„Star Trek“-Legende Dan Curry „Ein Nerd? Ich? Absolut nicht!“

Interview · Der Spezialeffekte-Spezialist hat das fiktive „Star Trek“-Universum fast zwei Jahrzehnte lang geprägt und dabei sieben Emmys gewonnen. Ein Gespräch über Planeten aus Hundefutter, anstrengende Fans, eine lebensrettende Begegnung und sein Mitleid mit Menschen, die dem Genre Science-Fiction nichts abgewinnen können.

 Dan Curry war bei „Star Trek“ der Mann für Spezialeffekte – nebenbei erfand er das „Bat’leth“-Schwert für die kriegerischen Klingonen.

Dan Curry war bei „Star Trek“ der Mann für Spezialeffekte – nebenbei erfand er das „Bat’leth“-Schwert für die kriegerischen Klingonen.

Foto: Curry/Foto: Hanke

Mister Curry, wie viel Zeit Ihres Lebens haben Sie mit Arbeit an „Star Trek“ verbracht?

Dan Curry Ha, das kann ich Ihnen ziemlich genau sagen. 18 Jahre meines Lebens à 50 Wochen mit je 60, 70 oder auch mal 80 Stunden. Das wären also… 60.000 Stunden, so um den Dreh.

Sie sind ein Riesen-Nerd!

Curry (entschieden): Oh nein, absolut nicht! Nerds sind zwar großartig... – aber sie können auch etwas beängstigend sein. Manche stehen plötzlich vor meiner Haustür, das geht zu weit. Und viele sind leider nicht offen für die Welt außerhalb ihres Spezialgebiets. Ich steigere mich nicht hinein in Debatten wie „Was ist besser – Star Trek oder Star Wars?“ Ich liebe beides. Ich bin überhaupt interessiert an so ziemlich allem.

Zum Beispiel?

Curry Malerei. Fotografie. Bildhauerei. Theater. Ich interessiere mich für die Geschichte des Schwertkampfs und baue meine eigenen Gitarren. Seit Neuestem versuche ich zu zeichnen, ohne meine Hand bewusst zu steuern: Die Zeichnung soll sich mehr oder weniger selbst erschaffen. Seit fast 50 Jahren geistert ein Theaterstück durch meinen Kopf, bei dem die Trennung zwischen Publikum und Schauspielern aufgelöst wird. Oh, und ich schreibe ein Buch über die Entwicklung der Effekte bei „Star Trek“.

Dan Curry (r.) mit dem „Star Trek“-Schöpfer Gene Roddenberry.

Dan Curry (r.) mit dem „Star Trek“-Schöpfer Gene Roddenberry.

Foto: Dan Curry

Mit Ihrer Arbeit an gleich vier „Star Trek“-Serien haben Sie das fiktive Universum maßgeblich mit geprägt, sieben Emmys gewonnen und es zu einer eigenen Sammelkarte gebracht. Bedauern Sie, dass Ihr Name dennoch nur den größten Fans ein Begriff ist?

Curry „Star Trek“ ist ein Popkultur-Phänomen geworden, und ich bin dankbar, dass ich so stark daran mitwirken durfte. Hätte ich manchmal gern noch mehr Anerkennung? Ja. Aber Film- und Fernseh-Produktion sind eben Mannschaftssport. Jeder ist wichtig! Die Schauspiel-Stars und die Nebendarsteller, die Autoren und Regisseure. Aber auch Kameraleute, Tontechniker, Beleuchter. Sicherheitsleute und die Jungs, die dir zwischendurch einen Donut besorgen. Und eben wir Effekt-Spezialisten, Designer und Modellbauer.

Sie haben zuerst Hintergrundbilder gemalt und sind später zum Gesamtleiter für Visuelle Effekte aufgestiegen.

Curry Ja, und zwischendurch habe ich Planetenoberflächen aus Hundefutter modelliert und Raumschiffmodelle aus Löffeln und Shampooflaschen zusammengebastelt. Eines der großartigsten Dinge an „Star Trek“ war, dass die Abteilungen nicht gegeneinander abgeschottet waren. Meine fantastischen Künstler-Kollegen haben mir erlaubt, vieles zu malen, zu designen und zu bauen, was offiziell nicht in meinem Beritt lag. Mit Fanartikeln zu unseren Schöpfungen wurden später Millionenumsätze gemacht – aber, ach, was soll’s. Auf Essensmarken war ich auch noch nie angewiesen.

Erfunden haben Sie zum Beispiel das eigenwillige Schwert „Bat’leth“ für die Klingonen-Krieger.

Curry Yeah, das ist schon wieder 30 Jahre her! Die Idee dafür hatte ich schon ewig. Ich kenne mich ein wenig mit Waffen aus und wollte nicht, dass die mächtigen, stolzen Klingonen bloß bessere Piraten-Macheten bekommen. Also fertigte ich eine vielleicht 1,60 Meter lange Waffe, anders als jedes andere Schwert, aber dabei ergonomisch sinnvoll. Der Produzent Rick Berman grummelte: „Mach das Ding fünf Zentimeter kürzer, dann ist es okay.“ Der Gute hatte immer etwas zu meckern, aus Prinzip, damit niemand übermütig wurde. Den Skeptikern führte ich auch den Kampfstil vor, den ich mir um dieses Schwert herum ausgedacht hatte. Heute nutzt die koreanische Kampfkunstverband das Bat’leth als Trainingswaffe, und die Maori in Neuseeland mögen es auch. (strahlt)

Viele Menschen können mit Science-Fiction überhaupt nichts anfangen; sie halten das Genre für albern, kindisch, Zeitverschwendung.

Curry Diesen Leuten möchte ich sagen: Ihr tut mir leid! Ihr seht nicht, wie Sci-Fi die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft ausdehnt. Mit NASA-Leuten rede ich oft über die symbiotische Beziehung zwischen heutiger Wissenschaft und Science-Fiction: Wir Träumer inspirieren die Forscher, und deren Entdeckungen inspirieren wiederum uns. Wir fragen immer wieder aufs Neue: Was wäre, wenn…? Im späten 20. Jahrhundert haben wir uns für das 24. Jahrhundert tragbare Bildschirme für papierlose Kommunikation ausgedacht. Jetzt muss ich sagen: Die Tablet-Computer aus dem frühen 21. Jahrhundert sind viel cooler!

Im „Star Trek“-Universum spielen 13 Kinofilme und zwölf TV-Serien. Weshalb sind diese Geschichten noch immer so erfolgreich?

Curry „Star Trek“ ist nicht zuletzt ein Versprechen: Es wird uns als Menschheit weiter geben, und wir werden uns bessern. Wir werden Hungersnöte besiegen, Krankheiten und Krieg, Rassismus, Sexismus, Egoismus. „Star Trek“ eröffnet uns einen Blick von außen auf uns selbst. In der ersten „Star Trek“-Serie gab es eine Folge mit zwei Alien-Völkern, die gegeneinander Krieg führten. Die einen hatten links eine dunkle und rechts eine helle Hautfarbe, bei den anderen war es andersherum. Unglaublich dämlich von diesen Aliens – aber auch nicht dämlicher als Rassismus unter Menschen.

Glauben Sie, dass die utopische Gesellschaft der „Sternenflotte“ Realität wird?

Curry Oft scheint das schwer vorstellbar, nicht wahr? Viele Politiker wollen die Zeit um die rund 75 Jahre zurückdrehen, in denen wir so viel erreicht haben. Der Zweite Weltkrieg hat allen Völkern aufgezeigt, dass wir nur gemeinsam vorwärts kommen. Das waren die Überlebenden den Gefallenen schuldig, und so haben wir die Welt wieder aufgebaut. Doch irgendwann ist der Solidaritäts-Gedanke wieder verlorengegangen. Aber das Pendel wird wieder zurückschwingen. Die Menschen wollen positiv denken, hoffen, träumen. Wir alle müssen unsere Energie dafür verwenden, nicht nur unser eigenes Leben zu verbessern, sondern das aller anderen Menschen. Wer viel hat, trägt auch eine große Verantwortung. Dass wir den Klimawandel so lange ignoriert haben, wird unseren Nachkommen so lächerlich vorkommen, wie wir die Verehrung von Göttern in Tiergestalt finden.

Sci-Fi als Ermutigung?

Curry Ja! Und die vielen apokalyptischen Filme sollten uns als Warnung dienen. Für „Star Trek“ haben wir uns die bösen Borg ausgedacht, aggressive Mischwesen aus Mensch und Maschine, Schwarmwesen ohne Individualität. Eine schlimme Vorstellung – aber manchmal denke ich: Die Borg, das sind wir: Technikgläubig, mit schlechten Anführern und ohne die Fähigkeit, selbstständig kritisch zu denken.

Ihr Berufsfeld ist gefährlich: Spezialeffekte können die Story überschatten, einem Film sogar seine Seele nehmen.

Curry Absolut! Deshalb war unser Motto „Die Story ist der King, die Effekte sind sein Untertan“. Falls die Effekte im Vordergrund stehen, die Story verdrängen, dann stimmt etwas nicht mit dem Drehbuch, der Regie, der Produktion. Effekte haben nur eine einzige Existenzberechtigung: Sie sollen eine überzeugende Welt erschaffen, in der sich die Geschichte entfalten kann.

Bevorzugen Sie relativ realitätsnahe Science-Fiction wie den „Marsianer“ oder „The Expanse“?

Curry Ich mag alle Arten von Sci-Fi. Selbst frühe B-Movies wie „Fire Maidens from Outer Space“ genieße ich – oder „Queen of Outer Space“. Kennen Sie den? Raten Sie mal, wer da die Hauptrolle spielt? Die unsterbliche Zsa Zsa Gabor höchstpersönlich! „Alarm im Weltall“ sowieso! Ein Meilenstein. Ich war acht oder neun, als der ins Kino um die Ecke kam. Und konnte deutlich erkennen: „Das da ist ein Bild im Hintergrund, und das dort ist ein Modell – es sieht nicht wirklich echt aus, aber trotzdem sehr cool!“ Ein recht ambitionierter Film, viele Shakespeare-Referenzen. Sci-Fi muss absolut nicht kindisch sein, ebensowenig wie ein Western. Beides kann flach und albern sein, aber auch sehr profund. Es gibt Platz für alles. Man isst ja auch nicht jeden Tag dasselbe! Und Geschichten sind Futter für die menschliche Fantasie.

Wer sind Ihre künstlerischen Vorbilder?

Curry Leonardo da Vinci ist mein Held, der größte aller Zeiten! Rembrandt, Hieronymus Bosch, Picasso. Der Tricktechnik-Pionier Ray Harryhausen, die Regisseure Frank Capra und Raoul Walsh. Errol Flynn… Wie viel Zeit haben Sie? (lacht)

Gegenfrage: Wie viel Platz haben Sie? Quillt Ihr Haus über vor Raumschiffmodellen und Alien-Masken?

Curry So war es tatsächlich jahrzehntelang. Aber irgendwann erdrückt dich das Zeug. Ich habe mich von vielem getrennt. Manchmal nenne ich es „Schrott“, aber das ist es ja auch wieder nicht. Es ist zu gut zum Wegschmeißen oder für den Trödelmarkt. Für die University of California digitalisieren wir viele Unterlagen, Skripte, Videos. Ich will weitergeben, was ich selbst gelernt habe. Was auch wieder Arbeit ist, aber so what? Ich glaube nicht, dass ich aufhöre zu arbeiten, bevor ich aufhöre zu atmen. Ich kann nicht nicht arbeiten.

Das klingt einerseits romantisch, aber andererseits auch nicht gesund.

Curry Wissen Sie, meine Arbeit ist ja ziemlich untypisch. Ich arbeite immerhin mit coolen Leuten, die meine Freunde geworden sind, und den coolsten Spielzeugen der Welt! Man hat zwar nie genug Geld und vor allem Zeit, aber es wird auch nie langweilig. Wobei ich das Konzept „Langeweile“ ohnehin nicht begreife. Das Leben ist so interessant. Wie kann einem jemals langweilig werden?

Zumal es ja auch noch andere Menschen gibt. Welche Begegnung hat Sie am meisten beeindruckt?

Curry Das wird jetzt klingen wie schlecht ausgedacht, aber ich habe einmal einen Mann im Rollstuhl getroffen, der mir erzählte: „‘Star Trek‘ hat mir das Leben gerettet. Buchstäblich.“ Er litt an Multipler Sklerose, und es wurde so schlimm, dass er sich das Leben nehmen wollte. Er hatte sich schon eine Pistole gekauft und war dabei, sie zu laden. Da bemerkte er, dass „Star Trek“ lief, und zwar nicht irgendeine Folge, sondern „The Inner Light“.

Die gilt vielen als beste der mehr als 750 „Star Trek“-Episoden überhaupt.

Curry Ja, darin durchlebt Captain Picard ein komplettes zweites Leben, fern seiner geliebten „Enterprise“, als einfacher Mann mit Frau, Kindern und Enkeln auf einem primitiven Planeten. Patrick Stewart hätte dafür den Emmy gewinnen sollen, er war unglaublich gut! Aber egal. Unendlich viel wichtiger ist ohnehin, dass dieses Stück Fernsehen den Gentleman im Rollstuhl überzeugte, dass auch sein Leben wertvoll ist. Er gab seine Knarre bei der Polizei ab, stürzte sich wieder ins Leben, wurde Ehemann und Vater und professioneller Flamenco-Gitarrist. Wie cool ist das? Das schlägt doch selbst die Setbesuche. Stephen Hawking bat darum, dass wir ihn in den Kapitänsstuhl der „Enterprise“ heben. Und der Dalai Lama fragte: „Könnt Ihr mich nach Tibet beamen?“

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