Review Staffel 2, Folge 8 „Gnade“ Picard auf der Spur von Seifenopern
Die 8. Folge der 2. Picard-Staffel bei Amazon versinkt über weite Strecken im Klischee von Seifenopern. Einige gelungene Momente reißen die Serie leider nicht mehr raus. Man kann nur um die verpassten Chancen trauern.
Die Welt ist so simpel: Wir alle leiden unter einem Trauma. Und wenn wir das überwinden, was uns als Spezies sogar einzigartig im Star-Trek-Universum macht, wird alles gut. Innerhalb weniger Sekunden. Das ist die Kernaussage der 8. Episode, die uns dann mit der Sanftheit einer Bratpfanne um die Ohren geschlagen wird. Vergessen wir Neugier, Sehnsucht, Forscherdrang, Liebe, Hass, Selbstsucht oder Gier: Es gibt nur den einen Antrieb. Das Trauma. Das ist die platte und simple Sichtweise auf die Menschheit, die, so vermuten wir, aus unzähligen Therapie-Sitzungen der Autoren und Serienmacher stammt. Wirklich tiefsinnig ist das aber leider nicht.
Und passend zu der Kernaussage wird in dieser Folge oft über Gefühle geredet. Da sind Rios und Dr. Teresa Ramirez. Und die hat an Bord der „La Sirena“ nichts anderes zu tun, als unserem Han-Solo-Abklatsch exzentrisch, aber vor allem leidenschaftlich anzubaggern. Wir haben schon verstanden, dass Teresa eine selbstbewusste, unabhängige Frau ist, die selbst entscheidet, wann der Moment dafür gekommen ist. Nämlich dann, wenn man im 21. Jahrhundert aus dem Nichts an Bord eines Sternenkreuzers landet. Uns fallen da viele andere Fragen ein, die man stellen könnte und wahrscheinlich auch würde. Aber wir halten Kurs auf die Seifenoper. Und wenn wir ehrlich sind: Rios hat sie und ihren Sohn nur zur „La Sirena“ gebracht, um anzugeben und sie zu beeindrucken. Das „Traumschiff“ eben.
Nun ist indes absehbar, dass er nicht zurück ins 25. Jahrhunderts reist, sondern dass er auf der Erde bleiben wird. Das zeigt sich bereits in Kleinigkeiten: Er zündet seine Zigarre mit einem Streichholz an, die er zwei Folgen zuvor so faszinierend am 21. Jahrhundert fand. Ja, er denkt, dass unsere Welt toll ist. Er war zwar in Abschiebehaft mit wenig sympathischen Polizisten und wurde in einen Bus ins Nirgendwo gesetzt. Aber das 21. Jahrhundert ist schon großartig. Um tatsächlich alle Zeitreise-Klischees auszureizen, müsste er dann sogar sein eigener Vorfahr werden. Wir sind uns fast sicher, dass es so passieren wird. Wie war das noch mit dem Schmetterlingseffekt und der Vorsicht bei Zeitreisen? Ein Sternenflotten-Offizier wie Rios wirft das alles über Bord. Hey, es geht um seine Gefühle, was interessieren da Vorschriften. Das kennen wir woher? Ach ja, Seifenopern.
So verliebt kann man nicht an alles denken: Das FBI findet nun doch seinen Kommunikator in der illegalen Klinik von Teresa. Offenbar ist das Gerät den Serienmachern wieder eingefallen. Aber hatte Rios den nicht bereits in der vergangenen Episode zurück? War das ein Ersatzgerät und er hat sich nie gefragt, was aus dem alten Teil geworden ist? Schließlich spielte das ja in Folge 3 eine große Rolle für ihn. Aber am Ende ist auch das egal. Viel wichtiger ist, dass Rios unter einem großen Trauma leidet: Er sucht eine Vaterfigur. Aber dank Teresa und ihrem Sohn kann er nun bald selbst ein Ersatz-Papa sein. Trauma gelöst. Und dafür wurde in der 2. Staffel mit der Brechstange großer Aufwand betrieben. Man muss eben Prioritäten setzen. Aber was soll man erwarten, wenn man die Borg-Königin in der vergangenen Episode nur aus einem Grund in eine Bar gehen lässt? Damit wir Patrick Stewarts Frau singen hören.
Das tut sie in dieser Folge nicht, dafür verkommt die Borg-Königin zunächst zu einem Auto-Batterien und Handy-Akkus fressenden Ungeheuer. Der Satz tut uns selbst weh. Dafür gibt es dann eine etwas wirre Erklärung: Sie benötigt Metalle, um ihre Nano-Sonden zu stabilisieren. Okay, wenigstens sind wir jetzt von den Endorphinen runter, obwohl die Königin offenbar Jurati noch nicht vollständig übernommen hat. Denn sie tötet Raffi nicht, sondern lässt sie plötzlich ohne Grund leben. Das ist aber dann auch gleich die Gelegenheit für Raffi, um über ihre Gefühle zu reden und wie manipulativ sie sei. Das hatte ihr Seven vorgeworfen. Egal, wie sehr die Zukunft am seidenen Faden hängt, es ist immer Zeit, über seine Emotionen zu sinnieren. Manches hat eben Priorität. Und es geht natürlich auch da um ein Trauma: Raffi hatte in einer Rückblende Herr-der-Ringe-Cosplayer Elnor dazu gebracht, der Sternenflotte beizutreten. Als er dann gestorben ist, fühlte sie sich schuldig und ließ ihre Wut an allen anderen aus. Jetzt hat sie sich ihr Trauma eingestanden. Vermutlich gilt das damit als überwunden und es wird alles gut. Wie in einer Seifenoper eben.
Und so wie bei dem FBI-Agenten Martin Wells. Das Positive zuerst: Die Schauspiel-Leistung von Jay Karnes ist richtig gut. Er stellt die Figur überzeugend dar. Alleine seine Mimik, als Picard ihm offenbart, dass er aus der Zukunft kommt, ist beeindruckend. Aber natürlich leidet er auch unter einem Trauma: Als Kind ist er in einem Wald Vulkaniern über den Weg gelaufen. Einer von ihnen hat versucht, sein Gedächtnis durch eine Gedankenverschmelzung zu löschen. Aber das ging schief. Auf einmal ist den Autoren dabei Kontinuität wichtig: In der Serie „Enterprise“ wurde etabliert, dass in dieser Zeit die Technik der Gedankenverschmelzung auf Vulkan verpönt ist. Vielleicht war der besagte Vulkanier darum auch nicht besonders geübt darin. Auf jeden Fall erinnert sich der FBI-Agent falsch an das Ereignis und glaubt, der Außerirdische wollte damals sein Gehirn zerdrücken oder die Augen ausquetschen. Davon getrieben sucht er darum nach Aliens, die er in Picard und Guinan gefunden hat. Aber es gibt kein Trauma, das nicht durch ein wenige Minuten langes Gespräch geheilt werden kann. Picard redet mit ihm, erklärt die Wahrheit und dann ist alles gut. Das Trauma ist ja jetzt auch überwunden.
Wells hilft ihnen und Jean-Luc und Guinan sind frei. Welchen Sinn das nun hatte, wissen wir nicht. Aber Guinan sagt ihm noch ein paar Dinge über die Zeit und dass manche Ereignisse genauso passieren müssen. Wegen der Zeit eben. Wir verstehen das nicht ganz. Wird das den Grundstein dafür legen, dass sein Nachfahre Lieutenant Ducane viele Jahrhunderte später die Zeitlinie in der Voyager-Episode „Relativity“ überwacht? Wir gehen zumindest davon aus. Denn diese Figur wurde 1999 ebenfalls von Jay Karnes gespielt. Das ist mal wieder Fan-Service. Und sein Name ist nicht nur eine Anspielung auf H. G. Wells, Autor des Romans „Die Zeitmaschine“: Lieutenant Ducane dient im 29. Jahrhundert und der besagten Voyager-Episode auf einem Schiff der Wells-Klasse.
Picard heilt jedes Trauma
Und uns stellen sich da noch mehr Fragen: Der FBI-Agent wirkt wie eine schlechte Fox-Mulder-Kopie aus „Akte X“. Und wie die Vorlage ist er besessen davon, die Existenz von Aliens zu beweisen. Dann hat er zwei festgenommen. Er weiß nicht, wie die reagieren oder welche Möglichkeiten sie haben. Aber ohne großen Schutz, ohne jede Überwachung oder Verstärkung geht er zu ihnen und konfrontiert sie? Das ist selbstbewusst. Es werden auch Handschellen und verschmiertes Blut gezeigt. Warum? Es führt am Ende zu nichts. Aus welchen Grund erscheint Guinan als geisterhafte Gestalt, die nur Picard sehen kann. Ernsthaft? Sind wir wieder bei „Poltergeist“? Und als Martin Wells dann die Wahrheit erfährt, fragt er noch nicht einmal: „Kann ich das Raumschiff sehen?“ Oder: „Wer sind diese Vulkanier und was wollen sie hier?“ Er ist seit seiner Kindheit von der Existenz von Aliens besessen. Aber Picard hat mit ihm geredet. Alles gut jetzt.
Zwischen diesen ganzen lahmen bis langweiligen Erzählungen ohne Sinn wurden dann aber ein paar Momente verstreut, die tatsächlich gelungen sind. So wie die Begegnung von Guinan und Q. Und John de Lancie spielt das zwischen Fatalismus, Sehnsucht und Verbitterung großartig. Vor allem erfahren wir nun endlich, dass die Q langsam sterben. So übermächtig und überlegen sie gewirkt haben, am Ende können sie dem Lauf der Zeit nicht entkommen. Und anfangs scheint sie das sogar gefreut zu haben. Endlich passierte etwas Neues, Ungewisses und Unerwartetes, über das sie keine Kontrolle hatten. Doch dann stellte sich die Ernüchterung ein. Was das nun genau mit Picard zu tun hat, wissen wir nicht. Aber wir hätten uns gewünscht, dass eben diese Entwicklung in den vergangenen Episoden sehr viel mehr im Vordergrund gestanden hätte. Dafür bekamen wir eine Reihe schlechter bis mittelmäßiger Folgen. Wir ziehen bereits jetzt ein erstes Fazit zu der 2. Staffel, aber hätte man sie auf sechs Teile beschränkt, hätte ihr das gutgetan. Sie würde dann auch nicht dermaßen lang gestreckt wirken. Man hat in den vergangenen Episoden sehr viel Zeit vertrödelt mit Entwicklungen, die ins Nirgendwo geführt haben oder erzwungen waren, weil man keine Story hatte, die so lange trägt.
Dafür wird plötzlich die Erzählung um Soong und seine „Tochter“ Kore völlig überhastet inszeniert. Wie wir bereits gesehen haben, geht sie durch die Dateien ihres Vaters. Warum er seinen Computer nicht verschlüsselt hat, bleibt sein Geheimnis. Und ja, sie ist tatsächlich ein Experiment, das bereits viele Mal fehlgeschlagen ist. Q, der offenbar nicht alle seine Fähigkeiten verloren hat, hat sich indes in das Computernetzwerk von Soong gehackt. Nein, von IT-Sicherheit hält der geniale Wissenschaftler wirklich nicht viel. Virtuell macht er Kone dann ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann. Er heilt ihre Gen-Defekte und schenkt ihr die Freiheit. So ganz klar ist indes nicht, was er dafür erwartet. Wir bleiben bei unserer Vermutung, dass es zu den Eugenischen Kriege und Khan Noonien Singh führen wird. Wir hoffen aber, dass Kone nicht zu einer neuen weiblichen Interpretation von Khan wird. Das würde selbst Picard in einige Erklärungsnöte bringen: Warum sahen beispielsweise die Androiden dann in der ersten Staffel aus wie Khan? Und warum hat es niemand bemerkt? Auf jeden Fall verlässt sie ihren Schöpfer in dieser Episode. Und weil Q involviert ist, wird das vermutlich Folgen haben. Es klingt zumindest spannender als fast alles andere, dass wir gesehen haben. Derzeit ist die Story aber ein wenig ziellos.
Dafür brilliert Brent Spiner als egomanisches Genie mit einem Gott-Komplex. Das ist zwar auch ein Klischee. Mal wieder. Aber es ist wenigstes gut umgesetzt. Bis er auf die Borg-Königin trifft. Oder besser: Sie auf ihn. Da steht also plötzlich eine Frau in einem etwas mitgenommen roten Kleid in seinem Eingang. Und seine Reaktion? Fast gar keine. Passiert das öfter in seinem Haus? Dann folgt der Satz: „Ich muss nicht erwähnen, dass Widerstand zwecklos ist.“ Jurati sieht nicht aus wie typische Borg. Und selbst wenn, Soong hatte noch nie Kontakt mit ihnen. Wie soll er diesen Satz also einordnen? Das ist nicht mehr als Fan-Service. Erneut.
Diese fremde Frau beklagt sich nicht nur über das lahme Internet. Will sie ihm einen neuen Anbieter vorstellen? Nein, sie stellt ihm vor die Wahl: Er kann als ein Niemand in der Geschichte verschwinden. Dann macht sie ihm ein Angebot, das den Nerv seines Größenwahns trifft. Er wird zum gefeierten Retter der Erde, die sich ökologisch immer mehr in eine Sackgasse bewegt. Unter einer Bedingung: Er soll zusammen mit der Borg-Königin Jean-Luc Picard aus dem Weg räumen, um dann die Europa-Mission mit Renée Picard zu verhindern. Wir haben es schon einmal gesagt: Dieses etwas simple Geschichtsbild, das eine Person und ein Ereignis die Entwicklung über Jahrhunderte entscheidend prägen wird, ist recht naiv. Aber auch Q wollte Renée Picards Flug verhindern. Als ihr Psycho-Therapeut hätte er natürlich einfach mit einem Stock auf sie einschlagen oder ihr einen verdorbenen Fisch servieren können. Das alles hätte ihre Teilnahme an der Europa-Mission bereits verhindert.
Auf jeden Fall verführt die Borg-Königin Soong. Sie erhält die nötigen Ressourcen für weitere Nano-Roboter. Und der Wissenschaftler sorgt dafür, dass seine gentechnisch verbesserten Soldaten zur Verfügung gestellt werden. Die werden von der Borg-Königin zwar nicht direkt assimiliert, aber dafür mit den Nanorobotern noch weiter modifiziert – um die „La Sirena“ zu übernehmen und Jean-Luc Picard auszuschalten. Das ist tatsächlich spannend, auch wenn wir Annie Wersching als Borg-Königin vermissen. Mittlerweile hat Alison Pill als Jurati-Borg ihre Rolle völlig übernommen.
Diese Story könnte ebenfalls die Tür zu den Eugenischen Kriegen öffnen. Warum das alles nun in Rekordzeit erzählt wird, verstehen wir indes nicht. Eine rote Linie lässt sich ohnehin nicht mehr erkennen. Die Serienmacher haben in der gesamten Staffel und vor allem in dieser Folge zu viel Zeit mit Belanglosigkeiten, unlogischen, wenig durchdachten Erzählungen und langweiligen Charakteren vergeudet. Dafür halten sich wenigstens die Zitate und Referenzen in der 8. Episode in Grenzen. Vielleicht sind aber nur die Post-Its an den Drehbüchern verloren gegangen, welche Bezüge zu vergangenen Serien und Filmen man da noch unbedingt einbauen soll. Dafür wissen wir nun, dass nur traumatisierte „Psychos“ Karriere in der Sternenflotte machen. Und die sind auch nicht immer die hellsten Kerzen auf der Torte.