So war der „Tatort“ aus München Zu hoch gepokert

Im neuen „Tatort“ aus München spielt der Todesfall nur am Rande eine Rolle. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die bereit ist, alles zu riskieren. Hauptdarstellerin Nina Proll ragt heraus aus einem ambivalenten Film.

 Wer um viel spielt, kann auch viel verlieren: Nina Proll als Silke Weinzierl im Münchner „Tatort“.

Wer um viel spielt, kann auch viel verlieren: Nina Proll als Silke Weinzierl im Münchner „Tatort“.

Foto: Luis Zeno Kuhn/BR

Darum ging es  In einer Faschingsnacht in München stirbt ein älterer Herr, er war in halbseidene Geschäfte verstrickt. Die Suche nach den Ursachen führt die Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) in „Irmis Stüberl“, wo Zeugin Silke Weinzierl am Abend zuvor mit dem Opfer zusammen war. Nach einer Nacht in der Ausnüchterungszelle hat Silke Weinzierl zwar wieder einen klaren Kopf – aber angeblich keine Ahnung, wer das Opfer ist. Stattdessen tischt sie den Kommissaren immer neue, immer verwirrendere Geschichten auf.

Spätestens jetzt ist den beiden Kommissaren klar, dass sie es nicht mit einer gewöhnlichen Zeugin zu tun haben – und nicht mit einem gewöhnlichen Mord. Der Todesfall wird sogar immer mehr zur Nebensache, er war, wie sich herausstellt, ein Unfall: Der ungestüme Hund einer älteren Frau hat das Opfer umgestoßen – der Sturz endete tödlich.

Nachdem das geklärt ist, dreht sich alles um Silke Weinzierl, die vor allem bei Kommissar Batic Eindruck hinterlässt. Zumal sich die Zeugin offensichtlich in großer Gefahr befindet – die wahren Verbrecher sind ihr auf den Fersen. Dieses Mal, so scheint es, hat sie zu hoch gepokert. Batic und Leitmayr wollen Weinzierl helfen, doch die wollte sich noch nie „von einem Mann retten lassen“. Stattdessen glaubt sie, mit dem Geld aus Drogengeschäften, an das sie eher zufällig gerät, den Ausweg aus ihrer Misere erkaufen und ihrem Sohn das Leben ermöglichen zu können, das sie selbst nie führen konnte: frei von Zwängen und nur gelenkt durch die eigenen Vorlieben und Talente.

Das geht – natürlich – schief.

Darum ging es wirklich Um den Kampf einer Frau um Lebensglück und Selbstbestimmung, für den sie bereit ist, wirklich alles zu opfern. Silke Weinzierl folgt ihrem eigenen Wertesystem, sie weigert sich, den Platz einzunehmen, den die Gesellschaft für sie vorgesehen hat. Dass sie immer und immer wieder damit scheitert, tut ihrem Willen keinen Abbruch. Am Ende geht sie bis zum Äußersten und opfert ihr Leben für die Zukunft ihres Sohnes. „Wer um viel spielt, kann auch viel verlieren“, sagt Silke Weinzierl. Mit dem Verlieren zumindest kennt sie sich aus.

Momente für die Heimatliebe  Auch wenn sich München in diesem „Tatort“ mal nicht als Schickeria-Hotspot zeigt – genug Lokalkolorit gibt es allemal. Melancholisch-poetische Bilder tauchen die bayerische Hauptstadt in fahles Morgenlicht, ein Champagnerglas rollt durch die Pfütze, über der Isar steht der Nebel wie auf einem Gemälde von Caspar David Friedrich. Ja, auch München kann rau aussehen, und das steht der Stadt sogar richtig gut.

Ebenfalls für Heimatliebe sorgt das Zitat des Abends: „Schau I aus, wie wenn I aus Fürstenfeldbruck kemma dat?“ fragt Silke Weinzierl konsterniert. Eine schlimmere Beleidigung kann man sich als Münchnerin wohl kaum vorstellen – wer die Stadt kennt, weiß wovon die Rede ist.

Und natürlich enttäuscht das bewährte Duo Leitmayr/Batic nicht, die beiden Kommissare kabbeln sich liebevoll wie eh und je. (Batic: „Hintermänner heißen ja so, weil sie selten in Erscheinung treten.“ Leitmayr: „Sehr gut, Ivo, du arbeitest wirklich schön mit in letzter Zeit.“)

Fazit  Gutes Thema, atmosphärische Umsetzung, poetische Bilder, clevere Wendung am Ende. Doch leider auch unrealistisch, scherenschnitthaft und überfrachtet. Man kann diesen „Tatort“ genießen, wenn man sich auf die Figur Silke Weinzierl konzentriert und die Nebenstränge (auf die es am Ende auch nicht so sehr ankommt) ignoriert. Dank der tollen Hauptdarstellerin Nina Proll  fällt das glücklicherweise nicht allzu schwer.

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