Berichterstattung in ARD und ZDF In Westminster nichts Neues

Meinung | London/Düsseldorf · Von den vier Milliarden Zuschauern, die die Trauerfeier für Queen Elizabeth II. im Fernsehen sehen sollten, wollten ARD und ZDF ein paar abhaben. Wie das war? Schalten wir doch mal rüber nach London.

Beerdigung von Queen Elizabeth II.​: Der Trauermarsch in Bildern
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So läuft der Trauermarsch von der Westminster Abbey zum Wellington Arch

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Foto: AFP/LOUISA GOULIAMAKI

Als ich auf meiner Fernbedienung, der Macht, wie man so schön sagt, aus Versehen hoch statt runter schalte, lande ich bei RTL und höre, wie Frauke Ludowig verkündet, dass wir noch einen langen Tag vor uns haben. Das ist keine höfliche Einladung, sondern ein Befehl. Kein Konjunktiv, nirgends. Ich schaue auf die Uhr und erschrecke, es ist erst 10.28 Uhr. Seit zweieinhalb Stunden schaue ich mir die Berichterstattung zur Trauerfeier für Queen Elizabeth II. an, mal in der ARD, häufiger im ZDF, aber ich soll noch einen langen Tag vor mir haben?

Die Bildmaschine startet nicht, wie angekündigt, um kurz nach neun am Montagmorgen, nein, sie läuft bereits seit 5.30 Uhr im ZDF-„Morgenmagazin“. Das Top-Thema der Sendung ist, wer hätte das ahnen können, die Beerdigung der britischen Königin: Goodbye, Her Majesty. Im Publikum wird eine arglose Dame interviewt, die zu Protokoll gibt, sie verbinde sehr viel mit der unlängst verstorbenen Queen, weil diese so ausgesehen habe wie ihre Oma einst. Wer sich durch die irre langen Stunden der deutschen TV-Berichterstattung quält, der erfährt Rührung allerorten. Im besten Fall.

Um 8.09 Uhr schalten wir zu ZDF-Reporter Andreas Weise, er steht bei Westminster Abbey, wo um 12 Uhr deutscher Zeit die Trauerfeier beginnt. Er berichtet, dass rund 2000 Gäste geladen sind, darunter vereinzelt normale Leute. Außerdem seien rund 40 Kilometer Zaun durch London gezogen worden, weil das alles hier auch ein „Alptraum für Sicherheits-Experten“ (so später ein anderer Kollege) ist. Weise, ganz in schwarz, schaut aufrichtig ernst in die Kamera.

Kurz nachdem LINA (Eigenschreibweise) im „Morgenmagazin“-Studio in Berlin über Capri-Sonnen gesungen hat, schalten wir um 8.40 Uhr wieder zu An­dreas Weise. Er hat nichts Neues zu berichten, was sollte das auch sein, deswegen erzählt er uns einfach das gleiche wie eine halbe Stunde zuvor.

Eigentlich gibt es bereits jetzt, mehr als drei Stunden vor dem Start der Feier, nichts mehr zu sagen, aber das offizielle „ZDF Spezial“ hat noch nicht begonnen. Eine Frau, die als Historikerin vorgestellt wird und in Windsor wohnt, erzählt, dass sie die Queen „Nachbarin“ nennt, aber nie von ihr zum Tee eingeladen worden sei. Sie selbst habe allerdings auch nicht eingeladen. Und bevor der arme Andreas Weise nun zum dritten Mal die Zaunkilometerzahl in London nennen muss, beginnt es endlich, das Spezial, mit britischer Nationalhymne, biederen Bildern – und Peter Frey, Chefredakteur des ZDF.

Die Queen ist tot, darüber soll sich an dieser Stelle nicht erhoben werden. Sie war Urgroßmutter, Großmutter, Mutter und eben die Königin von England, manche sagen, in umgekehrter Reihenfolge, aber, dass Menschen um sie trauern, ist normal. Aber ist es auch normal, dass die beiden deutschen öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF den gesamten Montag stundenlang dieselben Bilder senden und denselben Nonsens reden, als sei Queen Elizabeth deutsches Staatsoberhaupt gewesen und nicht good, old Frank-Walter Steinmeier?

ZDF-Chefredakteur Frey gewährt erst einmal Einblicke in sein Inneres. Er spüre, dass eine Epoche zu Ende gehe, sagt er. Und weil bei solchen Gelegenheiten immer gefragt werden muss, wie die Stimmung ist, so wie man Manuel Neuer nach dem 0:1 gegen Augsburg nach seiner Stimmung fragen muss, erzählt uns Peter Frey von der Stimmung in London. „Ich habe eine sehr konzentrierte, sehr ernsthafte Stimmung in der U-Bahn erlebt“, sagt er sehr ernsthaft und sehr konzentriert. Und man würde wirklich gerne wissen, wie sich das anfühlt. Aber wir sind ja hier nicht bei „Markus Lanz“.

Deswegen ab zu Theo Koll, der sich in den Alexandra Gardens in Windsor aufhält. Er war 1993 bis 2001 ZDF-Studioleiter in London, er kennt die Queen, weil er ihr, wie Koll sagt, vorgestellt worden sei. Deswegen soll er jetzt die Schlange einordnen, die sich in den vergangenen Tagen vor dem Sarg der Queen in London gebildet hatte. Koll sagt: „Die Schlange hat sich ja nicht zufällig gebildet, die war ja geplant.“ Koll sagt weiter: „Die Schlange ist eine Demonstration der Briten, ihre eigene DNA zu erkunden.“ Höchste Zeit, zur ARD umzuschalten. Aber vorher noch einmal ganz schnell zu Andreas Weise, der weiß nämlich, dass 2000 Gäste zur Trauerfeier erwartet werden, darunter Joe Biden und einige normale Leute.

In der ARD sagt gerade „Deutschlands bekannteste Society-Expertin“ Marie von Waldburg: „Man würde die Queen auch gerne ad hoc umarmen.“ Und die Königshaus-Expertin der ARD, Leontine von Schmettow, steuert noch bei, dass die Queen eine „unglaubliche Ausstrahlung“ gehabt habe. Zu erfahren ist außerdem, dass der Wagen, auf dem der Sarg der Queen liegt, diesmal nicht von Pferden gezogen wird, sondern von Menschen, „die nicht nur ziehen, sondern auch bremsen“. Sofort sehne ich mich zurück nach der sehr konzentrierten und sehr ernsthaften Stimmung im ZDF.

Auch wenn Peter Frey mitteilt, dass wir einen strengen Zeitplan haben, den wir auf die Minute einhalten, als sei er Frauke Ludowig, gönnen wir uns ein paar grundsätzliche Gedanken zur Monarchie. Und da geht es nicht um die Frage, warum Theo Koll berichtet, dass er beim Besuch bei der Queen ganz automatisch die Hacken zusammengeschlagen hat, sondern um die Zustimmung der Briten zum Königshaus.

Julia Melchior, Königshaus-Expertin des ZDF, findet es nämlich ganz wichtig, dass die jungen Bürger mitgenommen werden, weil die mehrheitlich republikanisch denken. Ist das ZDF etwa für die Monarchie? Die Königshaus-Expertin Melchior sehr wahrscheinlich, weil es ohne Monarchie auch keine Königshaus-Expertin bräuchte. Aber gut, es geht ja um die Jugend.

In Westminster Abbey, berichtet Peter Frey, sei sehr viel Tradition im Raum, „das sehen Sie“, aber auch die junge Generation nehme teil. Da trifft es sich ganz gut, dass die ZDF-Reporterin Alica Jung ein paar junge Stimmen gesammelt hat, draußen, auf den Straßen von London.

Ebenda fragt ein weiterer ZDF-Reporter (hat Friedrich Merz eigentlich gezählt, wie viele es in Summe sind?) eine Familie (also bis auf den Vater, der ist nämlich zur Toilette) nach der Stimmung, wonach sonst. Der Reporter fragt: „What is the mood here? Is it sad?“ Donald Trump, der dem Himmel sei Dank nicht eingeladen ist, würde sagen: So sad.

Das beste, was der Berichterstattung von ARD und ZDF am Montag passiert, ist, dass die Trauerfeier um 12 Uhr wirklich beginnt und sie aufhören können zu reden.

Und damit zurück ins Studio.

(her)
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