TV-Nachlese "Absolute Mehrheit" Raabs Experiment fährt vor die Wand

Mit einem neuen, frechen Polit-Talk wollte Entertainer Stefan Raab Sehgewohnheiten aufmischen. Die Revolution blieb aus. "Absolute Mehrheit" lieferte anderthalb substanzlose Stunden. Zumindest die FDP frohlockt: Wolfgang Kubicki (FDP) holte über 40 Prozent.

So lief Raabs Show "Absolute Mehrheit"
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"Unfug", "Veralberung", "zum Depp machen"! Über mangelnde Aufmerksamkeit konnte sich Stefan Raab schon vor der Premiere seiner neuen Talkshow "Absolute Mehrheit" nicht beklagen. Zahlreiche Politiker hatten sich gegen das Konzept seiner neuen Show verwahrt. Sie befürchteten, dass jegliche Ernsthaftigkeit von Politik bei der Gag-Maschine Stefan Raab unter die Räder kommen würde.

Am späten Sonntagabend folgte der Härtetest. Man darf Entwarnung geben: Alle Politiker, die sich auf die Couch des Kölners trauten, haben überlebt. Raabs Späße waren nicht dazu geeignet, einen seiner Gäste vorzuführen. Dazu zählten am Sonntag Altmaier-Ersatz Michael Fuchs (CDU), Thomas Oppermann (SPD), Wolfgang Kubicki (FDP), Jan van Aken (Linke) und die Unternehmerin Verena Delius als Stimme des Volkes.

Ironisch-gemütliche Kulisse

Schon zu Beginn setzt Raab demonstrativ auf Kontraste zu üblichen Polit-Talks. Zum Einstieg spielt die Bigband, es ist wie bei TV Total, nur der Schreibtisch fehlt. Das Signal: Hier darf man sich wohlfühlen, hier geht es um Unterhaltung. Die Kulisse: ironisch-gemütlich. Vor der halbkreisförmigen Couch liegt ein alter Orientteppich. Im Hintergrund prangt der Bundesadler, er trägt die Initialen AM (absolute Mehrheit) auf der Brust und grinst ein bisschen so wie Stefan Raab auf den Plakaten. An der Wand hängt ein Bild von Bundespräsident Joachim Gauck.

Raab bemüht sich von Anfang an nach Kräften, Lockerheit in die Show zu bringen. In seiner typisch schnoddrigen Art erklärt er erstmal, worum es in dieser Show überhaupt geht, also was das ist, Politik. "Sie bestimmt wie viel Geld wir verdienen, wie viel Geld wir davon abgeben müssen, bekomme ich noch einen Job, Wo kann ich noch in Ruhe kiffen?". Raab macht direkt zum Einstieg deutlich, wie tief der Hammer hängt.

Raab wollte das Rad neu erfinden

In drei Runden sollen sich seine Gäste nun zu drei Themen äußern und dabei miteinander messen. Nach jedem Durchgang gibt es durch direktes Feedback von den Zuschauern ein Zwischenergebnis. Die SMS kostet übrigens 50 Cent, man kennt das von den Abstimmungen beim Dschungelcamp oder "Deutschland sucht den Superstar". Zu gewinnen gibt es ein Auto, ohne das geht es bei Raab einfach nicht. Am Ende der Sendung winken dem Politiker, der über 50 Prozent der Zuschauerstimmen für sich gewinnen kann, 100.000 Euro.

Ein solches Konzept ist ein Novum. Es will die Talkshow und seine Gäste in einen Wettbewerb zwingen. Eine Provokation, sicher. Aber eine, von der sich erhoffen ließ, dass sie das Interesse junger Leute für politische Fragen wecken könnte. Spannend auch, inwieweit ein solches Experiment Polit-Profis zu einem anderen Verhalten animieren könnte, gewissermaßen das Format Talkshow neu erfinden.

Miese Gags über Rösler

Stefan Raab setzte fortan alles daran, seine Gäste auf den neuen Talk-Modus umzupolen. Witzig, provokant, schlagfertig, so hatte der Moderator sich das wohl vorgestellt. Seine Gags machten auch dem CDU-Vize Michael Fuchs unmissverständlich klar, wo er hier gelandet war. "Herr Fuchs, wer hat die Gans gestohlen?", scherzte Raab. So viel Blödsinn musste sein. Die Lacher hatte er für sich.

Im Rahmen eines Polit-Talks wirkte Raabs Sinn für krawalligen Humor jedoch noch grenzwertiger als sonst. "Muss der Rösler weg und wie kann ich Ihnen dabei helfen?", durfte Kubicki sich fragen lassen. Manche Scherze waren gar völlig neben der Spur. So etwa der Spruch für FDP-Chef Philipp Rösler: "Wenn er das beim Abendessen sieht, hoffentlich fallen ihm dabei nicht die Stäbchen aus der Hand." Dem Zielpublikum Raabs mag das gefallen haben. Für das Niveau der Diskussion auf der Couch ließ es Schlimmes befürchten.

Diskussion? Keine Zeit!

Wenigstens machte kein einziger der Gäste auch nur ansatzweise den Versuch, mit Raab mitzuscherzen. Schon frühzeitig wurde deutlich, dass sich über Jahre angeübter Polit-Sprech nicht einfach ausschalten lässt. Zwar geht es in der Runde auch immer wieder mal wild durcheinander, aber stets geht es um Politik, nicht um den Versuch, mit Späßen die Gunst der Zuschauer zu erobern.

Inhalte und Argumente kommen bei "Absolute Mehrheit" hingegen unter die Räder. Steuergerechtigkeit, Energiewende, Regeln für das Internet — in keinem der drei Themenbereiche ließ Raab einen Austausch von Argumenten oder einen Faktencheck zu. Zu viele Themen zu wenig Zeit. Den Gästen blieb nicht mehr als die Gelegenheit, eine flott formulierte Parole zu formulieren, dann hechelte Raab schon wieder zum nächsten Ast.

Bizarre Selbst-Analysen vom Pult

Beispiel für einen typischen Ablauf: Oppermann erläutert in drei Sätzen, dass er Facebook-Partys nicht verbieten will. Kubicki erklärt in drei Sätzen, dass er mit seinem losen Mundwerk Twitter lieber nicht nutzen möchte. Delius erklärt, dass das Internet die Demokratie revolutiniere. Von Aken fragt sich in drei Sätzen, warum Facebook die Grundeinstellungen nicht ändern kann. Dann folgt Werbung. Zum Abschluss wirbt Michael Fuchs für eine Bundestags-App. "Gibt's auch ein Game?", will Raab wissen.

Gehetzt, zusammenhanglos, ständige Unterbrechungen, vor allem diese Eindrücke blieben von Raabs Einstand als Polit-Talker hängen. Das als echte Neuerung angepriesene direkte Feedback erweist sich hingegen als nervtötend. Nicht erst nach einem Themenblock, sondern auch schon mittendrin springt Raab zu seinem Gegenpart Peter Limbourg, um das aktuelle Ranking einzuholen. Jeder Gesprächsansatz auf der Couch wird abgewürgt, stattdessen erzählt Limbourg Gastgeber Raab in bizarren Selbst-Analysen, dass tatsächlich "jeder aus der Runde etwas sagen durfte."

Kubicki kann Fernsehen

Die Ergebnisse der Umfragen erweisen sich hingegen als vollkommen irrelevant für den weiteren Ablauf der Sendung. Keiner der Politiker ist so blöd, dass er mit irgendwelchen Mätzchen versucht, noch ein paar Prozentpunkte gutzumachen. Die Ergebnisse im Verlauf der Sendung sind stabil: Von Anfang bis Ende liegt Kubicki vorne, CDU-Senior Fuchs holt noch nicht einmal zehn Prozent.

Überraschend ist das nicht. Im direkten Wettbewerb um Zuschauerstimmen gewinnen nicht Parteiprogramme, sondern Personen. Kubicki ist ein TV-erfahrener Entertainer, vor wenigen Tagen erhielt er selbst bei der satirischen "heute-show" mit Oliver Welke Applaus. Und dass der altbackene Michael Fuchs bei Raab die Herzen erobern würde, damit hat vermutlich noch nicht einmal CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe gerechnet. Immerhin freut sich Christian Lindner, Chef der NRW-FDP. Über Twitter schreibt er: "Der Wolfgang Kubicki gewinnt bei #AbsoluteMehrheit - Gratulation! Da gibt es jetzt was zu analysieren..."

Jetzt zählt die Quote

Raabs Show wollte über den Wettbewerb Politik und Show miteinander verbinden. Am Ende des Tages wird sie sich wohl eher selbst mit den Anforderungen des Wettbewerbs konfrontiert sehen. Dann zählt die Quote. Der Termin für die nächste Ausgabe steht noch nicht fest. "Wahrscheinlich im Januar", verabschiedete sich Raab.

(pst)
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