Intensivpfleger Ricardo Lange bei „Lanz“ „Momentan sind Kliniken eher Fabriken“

Düsseldorf · Der Intensivpfleger Ricardo Lange wurde durch einen Auftritt bei einer Pressekonferenz von Gesundheitsminister Spahn bekannt. Wie es dazu kam und was sein wichtigstes Anliegen ist, erzählt er bei „Markus Lanz“.

 Der Intensivpfleger Ricardo Lange zu Gast bei „Markus Lanz“ am 6.5.2021.

Der Intensivpfleger Ricardo Lange zu Gast bei „Markus Lanz“ am 6.5.2021.

Foto: ZDF

Am Donnerstagabend ging es in der Talkshow „Markus Lanz“ um die Wahlkampfstrategie der Union, die Klimaschutz-Novelle und die Lage auf den Intensivstationen. Wir haben uns beim Zuschauen auf das Gespräch mit dem Intensivpfleger Ricardo Lange konzentriert, der vor Kurzem bei einer Pressekonferenz mit Jens Spahn aufgetreten war.

 Die Gäste:

  • Ricardo Lange, Intensivpfleger
  • Friedrich Merz (CDU), Politiker
  • Nicole Diekmann, Journalistin
  • Claudia Kemfert, Ökonomin

 Darum ging’s:

Um die Ursachen und Folgen von Personalmangel im deutschen Gesundheitswesen. Und um Reaktionen auf Ricardo Langes öffentlichen Auftritt.

 Der Gesprächsverlauf:

Der CDU-Politiker Friedrich Merz und der Intensivpfleger Ricardo Lange hätten wohl eines gemeinsam, meint Moderator Markus Lanz: Beide hätten versucht, Kontakt mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aufzunehmen. Zuvor hatte Merz behauptet, er habe schon vor einem Jahr einen fälschungssicheren Impfausweis gefordert. Was Spahn dazu gesagt habe, will Merz aber nicht verraten. Das hält Lange anders.

Der Intensivpfleger berichtet, wie er den Gesundheitsminister zum Probearbeiten eingeladen habe – keine Reaktion. „Ich bin nur der kleine Krankenpfleger von unten, da wird Jens Spahn nicht sofort antworten“, sagt Lange. Aber er habe nicht lockergelassen, immer wieder den Kontakt zu Spahn gesucht, unbequem sei er geworden. Zunächst brachte ihm auch das keinen Termin bei Spahn ein. Als die Aktion #allesdichtmachen aber umgehend ein Gesprächsangebot von Spahn bekam, platzte Lange die Hutschnur. „Kaum ist da ein Schauspieler, der ein bisschen aus der Reihe tanzt, dann wird da sofort angerufen.“ So habe er abermals die Presse eingeschaltet und schließlich einen Rückruf aus Spahns Büro bekommen – mit Einladung zur Pressekonferenz.

Ein Einspieler soll zeigen, wie es dort emotional ablief. Ricardo Lange sprach an der Seite von Spahn unter anderem darüber, dass Personal auf den Intensivstationen die verstorbenen Corona-Patienten in schwarze Leichensäcke packen müsse – und „das macht etwas mit einem“. Auf diese Äußerung hin habe er viele Reaktionen bekommen, berichtet Lange. Eine davon: Ein Müllmann, der Müll nicht in Säcke packen kann, habe den falschen Beruf.

An dieser Stelle spricht die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann kurz über die Abstumpfung, die solche Äußerungen in sozialen Netzwerken mit sich brächten. Dort hat Lange außerdem erlebt, wie andere Menschen seine Worte für ihre eigene Agenda missbrauchen. Seine Äußerung, die Intensivstationen seien auch vor der Pandemie schon voll gewesen, sei aus dem Zusammenhang gerissen dazu benutzt worden, die Pandemie zu verharmlosen.

Dabei ist Personalmangel nicht nur der Hintergrund dieser Äußerung, sondern er war auch das Motiv für Langes Versuche, zum Gesundheitsminister vorzudringen. „Momentan sind Kliniken eher Fabriken, wo die Ware Mensch hineinkommt und bis zum letzten Atemzug Geld generiert“, sagt Lange. Das gehe auch nicht anders, weil die Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen schwarze Zahlen schreiben müssten. Sonst drohe ihnen die Pleite. „Da wird dann halt immer am Mensch, am Personal gespart.“

Lange legt dar, wie sich das an mehreren Stellen auswirkt. Wenn ein Corona-Ausbruch eine ohnehin schon fast volle Intensivstation füllt, würden Patienten mit anderen Erkrankungen verlegt. Sie würden dann von Menschen gepflegt, die für die Intensivpflege nicht ausgebildet seien, so Lange. Auch auf der Intensivstation selbst macht sich der Personalmangel bemerkbar. Eindringlich beschreibt Lange den Alltag, wenn er mehrere Patienten in verschiedenen Räumen betreuen müsse und dadurch Notlagen nicht rechtzeitig mitbekäme – und sich dann mit Selbstvorwürfen plage. Und dieser Missstand betrifft nicht nur Situationen auf Leben und Tod. Lange empfiehlt der Talkrunde, sich einfach einmal vorzustellen, Angehörige lägen im Krankenhaus stundenlang in ihren Exkrementen, weil nicht genug Personal auf der Station sei.

„Dieses ganze Rumklatschen hat genervt“, sagt Lange, weil nämlich keine Taten folgten. Er kritisiert, dass ausgerechnet die Personalfrage in der Pflege von der Politik ignoriert wird. Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen würden sofort durchgesetzt, „aber da macht man nichts“. Und Lange sieht eine weitere Krise, für die das Gesundheitssystem sich längst wappnen müsste. „Das nächste, was uns auf die Füße fallen wird, ist das Problem der multiresistenten Keime.“

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