„Inventing Anna“ bei Netflix Wie eine falsche Erbin richtig berühmt wurde

Düsseldorf · Die neue Netflix-Serie „Inventing Anna“ erzählt von der Hochstaplerin Anna Sorokin. Unter dem Namen Anna Delvey narrte sie jahrelang die New Yorker High Society.

 Julia Garner als Anna Sorokin (l.) mit Katie Lowes in „Inventing Anna“.

Julia Garner als Anna Sorokin (l.) mit Katie Lowes in „Inventing Anna“.

Foto: Netflix

Nun hat sie es tatsächlich geschafft. Die Menschen reden über sie. Obwohl sie erst 31 Jahre alt ist, wurde eine Serie über sie gedreht. Anna Sorokin ist weltberühmt. Auf eine andere Weise als vorgesehen zwar. Aber wahrscheinlich ist das völlig egal. Fame ist Fame.

 „Inventing Anna“ heißt die neue Netflix-Serie, die in neun Teilen die Geschichte der Anna Sorokin erzählt. Unter dem ausgedachten Namen Anna Delvey narrte sie zwischen 2015 und 2017 die New Yorker High Society. Die Frau, die in Russland als Tochter eines LKW-Fahrers geboren wurde, mit den Eltern nach Deutschland zog und in Eschweiler aufwuchs, gab sich in den USA als vermögende Tochter aus. Sie erzählte von einem 60 Millionen Dollar schweren Treuhandfonds, den ihr Vater für sie aufgesetzt habe. Der Zugriff darauf gestalte sich bisweilen etwas schwierig. Deshalb könne sie mitunter Restaurantbesuche, Champagner-Gelage, Luxussuiten und die Balenciaga-Notversorgung nicht bezahlen. Deutsche Kreditkarten funktionierten in Amerika nicht verlässlich, und wenn Daddy sauer sei, drehe er den Geldhahn schon mal ab. Aber – tränenfeuchter Augenaufschlag – bestimmt nicht für lange Zeit.

 Die Hochstaplerin kam damit durch, sie fand immer jemanden, der mit seiner Kreditkarte aushalf; bei den meisten kam es ohnehin nicht so drauf an. Auch dann nicht, wenn Anna Sorokin die Kreditkarte noch ein paar Tage behielt und damit shoppen ging. In ihrem Instagram-Profil präsentierte sie sich mit den richtigen Leuten, sie trug die besten Designer auf die genau richtige Art, sie kannte die Weine, die man gerade trank, das genügte den meisten. So ist denn Anna Sorokin ein Beispiel für die Kraft einer überzeugend erzählten Geschichte: Ihr gelang es, ein imaginäres Vermögen derart plastisch zu beschreiben und zu verkörpern, dass die Illusion stärker war als die offensichtliche Bargeldlosigkeit.

Sorokin sammelte Geldgeber für ihr Projekt. Die Anna Delvey Foundation sollte eine Kunststiftung mit Mitgliederclub nach dem Vorbild des Soho House werden. Sie hatte als Adresse das berühmte Church Mission House an der Park Avenue ins Auge gefasst. Und sie war drauf und dran, ihr Ziel zu erreichen. Die am schwersten zu überzeugenden Mäzene machten mit, die gewieftesten Finanzmanager vertrauten der 26-Jährigen. Es war fast alles in trockenen Tüchern. Und so absurd es auch anmutet: Wahrscheinlich hätten am Ende tatsächlich alle Beteiligten Gewinn gemacht. Bis ein Geldgeber pro forma einen Mitarbeiter in die Schweiz schickte, um sich routinemäßig davon zu überzeugen, dass beim Vermögensverwalter Delveys alles in Ordnung sei. War es natürlich nicht. Es gab weder Verwalter, noch Vermögen. Kurz danach wurde Anna Sorokin ins berüchtigte Gefängnis Rikers Island gebracht.

 Die Netflix-Serie mischt Fakten mit Fiktion. In der Rahmenhandlung begleitet das Publikum die Journalistin des „Manhattan“-Magazine, die ein großes Porträt über Anna Sorokin schreibt und die Persönlichkeit der als „falsche Erbin“ titulierten Frau zu ergründen versucht. Sorokin ging es nicht um das Geld, das ist die Botschaft. Sondern ums Dazugehören. In Rückblenden sieht man Julia Garner in der Titelrolle mit der angemessenen Prise Arroganz unterm Eiffelturm, an azurblauen Wasserflächen oder in Räumen mit hohen Golddecken posieren. Eigentlich hatte sich Sorokin für die Hauptrolle Jennifer Lawrence gewünscht. Sorokin sitzt zu Beginn der ersten Folge bereits im Gefängnis und steuert von dort aus, wie über sie berichtet wird. Um 275.000 Dollar prellte sie die Anleger. Auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft geht sie nicht ein. Sie will ihre Auftritte. Den Gerichtssaal betritt sie dann auch stets in Designermode.

 Natürlich lebt die Produktion von der Frage: Wie hat sie das bloß gemacht? Wie hat sie sie harten Hunde auf Yachten und in Wolkenkratzern um den Finger gewickelt? Die Serie deutet das bloß an, das Geheimnis zu lüften vermag auch sie nicht. Sorokin konnte reden, sie hatte keine Angst vor Autoritäten, sie kannte keine Scham. Als sie nach der Verurteilung und 20 Monaten Haft wegen guter Führung entlassen wurde, ging sie direkt zurück nach New York. Sie engagierte sogar einen Dokumentarfilmer, der ihren Neustart protokollieren sollte. Immerhin war sie ja nun wirklich so etwas wie ein Promi. Netflix hatte ihr noch im Gefängnis die Rechte an ihrer Geschichte für 320.000 Dollar abgekauft. Kurz nach ihrer Freilassung wurde sie in Abschiebehaft genommen, wo sie bis heute sitzt.

 Die Erfolgsproduzentin Shonda Rhimes („Bridgerton“, „Grey’s Anatomy“, „Scandal“), deren Firma einen Exklusivvertrag mit der Streamingplattform hat,  verfilmte den Fall. Und sie macht aus Anna Sorokin eine Figur, die symptomatisch anmutet für die Trump-Ära. Ähnlich wie Billy McFarland, der über die Werbung für sein elitäres Musikfestival „Fyre“ vergaß, das Ereignis überhaupt zu organisieren, steht sie für den Sieg des Image über die Realität. Ein anderes Beispiel ist die Unternehmerin Elizabeth Holmes, die hochmögende Menschen täuschte, indem sie einen Bluttest avisierte, der angeblich 240 Krankheiten nachweisen könne. Auf 4,5 Milliarden wurde ihr Unternehmen 2015 geschätzt. Dann kam raus, dass der Test nur Herpes verifizieren konnte.

 „Inventing Anna“ ist ein Roman aus der Wirklichkeit. Die einen empfinden Schadenfreude, die anderen Abscheu. Und Sorokin selbst? „Anna Delvey ist ein Meisterwerk“, sagt sie in der Serie.

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