Nach „Squid Game“-Hype Netflix feiert mit „Hellbound“ nächsten Erfolg aus Südkorea

Seoul · Nach dem Welterfolg „Squid Game“ hat der Streamingdienst Netflix mit „Hellbound“ seinen nächsten Hit veröffentlicht. Auch der kommt aus Südkorea. Das ostasiatische Land wird zur Popkulturgroßmacht, die Sozialkritik übt.

 Das Logo des Video-Streamingdienstes Netflix (Symbolfoto).

Das Logo des Video-Streamingdienstes Netflix (Symbolfoto).

Foto: dpa/Alexander Heinl

„Man sagt, dass etwas Seltsames erscheint“, berichtet Min Hye-jin mit kühler, aber ängstlicher Stimme. Das Bild wechselt von den starren Augen und den sich vorsichtig bewegenden Lippen der Anwältin in die Ferne. Da sitzt ein Mann an einem Ufer und fühlt sich plötzlich überfallen. „Dann prophezeien sie deinen Tod. Und am erklärten Datum bringen sie dich in die Hölle“, erklärt Kim. Der erschrockene Mann am Ufer fällt ins Wasser, beginnt panisch zu strampeln. Und scheint nur noch einen Schritt von der Hölle entfernt.

Die dunklen Bilder und die brachialen Klänge, die sich hier ausbreiten, erzeugen ein Gefühl von Obacht und Angst, aber auch Spannung und Voyeurismus. Und diese Mischung dürfte ein Grund sein, warum „Hellbound“ nach seinem Start am 19. November nur einen Tag brauchte, um schon die Bestenlisten mehrerer Länder anzuführen. Die Neue Serie auf der Videobezahlplattform Netflix ist gerade dabei, den selbst noch jungen Rekorderfolg „Squid Game“ schon vom Thron gestoßen. In mehr als 20 Ländern heißt die beliebteste Netflix-Serie mittlerweile „Hellbound.“

Dass es die Fantasy-Produktion derart schnell an die Spitze mehrerer Märkte geschafft hat, überrascht zunächst – zumal im Vergleich zu „Squid Game.“ „Hellbound“ ist optisch weniger farbenfroh, es fehlt auch das Spielerische in den Dialogen und Bildern, das bei „Squid Game“ alle möglichen Brutalitäten so leicht konsumierbar macht. Außerdem kann „Hellbound“ noch weniger als „Squid Game“ auf den ersten Blick als realistisch bezeichnet werden. Hier erscheinen übernatürliche Wesen, die Hölle scheint eine wirkliche Parallelwelt zu sein.

Dabei bietet sich der Vergleich zwischen diesen zwei Serien nicht nur deshalb an, weil sie so erfolgreich sind. Sie haben eine weitere beeindruckende Gemeinsamkeit: Beide sind Produktionen aus Südkorea und ordnen sich damit in eine mittlerweile längere Reihe von hochgelobten oder hocherfolgreichen Produktionen aus dem ostasiatischen Land ein. Spätestens mit „Hellbound“ als dem nun zweitem Welthit auf Netflix dürfte bis zum hintersten Teil der Welt durchgedrungen sein, dass sich Südkorea als Großmacht der globalen Popkulturindustrie etabliert hat, die zugleich Gesellschaftskritik übt.

In der Musikbranche haben sich südkoreanische Gruppen schon über ein Jahrzehnt Schritt für Schritt weltweit etabliert. Zunächst eroberten Gruppen wie Big Bang, Girls‘ Generation und BTS den asiatischen Markt, dann begeisterten sich auch Millennials westlicher Länder. Die Fans fallen oft durch eine gesellschafspolitisch liberale Haltung auf, haben nicht nur ein feines Gespür für diverse Formen von Diskriminierung offenbart, sondern fielen auch wiederholt mit Aktivismus auf. So wurden Events des Ex-US-Präsidenten Donald Trump sabotiert und rechte Hashtags auf Twitter gekapert. Insbesondere die Gruppe BTS hat sich gegenüber ihren Fans hierfür nicht distanziert, sondern bedankt.

Eine kritische Haltung fällt auch im südkoreanischen Kino- und Seriengeschäft auf. Im Jahr 2020 schrieb „Parasite“ Geschichte, als erstes nicht-englischsprachiges Werk den Oscar für den besten Film gewonnen zu haben. Er handelt von der mal wohlwollenden, mal brutalen Klassengesellschaft, die der Kapitalismus in Südkorea über die letzten Jahrzehnte hervorgerufen hat. „Parasite“ besticht durch mächtige Bilder, Dialoge und Sound, kommt außerdem trotz Blutrünstigkeit ohne große Schuldzuweisungen aus. Schuld hat das System, sie ist das System.

Ähnlich wie in „Squid Game“, wo hochverschuldete Menschen bei einer Reihe von Spielen mitmachen, um als mögliche Sieger ein neues Leben beginnen zu können. Hunderte Hoffnungslose treten gegeneinander in Kinderspielen an; wer verliert, wird auf der Stelle erschossen. Die grausamen Events werden veranstaltet von einer kleinen Gruppe Superreicher, die sich gut unterhalten wollen. Und beim Zusehen dürfte auch dem Publikum vorm Bildschirm die Frage kommen: Gehöre auch ich zu denen, die hier die Brutalität der Welt mit viel Spaß und Action konsumieren? Ist sogar Kapitalismuskritik nur ein Konsumgut, wenn ich sie Bezahlfernsehen schaue?

Dieser doppelte Boden findet sich auch in „Hellbound“, dem neuen Großerfolg auf Netflix. Die genau angekündigten und auch durchgeführten Tode bringen Südkoreas Hauptstadt Seoul in Aufruhr. Und während sich die Menschen der 10-Millionenmetropole fürchten, dass jeder von ihnen der nächste sein könnte, bietet eine religiöse Gruppe Erklärungen. Bei den Toten handle es sich um Sünder, die von Gott bestraft werden, behauptet da die Gesellschaft „Neue Wahrheit.“ Schnell steigt die Mitgliederzahl der Sekte. Ihr militanter Arm „Speerspitze“ jagt diejenigen, die sich den Darstellungen der „Neuen Wahrheit“ entgegenstellen.

Die Anwältin Min Hye-jin, die Opfer der „Speerspitze“ vertritt, gerät irgendwann in ein Zweifeln höherer Ordnung: Wer sind hier die wirklichen Monster? Sind es die allseits gefürchteten Wesen, die Menschen töten, oder die Menschen selbst, die unerklärte Phänomene politisieren und die Gesellschaft brutaler machen? Ähnlich wie „Squid Game“ den rücksichtslosen Kapitalismus, die Kriminalisierung von Gewerkschaftern und das wachsende Problem der Privatverschuldung anspricht, dürfte zumindest das südkoreanische Publikum auch in „Hellbound“ einige Parallelen zum wahren Leben im eigenen Land erkennen.

Genauso wenig wie Verschuldete in Südkorea einfach erschossen werden, ist auch nicht überliefert, dass übernatürliche Monster vermeintliche Sünder töten. Allerdings wird im ostasiatischen Industriestaat sehr wohl im großen Stil mit dem Glauben und der Angst der Menschen gespielt. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem 1953 in einem Waffenstillstand geendeten Koreakrieg ist die südkoreanische Gesellschaft nicht nur reicher geworden, sondern auch gläubiger. In den vier Boomjahrzehnten bis zur Jahrtausendwende galt das Christentum als ideologischer Überbau des Kapitalismus, der reich machte. So etablierten sich diverse Riesenkirchen im Land, die sich bald auch in Politik und Privatleben der Menschen einzumischen begannen.

Bis heute sagt man in Südkorea, dass Politiker kaum eine Wahl ohne Unterstützung der Kirchen gewinnen können – schließlich ist das Christentum noch vor dem historisch stärker verankerten Buddhismus die am meisten befolgte Glaubensrichtung. Gerade die so genannten „Megakirchen“, die in riesigen Arenen an die 20.000 Gläubige zu ihren Predigten anziehen, machen an Sonntagen häufig rechte Politik: Gegen einen stärkeren Sozialstaat, gegen Verständigung mit Nordkorea, gegen ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das Frauen und Homosexuelle schützen würde. Und prägen damit die politischen Debatten im Land.

Wer „Hellbound“ sieht und die Realität in Südkorea kennt, wird nicht umhinkommen, in der Instrumentalisierung von Glauben auch die große und oft missbrauchte Macht der Megakirchen im Land zu erkennen. Dazu passt dann auch die im Vergleich zu „Squid Game“ düstere Stimmung, die die ganze Serie prägt. Anders als der Kapitalismus, den auch das kritische Publikum meist kaum ganz abschaffen will, hat der Ruf der Kirchen im Land viel grundsätzlicher gelitten. Immer wieder gab es zuletzt Korruptionsskandale. Und die Generation jüngerer Menschen sucht ihr Heil viel weniger im Christentum als noch deren Eltern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort