Eklat bei Fernsehpreis-Gala Reich-Ranicki - was machte ihn so rasend?

Düsseldorf (RPO). Es war ein Abend voller Spannung, Freude und Emotionen. Es war wie immer beim Deutschen Fernsehpreis, wäre da nicht Marcel Reich-Ranicki aus der Reihe getanzt. Der Literaturkritiker lehnte den Ehrenpreis der Stifter einfach ab und geißelte das Niveau der Veranstaltung als Blödsinn. Was hat ihn da bloß geritten?

Eklat beim Fernsehpreis
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War es der Striptease, den Ingolf Lück zu Beginn des Abends vorführte und dann auch noch dem Literaturkritiker widmete? Bei seiner Laudatio zu den besten virtuellen Effekten hatte der Komiker sich den Smoking vom Leib gerissen. Und dabei getönt: "Ich tue das für Barbara Schöneberger, für Veronica Ferres, für Hella von Sinnen und auch für Marcel Reich-Ranicki."

Oder waren es die vielen Preise für den Privatsender RTL, die den 88-Jährigen so verärgerten? Der Sender war mit neun von 22 Preisen der Gewinner des Abends. Oder dass statt eine Wissens- eine Castingshow den Preis in der Kategorie Unterhaltungsshow abräumte? Die RTL-Sendung "Deutschland sucht den Superstar" setzte sich gegenüber "Das weiß doch jedes Kind" mit Cordula Stratmann durch. Oder waren es Atze Schröders Fäkal-Witze (Paul Breitner: "Alle anderen hatten die Hosen voll, aber bei mir war es ganz flüssig")?

"Blödsinn"

Der Literaturkritiker hatte den Deutschen Fernsehpreis einfach abgelehnt. "Ich nehme diesen Preis nicht an", verkündete Reich-Ranicki vor mehreren hundert geladenen Gästen. Das Publikum war fassungslos, wusste nicht ob es lachen oder empört sein sollte. Sogar Moderator Thomas Gottschalk war ausnahmsweise sprachlos. Reich-Ranicki schimpfte weiter: "Ich kann nur diesen Gegenstand (gemeint war die Auszeichnung) von mir werfen oder jemandem vor die Füße werfen. Und ich finde es schlimm, dass ich das hier vier Stunden lang ertragen musste." Er habe "hier viel Blödsinn" gesehen und "gehöre nicht in diese Reihe der Preisgekrönten", sagte Reich-Ranicki weiter.

Gottschalk hatte Reich-Ranicki in seiner Laudatio als einen faszinierenden Menschen gewürdigt, der Großes für das Fernsehen geleistet und Großes gesagt habe. Mit der Ablehnung des Preisträgers konfrontiert, schlug Gottschalk vor, man könne in einer einstündigen Sendung die Qualität des Fernsehens und Literatur thematisieren: "Wir setzen uns gemeinsam eine Stunde über all das, worüber im Fernsehen nicht mehr geredet wird. Bildung, Kultur”, sagte Gottschalk. "Und Literatur”, entgegnete Reich-Ranicki. Gottschalks Vorschlag stimmte er zu, nahm den Preis dennoch nicht entgegen. Auch nicht als Gottschalk zu ihm sagte: "Sie haben den Ehrenpreis des Deutschen Fernsehens. Sie dürfen alles, wenn sie ihn nehmen."

Noch diese Woche

Das ZDF will Gottschalks Idee umsetzen "und wird Reich-Ranicki dazu einladen", teilte der Sender am Sonntagabend mit. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete unter Berufung auf Gottschalk, noch in dieser Woche solle eine Gesprächssendung mit Reich-Ranicki ins Programm gehoben werden. "Wir wollen das Gespräch so schnell wie möglich aufzeichnen und noch in dieser Woche senden", sagte Gottschalk demnach.

Weitere Überraschungen: Fehlanzeige. Veronica Ferres wurde für ihre Rolle im Zweiteiler "Die Frau vom Checkpoint Charlie" als Schauspielerin des Jahres ausgezeichnet. Auch der umstrittene ARD-Streifen "Contergan" erhielt den Preis in der Kategorie Fernsehfilm des Jahres. Produzent Michael Souvignier erinnerte in seinen Dankesworten an die Contergan-Opfer, die seit drei Wochen in Bergisch Gladbach mit einem Hungerstreik für höhere Entschädigungen kämpfen. Auch entlang des Roten Teppichs vor dem Kölner Coloneum demonstrierten Contergan-Opfer.

Emotionale Momente

Emotional wurde es, als Misel Maticevic zum besten Schauspieler geehrt wurde. Überwältigt, sagte er zu seiner zu Tränen gerührten Mutter: "Mama, guck mal, das ist für dich, nur für dich Mama". Maike Rudolph, ausgezeichnete als beste Auslandsreporterin, berichtete von ihrer gefährlichen Arbeit in dem vom Wirbelsturm "Nargis" gezeichneten Birma: "Das brachte einen schon an seine Grenzen. Obwohl man weiß, dass die Berichte wichtig sind, ist man völlig hilflos, wenn man dort ist und nur die Kamera hat und keine 30 Säcke Reis, die die Menschen dort ja wirklich brauchen."

Höchst zufrieden dürfte RTL mit dem Abend sein. Mit dem Sieg in neun der 22 Preiskategorien ließen die Kölner erstmals in der Geschichte des Fernsehpreises die öffentlich-rechtlichen Sender hinter sich. Unter anderem wurden "Doctors Diary - Männer sind die beste Medizin" als beste Serie und die Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" als beste Show des Fernsehjahres 2008 ausgezeichnet.

Reich-Ranicki das Thema

Ebenfalls seltsam gab sich das blonde Nordlicht Ina Müller. Sie erhielt die Auszeichnung in der Kategorie Beste "Latenight" und bedankte sich, einen Preis dafür zu bekommen, dass sie das mache, was sie am liebsten tue: "Sabbeln, saufen, singen." Zum NDR richtete sie die Worte: "Kinders, schafft viel Geld ran, damit ich weitermachen kann."

Auf der großen Aftershow-Party war der Auftritt von Reich-Ranicki das beherrschende Thema. Etliche Prominente verhehlten dabei nicht ihre Verärgerung für die Ansichten des Literaturkritikers. Veronica Ferres, als Beste Hauptdarstellerin geehrt, sagte hingegen, Reich-Ranicki habe viele Menschen verletzt. Moderatorin Ina Müller äußerte verärgert: "Das nehme ich ihm persönlich übel. Er wollte nur Krawall stiften."

Heidenreich haut in dieselbe Kerbe

Thomas Gottschalk räumte hingegen ein: "Herr Reich-Ranicki ist ein Intellektueller. Vielleicht ist das Fernsehen wirklich nicht seine Welt." Atze Schröder sagte laut "Bild”-Zeitung: "Der weiß noch, wie Comedy geht.”

Besonders begrüßte Elke Heidenreich den Auftritt Reich-Ranickis. Im Internetangebot der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung” verurteilte die ZDF-Moderatorin die Niveaulosigkeit der Preisverleihung und freute sich, dass der Literaturkritiker die Auszeichnung abgelehnt hatte. Sie und ihr Ehemann hätten sich für die Veranstaltung "nur noch geschämt”.

Zudem bedankte sich Heidenreich bei Reich-Ranicki für seine Verweigerungshaltung: "Ich hätte vor Freude in die Luft springen mögen, vor Freude über diesen mutigen, zornigen, beleidigten, klugen Mann und vor Zorn und vor Kummer über diese verhunzte Veranstaltung, diese grenzenlose Flachheit.” Und schrieb weiter: "Man schämt sich, in so einem Sender überhaupt noch zu arbeiten.” Heidenreich moderiert beim ZDF die Literatursendung "Lesen!”.

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