. Auch wenn sich einige eisenharte Fans genau daran stören. Für sie aber baut die Serie immer wieder Andeutungen ein. Nur um ihnen zu sagen, dass man sich auch mit allen Werken auskennt. Man bittet um Vertrauen. Und alleine die „Schatzkammer“ von Númenor mit dem Palantir in Folge vier steckt mit seinen Waffen, Schilden und Helmen voller Anspielungen auf Tolkiens Geschichten. Man möchte offenbar Kenner der Werke dazu einladen, dabei zu bleiben – auch wenn man nicht alles so verfilmt, wie es der Autor geschrieben oder angedeutet hatte. Und das ist in Ordnung. Schließlich handelt es sich um eine Fernseh-Adaption. Dennoch zieht die Serie einigen Zorn der eisenharten Fans auf sich.

Und die sehen sich ungewollt in einer seltsamen Allianz mit erzkonservativen bis rechten Influencern. Die laufen gegen die Serie Sturm und gegen die Diversität, weil einige Zwerge, Elben und Menschen dunkelhäutig sind. Das würde nicht zur Welt von Tolkien passen und sei unrealistisch. Der große Autor war indes ein Kind seiner Zeit und ein weißer, privilegierter britischer Professor, der 1973 verstarb. Jede moderne Adaption kann sich Freiheiten nehmen, um die Geschichte etwas zeitgemäßer zu erzählen. Und wer in einer erfundenen Welt mit Orks, Trollen, Drachen, Zwergen und Elben von Realismus spricht, hat offenbar ein gewisses Problem zwischen Wirklichkeit und Fantasie zu unterscheiden. Oder er missbraucht die Kritik für seine eigene Agenda. Und leider gibt es bei Youtube und den sozialen Medien eine lautstarke Gruppe, die alles verabscheut, was nicht in ein Gesellschaftsbild der 1950er passt. Sei es bei „Herr der Ringe“, „Star Wars“, „Star Trek“ oder den Marvel-Filmen und -Serien.

Darin droht berechtigte Kritik unterzugehen. Und dazu zählen eben die langsame Erzählweise, die bisweilen unbeholfene Inszenierung und die wenig sympathischen Charaktere. Aber nach der vierten Episode scheint nun einiges besser zu werden, weil man endlich dazu kommt, die eigenen Geschichten zu erzählen. Auch wenn man in der Folge stärker hätte herausarbeiten können, warum die Menschen von Númenor anfangs gegen die Elben wettern und dann doch mit Galadriel nach Mittelerde ziehen. Der Baum und seine Blätter haben eine starke Symbolkraft. Egal, wie sehr man sich auf Númenor bemüht, die Geschichte zu verdrehen und die eigene Leistung herauszustellen. Der Baum steht für die gottgleichen Valar, die über die Welt wachen. Und als seine Blätter fallen, löst es Angst vor einem negativen Urteil der „Götter“ aus. Das erklärt den Sinneswandel, den indes Pharazôn für sich nutzen möchte.

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