Sonntags-Krimi „Polizeiruf: Bis Mitternacht“ Unerbittlich läuft der Countdown

München · Kein „Tatort“, aber ein super Sonntags-Krimi: Den vierten „Polizeiruf“ mit Bessie Eyckhoff macht nicht das Was, sondern das Wie zur Perle.

 Im Verhör von Jonas Borutta (Thomas Schubert) rennt Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff (Verena Altenberger) die Zeit davon.

Im Verhör von Jonas Borutta (Thomas Schubert) rennt Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff (Verena Altenberger) die Zeit davon.

Foto: dpa/Hendrik Heiden

Ach, wär’ sie doch ein Streifenhörnchen geblieben. Gemeint ist einerseits Elisabeth Eyckhoff und andererseits natürlich nicht das possierliche Nagetier – Informationen über eventuelle frühere Leben der fiktiven Ermittlerin liegen unserer Redaktion nicht vor. Sehr wohl aber haftet ihr der spöttische Begriff für Angehörige der Schutzpolizei an, im ewigen Schatten der Kripo. Als sture Streifenpolizistin hatte Eyckhoff (Verena Altenberger) in drei Münchner „Polizeiruf“-Fällen Fans wie Kritiker verzückt. Nun aber wurde die patenteste TV-Ermittlerin aller Zeiten zur Mordkommission versetzt, und das hat drei unschöne Folgen: Die Figur verliert ihr Alleinstellungsmerkmal, das Publikum seine Chance auf Episoden, die mit den üblichen Mordermittlern gar nicht denkbar wären. Und der aktuelle Fall ist buchstäblich doppelt so schwer zu lösen.

Eyckhoff nämlich hätte einen Verdächtigen, wenn irgend möglich, nie kurz vor Mitternacht in Gewahrsam genommen, sondern erst um kurz nach. Denn das verlängert die Dauer, in der die Beamten ihn maximal festhalten dürfen, von 24 auf beinahe 48 Stunden. Bis zum „Ende des Tages nach dem Ergreifen“ eben; so steht es nicht irgendwo, sondern in Artikel 104 des Grundgesetzes.

Aber hätte, hätte, Fahrradstreifenkette. Jonas Borutta (stark: Thomas Schubert) wurde um 23.55 Uhr gefasst. Gegen ihn spricht manches Indiz, aber kein Beweis. Als der Film einsetzt, bleiben den Ermittlern noch zwei Stunden, um dem hochintelligenten, mutmaßlichen Frauenmörder ein Geständnis abzuringen. In ihrer Verzweiflung holen sie den Veteranen Josef Murnauer (Michael Roll) aus der Quasi-Pension, der schon einmal an dem Verdächtigen gescheitert war. Doch dass die Kavallerie alt und männlich ist, trifft Eyckhoff ins Mark. Und nicht nur ihr gehen die Nerven durch...

„Bis Mitternacht“ ist eine Krimi-Perle. Nicht wegen des Was, sondern wegen des Wie. Regisseur Dominik Graf ist ein Film gelungen, der mehrfach überzeugt: als Verhör-Thriller. Als Annäherung an das Thema krankhafter Frauenhass (Achtung, harte Bilder zu Beginn!). Und nicht zuletzt als Skizze des Mikrokosmos Polizei. Strafverfolgung mag oft wirken wie eine Maschine, die Papier frisst und noch mehr Papier wieder ausspuckt. Doch am Werk sind Menschen. Mit Emotionen, Grenzen, Schwächen. Und sehr spezifischen Stärken. Gemeinsam sind Spurensicherer und Schreiberlinge, Labortechniker und Linguisten, Ballistiker und die einfachen „Bullen“ im Stellungskrieg gegen die schleichende Desillusionierung. Häufig ebenso überarbeitet wie unterbezahlt. Fehlbar und getrieben, zwischen Recht und Gerechtigkeit aufgerieben. Stehaufmännchen, betrieben mit Kaffee, Kippen und werweißwas noch. Angetrieben von allen möglichen Motiven, fast immer aber dem Willen, auf der guten Seite zu stehen, das Richtige zu tun. Hüter der Ordnung zu sein, Freund und Helfer.

Dass dieser Film auf einem Kapitel des Buchs „Abgründe: Wenn aus Menschen Mörder werden“ basiert, merkt man ihm auf beste Weise an. Die gesammelten Erkenntnisse des hochdekorierten Münchner Mordermittlers Josef Wilfling sind spannender als viele Sonntagskrimis. Aber nicht als dieser.

„Polizeiruf 110: Bis Mitternacht“,
Das Erste, So., 20.15 Uhr

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