Netflix zeigt die 3. Staffel Daredevil - der gebrochene Held

Düsseldorf · Am 19. Oktober startet bei Netflix die 3. Staffel der Superhelden-Serie „Daredevil“. Wir konnten die ersten sechs von 13 Folgen bereits sehen: Es wird düster in New York, und Helden können auch zerbrechen. Achtung: Der Text enthält kleinere Spoiler.

 Der blinde Superheld Daredevil kehrt mit der 3. Staffel am 19. Oktober bei Netflix zurück.

Der blinde Superheld Daredevil kehrt mit der 3. Staffel am 19. Oktober bei Netflix zurück.

Foto: Nicole Rivelli/Netflix

Der „Teufel von Hell’s Kitchen“ ist wieder da. Zumindest irgendwie: Die 3. Staffel setzt da an, wo die letzte Folge der „Defenders“ aufgehört hat: Matt Murdock alias Daredevil (Charlie Cox) hat überlebt, als ein Wolkenkratzer über ihn einstürzte. Der blinde Superheld ist allerdings schwer verletzt. In dem Kloster, in dem er als Waisenkind auch aufgewachsen ist, heilen zwar seine körperlichen Wunden – aber nicht die psychischen. Er leidet. Nicht nur, weil er sich auf seine außerordentlichen Fähigkeiten nicht mehr verlassen kann. Die Ereignisse der vergangenen Staffeln und in „Defenders“ haben ihre Spuren hinterlassen. Und der Tod seiner großen Liebe Elektra war zu viel für ihn.

Matt Murdock ist kein strahlender Held, der sich den Staub von den Schultern klopft und einfach weitermacht. Er ist ein gebrochener Mann voller Selbstmitleid, der sich in Zynismus rettet. Der gläubige Katholik bricht sogar mit Gott. In der ersten Folge vergleicht sich Daredevil mit Hiob aus dem Alten Testament, der trotz aller Leiden und Qualen nicht seinen Glauben verlor. „Ich habe schließlich erkannt, dass Hiob nur ein Feigling war.“ Als die resolute und schlagfertige Schwester Maggie (Joanne Whalley) ihn dennoch ein Kreuz in die Hand drückt, wirft er es verächtlich aufs Bett. „Du magst Gott jetzt hassen, aber er tut es nicht“, sagt sie zu ihm. „Oh, ich hasse ihn nicht, ich habe nur sein wahres Gesicht erkannt.“ Matt Murdock hat seinen Glauben in den Trümmern des eingestürzten Hochhauses begraben und eine Entscheidung getroffen: „Ich sterbe lieber als Teufel statt als Matt Murdock weiterzuleben.“

Den düsteren Worten folgen dann auch Taten. Bis dahin aber muss man sich ein wenig gedulden. Gerade in den ersten Folgen ist das Tempo etwas zurückgenommen worden. Die Serie nimmt sich zunächst Zeit für ihre Figuren. Ohne Hast lotet man die Seelenlagen aus, überstürzt nichts und schafft so auch Momente, in denen der Zuschauer Matt Murdock schütteln und fragen möchte: „Was ist nur mit dir los?“ Die Handlung lebt dafür unter anderem von großartigen Wortgefechten und Streitigkeiten zwischen Matt Murdock und Schwester Maggie, die dennoch seine Verbindung zum Rest der Welt ist. Denn selbst seine engen Freunde Karen (Deborah Ann Woll) und Foggy (Elden Henson) lässt er weiterhin glauben, dass er tot sei. Er isoliert sich lieber und kapselt sich ab. Hauptdarsteller Charlie Cox spielt nicht nur, er lebt geradezu diesen kaputten, gebrochenen Matt Murdock.

Die Serie suhlt sich aber nicht über die gesamte Staffel in Selbstmitleid. Auch weil Wilson Fisk (Vincent D’Onofrio) wie schon in der ersten Staffel wieder auf den Plan trifft. Was zunächst etwas ideenlos wirkt, entpuppt sich als grandioser Schachzug der Serienmacher: Am Ende ist es Fisk, der Matt Murdock wieder zurück ins Leben zwingt. Die Gefahr durch ihn scheint zu groß, als dass er ihn einfach ignorieren könnte. Daredevil geht aber teilweise so berechnend und manipulativ vor wie sein Gegner – und bisweilen so brutal. Die Gewissensbisse vergangener Staffeln scheinen verschwunden. Wer selbst nichts mehr fühlt, fühlt auch kein Mitleid mit anderen mehr. Manchmal ist man sich darum nicht mehr sicher, ob Daredevil tatsächlich noch einer der Guten ist. Vielleicht hatte der erbarmungslose Punisher (Jon Bernthal) in Staffel 2 ja doch recht, als er zu Murdock sagte: „Du bist nur einen miesen Tag davon entfernt so wie ich zu werden.“

 Wilson Fisk ist wieder da. Seine Pläne aber bleiben lange undurchsichtig.

Wilson Fisk ist wieder da. Seine Pläne aber bleiben lange undurchsichtig.

Foto: David Giesbrecht/Netflix

Die dritte Staffel schlägt mit seinen Figuren eine neue Richtung ein und zeigt uns die dunklen, blutigen, kaputten Seiten eines Helden. Aber auch bei der Inszenierung geht man einen Schritt weiter. Bislang gab es in jeder Staffel einen sogenannten „Long Take“ – also eine mehrminütige Sequenz, die in einem Durchgang ohne Schnitte gedreht worden ist und darum so intensiv und mitreißend wirkt. In der dritten Staffel überbieten die Serienmacher alles Bisherige: Mehr als zehn Minuten lang geht es über mehrere Gänge und Räume, gibt es Actionsequenzen und jede Menge Chaos – ohne eine Pause oder einen einzigen Schnitt. Man muss es sich tatsächlich mehrmals anschauen, um es zu glauben.

So beeindruckend das alles ist, leider hat die 3. Staffel auch einige Schwächen. Daredevils Freund Foggy Nelson hat nun eine sehr viel wichtigere Rolle als in den Staffeln zuvor. Der Darsteller Elden Henson scheint damit etwas überfordert. Er wirkt zwar bemüht, aber eben nicht immer überzeugend. Das andere Problem der 3. Staffel nach den ersten sechs Folgen: Es gibt kein Gleichgewicht zwischen ruhigen Momenten und den Actionsequenzen. Auch wegen einer neuen Figur, die eingeführt wird.

Eine neue, brutale Figur tritt auf

Comicfans kennen ihn bereits, nun taucht er auch in der Serie auf: Der überaus zielsichere Psychopath „Bullseye“ (Wilson Bethel) spielt eine wichtige Rolle in der 3. Staffel. Allerdings nimmt man mit der Figur dann erneut das Tempo raus. Es ist es zwar interessant, so viel über die Charaktere zu erfahren. Aber es wirkt auch manchmal wie eine Vollbremsung, nachdem die Serie in Fahrt gekommen ist – nur um dann wieder Gas zu geben.

Das haben die Serienmacher in den Staffeln zuvor geschickter geschafft. Und dennoch: Wir leiden mit Matt Murdock, der verletzlicher und zerbrechlicher, geworden ist. Wir grübeln über die wahren Absichten Wilson Fisks – und erkennen jetzt wie hochintelligent der grobschlächtige Bösewicht tatsächlich ist. Schauspieler Vincent D’Onofrio leistet in dieser Rolle erneut großartige Arbeit.

Die 3. Staffel ist die innigste, intensivste Daredevil-Staffel bislang, in der wir mehr über die Figuren erfahren als zuvor. Der Preis dafür ist nur manchmal das Tempo, aber das ist es am Ende wert.

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