Berlin TV-Experiment "Newtopia" ist gescheitert

Berlin · Sat.1 stellt die Reality-Show kurz nach der 100. Folge ein. Die Quoten waren zu schlecht. Nur eine Million Menschen sahen zu.

Newtopia auf Sat.1: Erste Kandidaten und Teilnehmer der Show
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"Newtopia": Das waren die ersten Kandidaten

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Immerhin: Auf der Haben-Seite können die 15 verbliebenen Insassen des "Newtopia"-Camps nach etwas mehr als 100 Sendungen 4046,04 Euro verbuchen. So viel ist vom Wirtschaften geblieben, macht rund 270 Euro für jeden - plus jede Menge Erfahrung natürlich. Denn die von Sat.1 vollmundig als "größtes TV-Experiment aller Zeiten" angekündigte Reality-Show wird wegen zu schwacher Quoten abgesetzt. Bereits am 24. Juli läuft die letzte Ausgabe. Eigentlich sollte erst Ende Februar kommenden Jahres Schluss sein. Doch Sat.1-Geschäftsführer Nicolas Paalzow zog bereits jetzt die Reißleine. Man habe viel Sendezeit, Herzblut und Ideen in das Projekt gesteckt, sagte Paalzow. "Leider ohne den erhofften Erfolg. Aber nur wer wagt, gewinnt."

Allerdings mutete der Gedanke, wild zusammengewürfelte Menschen in ihrer ermüdenden Alltäglichkeit ein Jahr lang zu beobachten, von Anfang an befremdlich an. Beirren ließen sich die Macher von "Newtopia", die Produktionsfirma Talpa Germany unter Federführung von John de Mol ("Big Brother"), davon freilich nicht. In den Niederlanden, wo das gleiche Konzept "Utopia" heißt, war die Show-Idee sehr gut beim TV-Publikum angekommen. Also sperrte man im Februar auch in Deutschland 15 sogenannte Pioniere in ein von der Öffentlichkeit abgeschirmtes Areal bei Brandenburg und erklärte die Kandidaten zu Selbstversorgern. Dutzende Kameras zeichneten fortan deren Versuche auf, aus etwas Ackerland, zwei Kühen und 25 Hühnern Kapital und unterhaltsames Sendematerial zu schlagen.

Schon bald aber nach dem vielversprechenden Start mit 2,8 Millionen Zuschauern verloren diese das Interesse. In der vergangenen Woche sahen nur noch 1,17 Millionen Menschen dabei zu, wie die Kandidaten über einer neuen, eher zweifelhaften Geschäftsidee brüteten oder stundenlang über Nichtigkeiten debattierten. Als wenig zielführend erwies sich zudem, dass Pioniere abgewählt wurden beziehungsweise von sich aus das Camp verließen. So war es schwierig für die Zuschauer, längerfristige Bindungen herzustellen. Von der Ursprungsbesetzung sind nur zwei Kandidaten übrig (Derk und "Vaddi" Steffen), insgesamt wurden 30 Insassen durch "Newtopia" geschleust. Am schnellsten war der Essener Student Lenny wieder draußen. Sein "Newtopia" endete aus Liebeskummer bereits nach zwei Tagen.

Dazu kamen Pannen: Im April weckte ein nächtlicher Vorfall Zweifel an der Glaubwürdigkeit von "Newtopia", das nach Bekunden der Macher frei von manipulativen Regieeinflüssen entstehen sollte. Bei einer teils hitzigen Besprechung von Kandidaten mit einer Produktions-Mitarbeiterin war jedoch - offenbar versehentlich - eine Kamera mitgelaufen. Die Mitarbeiterin hatte mit den Teilnehmern der Show darüber gesprochen, wie wieder mehr Dynamik ins Geschehen kommen könnte. Die Frau wurde "von ihrer Tätigkeit entbunden", in den sozialen Medien kursierte aber schnell der Begriff "Faketopia". Im Juni hatte sich dann die Camp-Kuh "Clyde" überfressen, weil Bewohner eine Tonne nicht geschlossen hatten. Die Kuh war zeitweise in einer Klinik, wurde danach wieder aufs "Newtopia"-Gelände gebracht. Zumindest gab es an diesem Tag etwas zu vermelden.

Auf Zahlen reduziert, liest sich die "Newtopia"-Bilanz dann aber ganz beachtlich: Mehr als 1000 Menschen besuchten das Camp (darunter Rainer Langhans), 88 Geschäftsideen entwickelten die Kandidaten, 30 davon wurden umgesetzt. 45 617,53 Euro wurden erwirtschaftet, 41 571,49 Euro ausgegeben. Die Kühe gaben 3024 Liter Milch, die Hühner legten 1890 Eier. 40 Kubikmeter Holz wurden verbaut, 13 Partys gefeiert und 23 017 Zigaretten geraucht. Im Sinkflug war eigentlich nur eine Zahl - die der Zuschauer.

(RP)
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