"Das Zeugenhaus" Brillante Geschichtsstunde im ZDF

Nürnberg · Der Film "Das Zeugenhaus" arbeitet die Schuld der Deutschen auf - vor dem Hintergrund der Nürnberger Prozesse.

Die Amerikaner waren nicht zimperlich - weder mit den Anhängern des NS-Regimes noch mit dessen Opfern. Als die Siegermächte nach Kriegsende in Nürnberg über Regierungs- und Militärvertreter zu Gericht saßen, brachten sie einige Zeugen in einem Haus unter. Befürworter und Bekämpfer des Nationalsozialismus, Täter und Opfer schliefen Wand an Wand und aßen an einem Tisch.

Der ZDF-Film "Das Zeugenhaus" beruht auf einer wahren Begebenheit. Eine Gräfin (gespielt von Iris Berben, ihr Sohn Oliver ist Produzent) wird während der Nürnberger Prozesse beauftragt, in einer Villa die Zeugen zu versorgen. Der frühere Gestapo-Chef Rudolf Diels (grandios: Tobias Moretti) etwa ist zu Gast, ebenso wie Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann (Udo Samel) und dessen Tochter Henriette von Schirach (Rosalie Thomass) oder die Résistance-Kämpferin und Auschwitz-Überlebende Marie-Claude Vaillant-Couturier (Vicky Krieps). Die meisten Personen sind real, die Dialoge allerdings fiktiv. Und es läuft einem eiskalt den Rücken herunter, wenn der Fotograf über den "sanftmütigen Herrn Hitler" schwafelt, der seiner Tochter solch ein lieber Onkel gewesen sei, und Minuten später Marie-Claude Vaillant-Couturier sich für ihren komplizierten Namen entschuldigt und sagt: "Vielleicht können Sie sich die tätowierte Nummer auf meinem Unterarm besser merken."

Wie wendig sich die Menschen mit den neuen Gegebenheiten arrangieren, macht einen sprachlos: Mitunter verursachen die ewigen Entschuldigungen, die Versuche, sich von dem Unfassbaren reinzuwaschen, sogar ein wenig Übelkeit. Die Ehefrau des Angeklagten Baldur von Schirach sehnt sich nach ihrem alten Leben und der Wohnung in der Wiener Hofburg zurück und will die Aussagen aller manipulieren, damit ihr Mann gerettet wird. Denn: "Reichsjugendführer wird man doch nicht als schlechter Mensch." Und am Ende dieses Films, den Regisseur Matti Geschonneck eindringlich inszeniert und in dem er die Fiktion sowie historische Bild- und Tonaufnahmen stimmig komponiert, zeigt sich, dass selbst ein juristisches Urteil keine Genugtuung für die Opfer sein kann. Dass auch sie sich schämen, weil sie meinen, nur auf Kosten der Schwächeren überlebt zu haben.

"Immer wieder versuchen wir, im Kontinuum Merkfähiges, Erinnernswertes, Bleibendes zu schaffen - der Fernsehfilm ist auch das Gedächtnis unserer Zeit", stellt ZDF-Fernsehfilmchef Reinhold Elschot fest. Geschonneck habe solch einen Film geschaffen. Ihm und dem ZDF ist eine brillante, bewegende Geschichtsstunde gelungen.

"Das Zeugenhaus", ZDF, 20.15 Uhr; "Die Dokumentation", ZDF, 22 Uhr

(RP)
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