„Picard“ bei Amazon Star Trek ist tot

Mit den Serien „Discovery“ und nun „Picard“ versucht der US-Sender CBS die Marke „Star Trek“ wiederzubeleben. Tatsächlich wurde das, was die Reihe einst auszeichnete, zu Grabe getragen. Eine Polemik.

 Nostalgie soll in „Picard“ die inhaltliche Leere ausfüllen.

Nostalgie soll in „Picard“ die inhaltliche Leere ausfüllen.

Foto: Amazon

Es war einmal in den 1960ern. Da hatte ein Mann namens Gene Roddenberry eine Vision. Von einer Menschheit, die sich weiterentwickelt und ihre Differenzen überwunden hat. Die voller Neugier und Entdeckergeist zu den Sternen aufbricht – um „fremde Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen zu suchen, mutig dorthin zu gehen, wo noch niemand zuvor gewesen ist“. Mit diesen Worten wurde sowohl die Original-Serie aus den 1960ern eingeleitet als auch der Nachfolger „The Next Generation“ in den 80ern und 90ern des vergangenen Jahrhunderts.

Und diese Worte waren ein Versprechen. Sie fassten alles zusammen, was „Star Trek“ ausmachte. Da war eine Schiffsbesatzung, in der Männer und Frauen, Russen, Japaner, Amerikaner und Außerirdische zusammenarbeiten konnten. Geld spielte tatsächlich keine große Rolle mehr. Es ging viel eher darum, sich weiterzuentwickeln und all das Fremde zu verstehen, auf das man traf. Natürlich konnte man über außerirdische Zivilisationen und Konflikte innerhalb des Teams auch aktuelle Probleme unserer realen Welt analysieren. Die Episoden verschafften den Zuschauer neue Perspektiven oder Einsichten, sie bewegten sie und ließen sie nicht kalt.

Später dann kamen mit „Deep Space Nine“ eine Serie hinzu, die auf intelligente und durchdachte Weise auch Licht auf die dunklen Seiten der Föderation der Planeten warf – oder die hehren Moralvorstellungen einer Menschheit aus dem 24. Jahrhundert auf die Probe stellten. Es folgten noch „Voyager“ und „Enterprise“, die aber die Reihe kaum noch weiterentwickelten und stellenweise bereits Rückschritte waren.

Und nun – mehr als 20 Jahre später – gibt es wieder „Star Trek“. Aber der Zauber ist verflogen. Die Marke ist Marketing-Experten, schlechten Drehbuchautoren und Produzenten geopfert worden. Und geblieben ist nur eine leblose Hülle, die ausgeschlachtet wird. Das jüngste Beispiel dafür ist „Picard“. Patrick Stewart wollte noch einmal in die Rolle des legendären „Next Generation“-Captains schlüpfen. Die Erwartungen waren groß. Das Ergebnis aber ist niederschmetternd.

Die Hauptgeschichte schreitet über die zehn Episoden so langsam voran, dass ein zweistündiger Film gereicht hätte. Und die Story greift ein mittlerweile abgedroschenes Science-Fiction-Klischee auf: die Warnung vor künstlichen Intelligenz. Das war schon Thema bei Terminator und Matrix, bei „Star Trek“ selbst und vor allem bei der Serie „Battlestar Galactica“. Zumal man auch noch einige Elemente aus der Computerspielreihe „Mass Effect“ übernommen hat – in der es ebenfalls um künstliches Leben geht. Und gerade die letzte Episode ist stark inspiriert von der Story des Spiels.

Jean-Luc Picard ist in einem Raumschiff unterwegs mit einer zusammengewürfelten Mannschaft, die alle Probleme mit Obrigkeiten haben. Zusammen wollen sie das Geheimnis eines Mädchens ergründen. Das klingt nicht nur zufällig nach der Serie „Firefly“. Wo „Star Trek“ einmal stilbildend und Vorreiter war, nimmt man verbrauchte Elemente auf – und setzt die auch noch schlecht zusammen. Denn die Hauptgeschichte wirkt nicht sonderlich tiefgründig oder nuanciert. Man hat da offenbar nicht mehr zu sagen als die Vorlagen, bei denen man sich bediente – und die ihre Storys ausgefeilter, intelligenter und vielschichtiger präsentierten. Und das macht es leider auch belanglos.

Das gilt auch für das gesamte Fundament der Story: Die weltoffene, tolerante Sternenflotte stand einst für die Erforschung des Weltraums, für Solidarität und Hilfsbereitschaft. Nun ist sie plötzlich isolationistisch. Sie pflegt Vorbehalte und Vorurteile und entspricht ganz und gar nicht mehr der Vision Roddenberrys.

Das kann man machen. Das wäre auch kein Problem. Aber dann müsste man schon erklären, was dazu geführt hat und wie es dazu gekommen ist. Was hat zu der Veränderung geführt? Eine intelligente Antwort darauf, und alles wäre gut. Die gibt es aber nicht. Es ist anders, weil es den Verantwortlichen – insbesondere Patrick Stewart und Alex Kurtzman als Hauptproduzenten – eben so passte. Mit dem Holzhammer sollte ein Bezug zum Brexit und den Vereinigten Staaten Donald Trumps hergestellt werden. Das hat „Star Trek“ früher besser, stimmiger, intelligenter geschafft. Zumal der Ansatz im Laufe der Serie dann aus den Augen verloren und zu einem Randaspekt wird.

Was genau wollte man uns damit also sagen? Und wäre die Geschichte über eine Föderation, die sich wandelt, nicht vielleicht die bessere Hauptstory gewesen als die simple Erzählung einer Androidin? Zumindest hätte man so den Brexit und Donald Trump sehr viel besser reflektieren können. Das war dann aber anscheinend schon zu komplex.

Und wurde in „Next Generation“ etabliert, dass Geld in 24. Jahrhundert keine Rolle mehr spielt, ist es plötzlich doch wichtig. Und die Föderation hat die Hilfe für die Romulaner eingestellt, weil 14 Welten sich dagegen ausgesprochen haben – vor mehr als 150 Mitgliedern und 1000 Kolonien. Noch nicht einmal das einflussreiche Volk der Vulkanier hat etwas unternommen, um ihren Verwandten zu helfen? Vorbei sind die Zeiten von „Star Trek VI“: Als es um die Hilfe für die gegnerischen Klingonen ging, schuf man aus den unterschiedlichen Ansichten dazu einen ganzen Film. In „Picard“ füllt es noch nicht einmal eine Episode. Als eine andere Serie ohne den großen Namen hätte das vielleicht noch funktioniert. Im „Star Trek“-Kontext wirkt das wie schlechte Fan-Fiction.

Und das alles übergießt mit dann noch mit dem dicken Zuckerguss namens Nostalgie. Da taucht in „Picard“ der Publikumsfavorit Data auf. Die Borg waren immer beliebte Gegner. Die kommen auch mit rein. Wen kann man von der alten Besatzung gewinnen? Alles, um über die inhaltliche Leere hinwegzutäuschen.

Darin offenbart sich die Schwäche der Autoren. Mit Sicherheit haben die einen grandiosen Abschluss in Fächern wie „Kreatives Schreiben“. Aber Science Fiction erfordert eben etwas mehr: nämlich ein Gefühl dafür, was es heißt ein fiktives, komplexes, durchdachtes Universum aufzubauen und weiterzuentwickeln.

Und eben darunter leiden „Discovery“ und „Picard“. In beiden Fällen ist Alex Kurtzman mittlerweile der Hauptverantwortliche. Und der hat nicht das Universum entwickelt, sondern er hat es so lange verändert und verdreht, bis es zu den eigenen Ideen passte. Die Folge „Amok Time“ beispielsweise der klassischen Serie aus den 1960-Ern wurde von dem Autoren Theodore Sturgeon geschrieben. Und der hatte sich intensive Gedanken gemacht, was Sexualität für Vulkanier bedeutet – wenn deren Leben von Logik geprägt ist. So intensiv hat sich bei den neuen Serien niemand mit „Star Trek“ auseinandergesetzt. Und darum wirkt es so beliebig, inkonsistent und wenig tiefgründig.

Zu den erzählerischen Schwächen passt dann auch, dass der alte Jean-Luc Picard sich nicht wie der legendäre Captain verhält. Er ist nicht mehr nachdenklich, abwägend, souverän oder zitiert klassische Literatur. Er ist kein Anführer mehr. Vielmehr wirkt er wie das Klischee eines störrischen, selbstgefälligen, rechthaberischen und bisweilen alles andere als mitfühlenden alten Mannes. Und in seiner eigenen neuen Serie scheint er oft nur noch Nebendarsteller zu sein, der anderen die Initiative überlässt. Da hilft es auch nicht, Picard eine Krankheit anzudichten, die alles erklären soll. Das ist nicht nur erzwungen. Das ist auch eine Beleidigung in Richtung der Fans, die mit dem Namen Picard gelockt wurden: Sorry, das ist eben nicht mehr euer alter Captain. Wir haben den Charakter recht willkürlich verändert. Aber der ist ja krank. Zwinkersmiley.

Seven of Nine erkennt man ebenfalls nicht wieder. Die kühle, sachliche, reservierte Ex-Borg ist nun ein zynischer, versoffener Söldner. Erklärt wird das nicht. Besondere Mühe hat man sich so nicht gemacht. Auch nicht bei den Nebenfiguren, die keinen Tiefgang haben. Oder sie gewinnen an Bedeutung durch sehr glückliche Zufälle – die so glaubwürdig sind wie ein Sonnenuntergang am Morgen. Die Nebendarsteller sind vor allem anwesend und wirken nach Marketinggesichtspunkten ausgewählt: ein Latino als Captain, eine weiße Mittelschicht-Frau als Wissenschaftlerin. Dazwischen noch ein paar gut aussehende Männer. Mal sehen sie wild aus, andere wirken wie aus dem Modemagazin. Wie bei einer Boygroup ist für jeden etwas dabei, und alle zusammen haben keine Persönlichkeit. Wer zum Beispiel ist Raffi Musiker? Sie hat über zehn Episoden nur eine Aufgabe: Sie bringt Picard und Rios zusammen. Sie hat aber eine enge Beziehung zu Jean-Luc, den sie JL nennt. Warum? Wer war sie früher? Was verbindet sie mit Picard? Ach egal. Hauptsache wir haben auch noch einen dunkelhäutigen Charakter. Das Budget reichte offenbar nicht, um auch noch LeVar Burton als Geordi La Forge aus „Next Generation“ zu verpflichten.

Gene Roddenberry war nicht so berechnend, als er seine Figuren entwarf. Privat mag er eine eher zwielichtige Figur gewesen sein. Samt Affären und Alkohol-Eskapaden. Aber er war eben auch ein Visionär, der bis an die Grenzen des Möglichen ging: Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte in seiner Serie eine Frau die Rolle des Ersten Offiziers übernommen. Das war in den 1960-Ern zu fortschrittlich. Darum musste er Abstriche machen. Aber dennoch schuf er keine simplen, leeren Identifikationsfiguren, die unbedingt gefallen sollten. Er entwickelte eine Mannschaft mit ikonischen Figuren: Spock, Kirk, Scotty, McCoy, Uhura waren keine Charaktere, die Marketing-Regeln folgten. Sie wirkten echt und wurden so zu Vorbildern, die mehrere Generationen inspirierten. Viele junge Menschen wollten Wissenschaftler werden wie Spock, Ärzte wie McCoy, Ingenieure wie Montgomery Scott oder Führungsfiguren wie Kirk. Ähnliches trifft auch auf „Next Generation“ zu mit Captain Picard, Dr. Crusher, dem Klingonen Worf, dem blinden Ingenieur LaForge.

Es war nicht alles perfekt in den alten Serien. Man erinnert sich an die bewegenden, erhebenden Momente. Man vergisst leicht, dass es in allen Star-Trek-Serien auch schlechte bis peinliche Episoden gab. Insbesondere die Original-Serie aus den 1960-Ern ist sehr schlecht gealtert. Die Tricktechnik, Kirks Machismo ­– das alles passt nicht mehr in unsere Zeit. Und die Nachfolger „Next Generation“, „Deep Space Nine“, „Voyager“ und „Enterprise“ hatten alle mit ihren jeweiligen ersten beiden Staffeln erhebliche Anlaufschwierigkeiten. Und dennoch blieb man dabei. Wegen der Charaktere, wegen des faszinierenden Star-Trek-Universums und der Größe der Reihe.

Dann kamen „Discovery“ und „Picard“: Die neuen Serien schaffen keine Ikonen, die durch Persönlichkeit bestechen. Sie orientieren sich an Zielgruppen. Beispiel Discovery: Man führt mit Michael Burnham einen weiblichen Charakter mit afroamerikanischen Wurzeln ein. Aber sie kann nicht für sich stehen. Alles muss irgendwie verbunden sein – wegen des Nostalgie-Faktors: Sie ist natürlich die niemals erwähnte Adoptivschwester der Star-Trek-Ikone Spock und auf Vulkan aufgewachsen. Ihr Leben wurde darum von Logik geprägt. Durch die Serie hinweg beweisen die Autoren aber nur, dass sie keine Ahnung haben, was das heißt. Mal handelt sie rational, dann emotional – wie es gerade eben passt. Hat das noch etwas mit der Vorgesichte zu tun? Das spielt keine Rolle. Damit aber ist sie kein Charakter, sondern nur eine Marketing-Puppe. Und das einzige hervorstechende Merkmal ist ihr männlicher Vorname.

Für die durchschnittliche, amerikanische Hausfrau wählte man mit Sylvia Tilly einen hypernervösen Charakter – ohne Führungsqualitäten oder sozialer Kompetenz. Aber dennoch ist niemand besser geeignet als sie, eines Tages Captain zu werden. Warum? Weil es so ist. Das ist von jedem Sinn befreit, aber die Zielgruppe soll mit ihrer Identifikationsfigur zufrieden sein. Tiefgang oder etwa Entwicklung zur Führungsfigur? Das ist unwichtig.

Nein, das ist es nicht. Erst recht nicht, wenn man bei Science Fiction etwas Wesentliches vergisst: Science. Der Sporen-Antrieb aus Discovery ist eine Beleidigung für jeden halbwegs wissenschaftlich gebildeten Verstand. Die Gefahr für die Romulaner war schon im Film „Star Trek“ aus dem Jahr 2009 an den Haaren herbeigezogen. Das Drehbuch hatte damals Alex Kurtzman mit geschrieben. Und der ist so verliebt in seine eigene schlechte Idee, dass er sie in Picard wiederverwendet. Aber sind die Romulaner tatsächlich zu dumm, die Gefahr einer Supernova zu entdecken? Obwohl sie Schiffe auf Basis einer Quanten-Singularität bauen? Und besteht das große Romulanische Imperium nur aus einem Planeten? Oder warum sonst hilft niemand und ist der mächtige Gegner vergangener Serien ohne die Föderation verloren? Die Reihe nahm einst Smartphones und Tablets vorweg. Sie sah Sprachassistenz-Systeme voraus – und den Warp-Antrieb, der zumindest theoretisch tatsächlich möglich ist. Discovery und Picard dagegen haben nichts zu bieten – außer jeder Menge wissenschaftlichen Unsinn und gewaltigen Logiklöchern.

„Star Trek“ existiert nicht mehr. Zumindest nicht das „Star Trek“, das einen kulturellen Einfluss hatte, das relevant war, das Menschen inspirierte, das nachdenklich stimmte. „Picard“ und „Discovery“ plätschern belanglos vor sich hin. Serien wie „The Orville“ oder „The Expanse“ haben längst das Erbe angetreten.

Meldet sich da ein enttäuschter Fan der Original-Serie, der nicht Neues zulassen möchte? Nicht wirklich. Es hat bis ins späte Teenager-Alter gedauert, bis der Autor überhaupt mit „Star Trek“ warm geworden ist. Erst über „Next Generation“ und „Deep Space Nine“ wurde er zum Fan – und lernte das Universum zu schätzen. Und er ist enttäuscht davon, was aus der Reihe mittlerweile geworden ist. „Star Trek“ ist nur noch eine Erinnerung – und leider tot.

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