„Polizeiruf 110: Ronny“ Kommissarin am Rande des Zusammenbruchs
Magdeburg · Ein Heimkind verschwindet nach einer missglückten Geburtstagsfeier spurlos. Der Fall bringt auch Kommissarin Brasch an ihre Grenzen. Warum der Polizeiruf „Ronny“ länger in Erinnerung bleiben dürfte.
Der kleine Ronny muss seinen zehnten Geburtstag im Heim feiern. Mutter Sabine (Ceci Chuh) erholt sich von einer Drogenerkrankung und bemüht sich bislang vergeblich, wieder das Sorgerecht für ihren Sohn zu erhalten. Im Heim wird sich anscheinend gut um Ronny gekümmert. Leiterin Gaby Kleinschmidt (Maja Schöne) und Erzieher Matthias Precht (Thomas Schubert) richten eine Feier aus. Ronny freut sich über das neue Fahrrad und eine Angelrute. Nach dem Kuchen radelt er zu seiner Mutter für einen Kurzbesuch. Doch der Nachmittag endet hässlich. Der neue und gefühlskalte Lebensgefährte der Mutter setzt Ronny vor die Türe. Danach verschwindet der Junge. Die letzte Spur ist die Aufnahme der Sicherheitskamera in einem Linienbus. Sie zeigt Ronny mit Fahrrad und Angelrute – und einem großen Blutfleck auf dem T-Shirt.
Bei ihren Ermittlungen stößt Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) auf viele Widerstände. Die leibliche Mutter verstrickt sich in Lügen und Halbwahrheiten, statt der Polizistin wirklich zu helfen. Die Heimleiterin scheint vor allem daran interessiert zu sein, ihren wortkargen Sohn Gordon (Valentin Oppermann) aus den Ermittlungen herauszuhalten. Gordon selbst bezichtigt Erzieher Precht, sich in der Vergangenheit an Kindern vergangen zu haben. Der Erzieher inszeniert sich als Opfer einer Rufmordkampagne. Beweise gibt es jedoch keine. Der Kommissarin läuft die Zeit davon. Dabei ist noch nicht mal erwiesen, ob tatsächlich ein Verbrechen vorliegt.
Drehbuchautor Jan Braren und Regisseurin Barbara Ott ist ein außergewöhnlicher und sehenswerter Krimi gelungen, bei dem die Nöte und Ängste alleinerziehender Mütter im Mittelpunkt stehen. Der Fall betrifft Kommissarin Brasch auch persönlich auf mehreren Ebenen. Zu ihrem eigenen Sohn, der in die rechtsextreme Szene abgerutscht ist, hat sie seit Jahren keinen Kontakt mehr. Zudem erinnert sie Ronnys Verschwinden an einen ihrer alten Fälle, bei dem das vermisste Kind zu spät gefunden wurde. „Mütter am Rande des Nervenzusammenbruchs“ sei der geheime Arbeitstitel für das Buch gewesen, verriet Autor Braren in einem Interview. Es wäre zwar ein plakativer, aber auch treffender Titel für diesen Krimi gewesen.
Trotz der beachtlichen Anzahl an Verdächtigen und vielen Wendepunkten wirkt „Ronny“ nicht überladen, sondern fesselt mit einer leisen, quälenden Spannung bis zum Schluss. Auch dank starker schauspielerischer Leistungen erlebt der Zuschauer drei gleichberechtigte weibliche Hauptrollen mit eigenen, glaubwürdigen und anrührenden Geschichten. Dabei wird dem Zuschauer auch einiges zugemutet. Die Sprache ist direkt und roh, es wird derb geflucht, geschrien, geweint, geschubst. Die sonst so robust und oft schroff wirkende Brasch scheint tatsächlich mehrmals kurz vor dem Nervenzusammenbruch zu stehen.
Für die gebürtige Dresdnerin und zweifache Grimme-Preis-Trägerin Claudia Michelsen war es bereits der 16. Polizeiruf-Einsatz als Kommissarin Brasch. „Ronny“ zählt dabei zu den Highlights des Magdeburger Teams und ist für den „Deutschen Fernsehkrimi-Preis 2023“ nominiert, der an diesem Wochenende in Wiesbaden verliehen wird. Unabhängig von der Jury-Entscheidung: Das Einschalten am Sonntagabend lohnt sich auf jeden Fall.
„Polizeiruf 110: Ronny“, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr