NDR-Doku über Homophobie Kirchenaustritt aus Liebe zu den Enkeln

Düsseldorf · Eine Großmutter ist 84 Jahre lang Mitglied in der Kirche und gläubige Christin. Jetzt hat sie sich dazu entschieden, ihrer Gemeinde den Rücken zu kehren. Grund sind schwulenfeindliche Aussagen eines Pastors in einer Dokumentation des NDR.

NDR-Doku: Kirchenaustritt aus Liebe zu den Enkelkindern
Foto: Shutterstock/ Syda Productions

Die Frau, deren Nachname geschwärzt wurde, heißt Marie. Sie schreibt, sie sei 84 Jahre alt und genauso lange Mitglied in einer evangelisch-lutheranischen Kirchengemeinde. Nun ist sie ausgetreten, weil sie der Meinung ist, dass ihre Kirche ihre homosexuellen Enkelkinder diskriminiert. Um ein Zeichen gegen Homophobie zu setzen, hat sie ihr Austrittschreiben publik machen wollen — eine gute Gelegenheit für die Organisation "Enough is enough" (zu deutsch: "genug ist genug"), die sich im Internet für Gleichberechtigung einsetzt. Die Aktivisten veröffentlichten den anonymisierten Brief der Rentnerin auf Facebook und traten so eine Debatte los.

"Sehr geehrte Damen und Herren", heißt es in dem Schreiben. "Ich schreibe Ihnen heute aus einem mir sehr persönlichen Grund, denn mit dem heutigen Tage bin ich aus der evangelisch-lutherischen Kirche ausgetreten. Ich heiße Marie und ich wurde kurz nach meiner Geburt getauft, sodass ich mittlerweile 84 Jahre lang ein Teil der evangelisch-lutherischen Gemeinde war."

Enge Beziehung zu ihren Enkeln

Soweit kein ungewöhnlicher Vorgang. Im vergangenen Jahr verzeichnete allein die evangelische Landeskirche in Bayern über 30.000 Austritte. Besonders ist der Grund, den die Großmutter für ihren Entschluss anführt: "Ich habe zwei Enkel, welche beide homosexuell sind. Wir haben ein sehr enges Miteinander und ich erlebe, wie sie leben." Die beiden seien glücklich: "Sie leben in einer glücklichen, seit Jahren bestehenden Beziehung, in der sie füreinander da sind. Sie kümmern sich um mich und helfen mir bei alltäglichen Dingen. Ich kann mich auf sie verlassen." Nun sei sie aber im Fernsehen auf eine Sendung gestoßen, die sie sprachlos und traurig gemacht habe.

"Ausgelebte Homosexualität" als Sünde

Der zweite Teil der Doku-Reihe beschäftigte sich nun mit schwulenfeindlichem Denken in der evangelischen Landeskirche. Gesprächspartner der Reporter war unter anderem der niedersächsische Pastor Gero Cochlovius, der die Auffassung vertritt, dass "praktizierte, ausgelebte Homosexualität nicht dem Willen Gottes entspricht". Deshalb müsse man sie wohl als Sünde bezeichnen.

Großmutter Marie konnte kaum glauben, was sie da hörte: " Sie [die Aussagen, Anm. d. Red.] verdeutlichen ein komplett anderes Verständnis von Liebe und Partnerschaft, als ich es mit meiner christlichen Überzeugung sehe. Homosexuelle als Sünder zu bezeichnen und eine 'Heilung' anzubieten ist unverantwortlich", schreibt sie. Gerade jüngere Menschen könne das vielleicht auf gefährliche Weise beeinflussen. "Verunsicherung? Umerziehung? Destabilisierung? Sind das christliche Werte?", fragt die Großmutter.

Fehlender Aufschrei

Eine viel größere Sünde sei es, gegen andere Menschen zu hetzen. "Hat der Herr Cochlovius nicht aus unserer Geschichte gelernt?", fragt sie. "Wo Juden, Roma, Homosexuelle und kranke Menschen verfolgt und getötet wurden? Wenn es den Gott gibt, an den wir glauben, dann hat er die Menschen so erschaffen wie sie sind." Großmutter Marie vermisst den Aufschrei ihrer Kirchengemeinde und der EKD. Aus diesem Grund sei sie nach so langer Zeit aus der Kirche ausgetreten. Künftig werde sie zu Hause beten.

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