TV-Nachlese "Beckmann" Ruf nach der Nutella-Steuer

"Süße Gefahr – wenn Zucker krank macht", lautete am späten Donnerstagabend das Thema bei Beckmann. Die Runde ist sich einig: Wie ernähren uns katastrophal. Gewichtheber Matthias Steiner macht unter anderem Bastian Schweinsteiger dafür verantwortlich. Die Forderung nach einer Nutella-Steuer wird laut.

 Reinhold Beckmann lud am Donnerstag zum Talk über Zucker und seine Gefahren.

Reinhold Beckmann lud am Donnerstag zum Talk über Zucker und seine Gefahren.

Foto: ARD

"Süße Gefahr — wenn Zucker krank macht", lautete am späten Donnerstagabend das Thema bei Beckmann. Die Runde ist sich einig: Wie ernähren uns katastrophal. Gewichtheber Matthias Steiner macht unter anderem Bastian Schweinsteiger dafür verantwortlich. Die Forderung nach einer Nutella-Steuer wird laut.

Die Bestandsaufnahme bei Beckmann spricht eine klare Sprache: in unsere Ernährung steckt viel zu viel Zucker. 35 Kilogramm davon stopft jeder Jahr für Jahr in sich hinein. Sieben Millionen Deutsche sind bereits an Diabetes erkrankt, hinzu kommt eine Dunkelziffer von weiteren Millionen.

Der Trend: ansteigend. Mit Blick auf die gesundheitliche Folgen wie Herzerkrankungen, Schlaganfall oder Demenz steuert rollt auf das Gesundheitssystem eine riesige Welle zu.

Eine Runde ohne Widerspruch

Reinhold Beckmann diskutierte in seiner Talkshow am Donnerstagabend mit Betroffenen über Erfahrungen und Konsequenzen. In der Runde: der seit Jahren an Diabetes erkrankte Olympiasieger Matthias Steiner, der aus der Kur gekommene 16-jährige Lukas, die ernährungskritische Journalistin Tanja Busse, der Koch Nelson Müller sowie der Mediziner Diethelm Tschöpe, Direktor des Diabeteszentrums Bad Oeynhausen. Von der Ernährungsindustrie hatte niemand Zeit, wie Beckmann erläutert.

Obwohl dadurch eigentlich alle einer Meinung sind, kommt an diesem Abend ein gemeinsames Gespräch kaum zustande. Wie bei Beckmann üblich geht es weniger um Argumente als Gefühle, Erfahrungen und Erläuterungen. Aber das kann informativer sein als manch andere, auf Konfrontation gebügelte Talkshow.

Mit 16 bekam Lukas Altersdiabetes

So schildern die Erkrankten ihr Leben mit dem Zucker. Am eindrucksvollsten tut dies Lukas. Mit seinen 16 Jahren ist er bereits an Altersdiabetes erkrankt. In schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, in denen es nur selten eine geregelte Ernährung gab, stopfte er vor dem Computer sitzend jahrelang Fertigkost und Schokoriegel in sich hinein.

Bis auf 160 Kilogramm war sein Gewicht angewachsen, bevor er erkrankte und in seiner Not Hilfe in einem Behandlungszentrum suchte. In sieben Monaten hat er inzwischen fast 40 Kilogramm abgespeckt und mühsam gelernt, was es heißt, sich aus frischen Zutaten eine Mahlzeit zuzubereiten. In die Sendung sei er nun gekommen um zu zeigen, dass es einen Ausweg gibt.

Selbst die Wurst wird süß

Wie es so weit kommen konnte? Nur durch eine Vermengung von Faktoren. Für seine Erkrankung macht der Mediziner auch eine genetische Veranlagung verantwortlich, eine nach seinen Worten sehr häufige Voraussetzung für eine Diabetes-Erkrankung. Die zweite Hälfte der Wahrheit Diese Schwachstelle des Körpers wird nur dann gefährlich, wenn der Körper die Massen an Zucker bekommt, wie sie ihm in mit unserer modernen Esskultur zur Verfügung gestellt werden.

Im Alltag ist er überall und das gut versteckt. Cola, Ketchup, Cornflakes, Schokoriegel, ja sogar in Wurst oder im Glas Erbsen ist Zucker zu finden, bei Frühstücks-Cerealien vermutlich mehr als 50 Prozent, wie die Journalistin Tanja Busse kritisiert. Eine freie Wahl hat der Verbraucher in dieser Umgebung nicht, glaubt sie. Im Gegenteil: Plakate, Werbung, verlockende Verpackungen wo man auch hinschaut. "Fettsuchtgenerierende Umgebung", nennt Busse das. Der Verbraucher müsse sich anstrengen, dieser schlechten Ernährung auszuweichen.

"Da gehen die Kinder drauf ab"

Dabei wäre es doch so einfach, vor allem Kinder für gesundes Essen zu begeistern, erläutert Sterne-Koch Nelson Müller. Er hat schon oftmals in Schulen mit Kindern Essen zubereitet. Gerne schwärmt er von der Ästhetik frischer, ursprünglicher Lebensmittel. "So ein ganzer Fisch — da gehen die Kinder drauf ab", sagt Müller.

Verantwortlich für die Ernährungsmisere macht er allerdings weniger die allgegenwärtige Präsenz der Zucker-Lebensmittel, sondern die Generation der Eltern. Er vermisst gemeinsames Kochen und Essen sowie eine klare erzieherische Linie. "‘Gegessen wird, was auf den Tisch kommt‘, bei solche Sätzen werde man ja heutzutage angeguckt wie ein Auto. Mehr als romantische Erinnerungen an die Zeiten, als bei Mutti noch gekocht wurde, hat Müller zur Diskussion allerdings nicht beizusteuern.

Frankreich plant schon die Nutella-Steuer

Dabei steht die Frage nach nötigen Konsequenzen drängend im Raum. Vor allem Busse und Steiner haben ihre Antworten darauf schon mitgebracht. So zählt die Journalistin schon seit langem zu den Verfechtern einer strengeren gesetzlichen Reglementierung. Sie verlangt mehr Klarheit auf Verpackungsangaben, außerdem liebäugelt sie mit einer Steuer auf schwer zuckerhaltige Produkte. Beckmann erinnert daran, dass in Frankreich bereits eine Cola-Steuer von 11 Cent pro 1,5-Literflasche erhoben wird. Eine Zwangsabgabe auf Schokocremes und Schokoriegel ist in Vorbereitung.

Gewichtsheber Steiner hat in der Sache ebenfalls klare Ansichten: Zuckrige Lebensmittel müssen teurer werden, sonst wird sich seiner Ansicht nach nie etwas ändern. Mit vollem Ernst diskutiert er die Überlegung, dass man das Essen von Chips wohl niemandem verbieten kann. Es gibt Momente, da geistert das Gespenst der Gesundheitsdiktatur über den Sender.

Schweinsteiger-Schelte

Auch Fußball-Profi Bastian Schweinsteiger bekommt mit ihm Ärger, ohne namentlich genannt zu werden: Dass ausgerechnet ein Fußball-Idol Werbung für Kartoffel-Chips macht, hält Steiner für ein Unding und eine ganz gefährliche Sache. Aber der Furor des Olympiasiegers ist grundehrlich: als Diabeteskranker, der tagtäglich genau auf seine Ernährung achten muss, wird er täglich Leidtragender der Tricks der Ernährungsindustrie. Wenn vorne 8 Gramm Zucker drauf steht, aber hinten im Kleingedruckten weitere 8 Gramm dazu kommen, dann kann das für einen Diabetiker unangenehme Folgen haben.

Dass Gesetze die Ernährungsgewohnheiten einer ganzen Bevölkerung nicht ohne weiteres ändern können, ist Beckmann und seinen Gästen aber zum Ende des Talks durchaus bewusst. Mediziner Tschöpe vermisst etwa eine umfassende Präventionskultur, angefangen beim Kindergarten bis zum Arztbesuch. So bleibt die Einsicht: Eine Veränderung kann es nur geben, wenn an mehreren Stellschrauben gedreht wird. Eine Steuer auf Cola, Schoko und anderen Zuckerkram ist möglicherweise nur eine Frage der Zeit.

(pst)
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