„Simpsons“-Nachfolger „Disenchantment“ Witze ohne Bart

Hamburg · „Simpsons“-Erfinder Matt Groening hat eine Fantasy-Satire geschaffen: „Disenchantment“ ist keine Weltsensation, aber witzig und charmant.

 Proll-Prinzessin Bean mit dem treudoofen Elf Elfo sowie ihrem „persönlichen Dämon“ Luci.

Proll-Prinzessin Bean mit dem treudoofen Elf Elfo sowie ihrem „persönlichen Dämon“ Luci.

Foto: The Ululu Company/Netflix/Ululu/Netflix

Die „Simpsons“ werden alt. Seit inzwischen beinahe 30 Jahren toben der dumm-dreiste Homer Simpson sowie sein buchstäblich berufsjugendlicher Sohn Bart über die Bildschirme, und kein Ende ist in Sicht. Doch ihr Schöpfer, US-Cartoonist Matt Groening (64), ist im Alltag kaum noch daran beteiligt. Und auch seine zweite Zeichentrickserie „Futurama“ über die Abenteuer eines Pizzaboten im Jahr 3000 mit Außeriridischen und alkoholkranken Robotern lief 2013 endgültig aus.

Groening hätte sich darauf verlegen können, sein angeblich rund 500 Millionen Dollar umfassendes Vermögen zu zählen oder zu verprassen. Stattdessen verbrachte er die vergangenen Jahre damit, ein drittes Cartoon-Universum zu erdenken und mit skurrilen Figuren zu bevölkern. „Disenchantment“ („Entzauberung“) heißt die neue Serie, die ab Freitag bei Netflix abrufbar ist. Zehn Folgen gibt es direkt zum Start, zehn weitere sind bereits bestellt.

Im Mittelpunkt steht die trinkfeste Königstochter Bean, die gegen ihren Vater rebelliert, den selbstherrlichen Herrscher von „Dreamland“, das seinen Namen natürlich zu Unrecht trägt. Die raufende und saufende Prinzessin wächst einem schnell ans Herz, ebenso wie Engelchen und Teufelchen auf ihren Schultern, Beans „persönlicher Dämon“ Luci sowie der treudoofe Elf Elfo. Das Trio ist grandios prollig und drollig, ein Volltreffer.

Die immensen Erwartungen kann „Disenchantment“ dennoch nicht erfüllen. Die Gag-Dichte könnte deutlich höher sein, ebenso die Zahl der Seitenhiebe auf Bücher, Filme und Videospiele. Dass der König und seine osteuropäische Frau die Trumps darstellen, wirkt eher pflichtschuldig. Die wiederkehrenden zauberhaften 3D-Animationen lassen die vielen simpler gezeichneten Szenen umso altbackener wirken. All das macht die Serie allerdings nicht schlecht – die Messlatte liegt bloß so hoch, dass Groening und seine Leute sie kaum überspringen konnten.

 Klugerweise haben die Macher gar nicht erst versucht, es in Sachen Krassheit mit den Erwachsenen-Cartoons „South Park“ und „Rick and Morty“ aufzunehmen. Für Lacher sorgen neben einigen überzeichneten Gewaltorgien und ausführlichen Parodien des Pomps zu Hofe à la „Monty Python“ viele trockene Gags am Rande im „Simpsons“-Stil. „Ich kann nichts außer auf einem Stein sitzen und weinen“, schluchzt Prinzessin Bean zum Beispiel einmal. Prompt bewegt sich ihr Sitzplatz, eine Schildkröte streckt ihren Kopf hervor: „Ich bin kein Stein!“, stellt das Tier klar. „Und ich kenne viele Leute, die besser weinen können.“

 Die klassische Handlung – junge Frau sucht ihren Weg aus dem goldenen Käfig und rebelliert dabei gegen ihren Vater und das System – gewinnt enorm vor dem genüsslichen Zusammenprall von Mittelalter-Parodie und Fantasy-Satire mit sehr zeitgemäßen Problemen.

„Disenchantment“ handelt, anders als die oft ermüdend ernsthaften Fantasy-Epen, nicht wirklich vom Schicksal all der einzelnen knurrigen Könige und munteren Mägde, rabiaten Ritter und tumben Trolle. Im Kern behandelt die Serie die mehr oder weniger zeitlosen Herausforderungen, die das Leben und die Gesellschaft an sie alle stellen – und das krachende Scheitern daran.

Zwischen Ablasshandel und Alkoholismus hadern die Burgbewohner mit ihren Bindungsängsten. Zwischen Drachenjagd und Drogentrips kämpfen Exorzisten gegen die Emanzipation. In Folterkellern und Fitnessstudios herrschen Hexenverfolgung und häusliche Gewalt. Es geht um Kreuzzüge und Kommunikationsprobleme, Lepra und Leistungsdruck, den Mindestlohn und Mobbing im Märchenschloss. Riesen beschweren sich über Rassismus, die Pest trifft auf ganz gewöhnliche Pubertät, die Wirrungen der Liebe auf wilde Wikingerangriffe.

Die Witze ohne Bart funktionieren. Es braucht bloß mehr davon.

„Disentchantment“, ab Freitag bei Netflix

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort