Luisa Neubauer bei Richard David Precht „Immer wieder Hoffnung organisieren“

Düsseldorf · Richard David Precht fragt Luisa Neubauer im ZDF, wie es gelingt, in Krisenzeiten optimistisch zu bleiben. Außerdem will der Philosophie-Talker von der Klima-Aktivistin wissen, was zu tun sei, wenn der Krieg in der Ukraine die Dringlichkeit des Klimaschutzes überlagere.

 Klimaaktivistin Luisa Neubauer sprach am Abend im ZDF mit Richard David Precht.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer sprach am Abend im ZDF mit Richard David Precht.

Foto: Screenshot ARD/Screeenshot ARD

Einstiegs gibt Richard David Precht seine Ansicht kund, moralische Werte spielten heute für jüngere Leute eine wichtigere Rolle als für frühere Generationen. Daher soll nun die 26-Jährige ihm im ZDF bei „Precht“ Antwort auf allerhand Fragen geben: Was ist eine gerechte Politik? Welche Haltung sichert der Menschheit ihr Überleben? Und er fragt: „Krankt die Welt an zu wenig Moral oder haben wir inzwischen zu viel?“ Neubauer leitet um: „Die Welt krankt ja“, sagt sie und stimmt zu, dass mehr Auseinandersetzung mit moralischer Verantwortung helfen würde. Ob da zu viel oder zu wenig Moral im Spiel sei, finde sie allerdings „fast zweitrangig.“ Im Übrigen übersteige das „Ausmaß der ökologischen Katastrophe“ inzwischen unsere Vorstellungskraft, sei aber gewiss auch „moralisch aufgeladen.“

Die Klimaaktivistin erklärt, warum sie weder Optimistin noch Pessimistin sei: „Ich spreche lieber von Positivismus“, sagt sie, ihr gehe es vor allem darum, was möglich sei. „Ich habe festgestellt, an wie vielen Momenten wir unglaublich viel möglich machen können“, ermutigt sie. Stimmen, die das Gefühl geben würden, etwas sei unmöglich, seien „Teil der Strategie, um uns von vorneweg die Selbst­wirksamkeit zu entziehen.“ Darauf lasse sie sich nicht ein.

Precht will jetzt wissen, wie sich Wertigkeiten und Ziele durch Russlands Angriffskrieg in der Ukraine verschoben hätten. „Haben wir nun nicht ganz andere wichtige Ziele?“, so der Talker. Neubauer lässt sich nicht darauf ein, Krieg und Klima gegeneinander auszuspielen. Sicher lebe man heute in einer anderen Realität als zu Beginn der Fridays-for-Future-Bewegung. Zugleich sei es auch ein „ehrlicher Moment“, wenn sich heute die Krisen überschlagen würden. Es sei durchaus „aufwändiger geworden, sich keine zynische Weltanschauung zu geben“, sagt sie und erinnert an viele Ohnmachtsmomente während des Dürresommers. Sie sehe aber, wie „gerade in diesen Krisen ganz unwahrscheinliche Kräfte zutage treten“, sagt Neubauer und erinnert daran, dass zu Beginn des Einmarsches in die Ukraine, binnen Tagen in Deutschland 120.000 Menschen für Frieden demonstriert hätten.
„Ein Teil unserer moralischen Aufgabe ist vielleicht, immer wieder Hoffnung zu organisieren“, sagt die Aktivistin und wehrt sich gegen Prechts Andeutungen, Krisen würden gegeneinander ausgespielt. Alles hänge zusammen, sagt Neubauer, daher dürften die einander überlagernden Krisen nicht einzeln betrachtet werden. Fridays for Future beispielsweise kämpfe ja auch dafür, „dass die Ukrainer sich schnell ihren eigenen Frieden organisieren können.“

Als die beiden sich der Transformation auf dem Weg zu einer fossilfreien Zukunft widmen, schlägt Precht vor, dass doch alles sehr viel schneller gehen würde, wenn es mehr staatliche Eingriffe und Regulationen gebe: „Würde das nicht alles in einer freundlichen Ökodiktatur enden, wenn man das alles in so kurzer Zeit schaffen würde?“ fragt er. Neubauer hält davon nichts, eine Ökodiktatur würde sie komplett verneinen. „Warum kämpfen wir für Klimaschutz?“, fragt sie und antwortet gleich selbst: „Damit Menschen wieder freier sein können, und nicht durch die Klimafolgen eingeschränkt werden.“ Die demokratische Beteiligung sei an sich eines der wichtigsten und wertvollsten Instrumente im Kampf gegen die Klimakrise.

Auch auf dem Gebiet der Arbeitsplätze drängt Precht darauf, es gehe doch vor allem um ein „Gegeneinander ausspielen.“ Für den Bau eines Elektroautos brauche es beispielsweise nun mal weniger Arbeitskräfte als für einen Verbrenner. „Diese Menschen brauchen einen Job, aber sie haben auch ein Interesse daran, dass der eigene Job nicht Teil der Klima­zerstörungs­-Maschinerie ist“, sagt Neubauer und lehnt Prechts Schwarz-Weiß-Visionen ab: Es mangele nun wirklich nicht an Ideen, wie man vermeiden könne, dass die Reibungspunkte der Transformation auf den Schultern der Schwächeren oder Mitarbeiter austragen würden.
Auch zum Thema Energiekosten und -sparen drängt sie auf Ausgleich und sozial verträglichere Lösungen. Als Precht vorschlägt, der Krieg habe ja jetzt irgendwie provoziert, was die Grünen immer schon wollten, und zwar dass jetzt alle Energie sparen, schlägt sie eine andere Richtung ein. Für sie wäre es eher die „Kernaufgabe einer Regierung, Menschen zu begeistern für Veränderungen, die notwendig sind.“

Sie erinnert daran, dass sie sich als „Klimagerechtigkeits-Aktivistin“ sieht, und in dieser Funktion müsse sie mit dafür sorgen, dass nicht die Ärmsten nun die Misere ausbaden müssten, denn die derzeitige Krise sei weder gerecht noch nachhaltig. „Auf sehr beängstigende Art ist alles offen“, sagt sie, bleibt aber bis zuletzt der „Possibilistin“ treu: „Was mich antreibt, ist, dass wir alle mitbestimmen, und die Möglichkeit haben, unfassbaren Einfluss zu nehmen.“

(juju)
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