Ein Nachruf Götz George — außergewöhnlich, unbequem, mehr als Schimanski

Duisburg · Götz George war ein großer Schauspieler, und er hat den Deutschen mit Schimanski einen neuen Helden geschenkt, einen echten Kerl. Aber er konnte weit mehr als Raubein. Ein Nachruf.

Götz George – sein Leben in Bildern
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Bilder aus dem Leben von Götz George

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Natürlich dreht dieser Kerl den Leuten den Rücken zu. Er will ja nicht gefallen, nur seinen Job machen, Scheiße noch mal. So taucht Götz George 1981 plötzlich im schmuddeligen Unterhemd im "Tatort" auf, steht an einem Fenster und blickt auf das Stahlkocher-Duisburg, die trübe Malocherstadt, sein Revier.

Und dann geht Horst Schimanski hinüber in seine gammelige Küche, will sich Spiegeleier braten, findet in all dem Ungespülten keine Pfanne, schlägt die rohen Eier in ein Glas, kippt sie wie einen Korn in der Kneipe. Da war ein neuer Ermittlertyp geboren, der antibürgerliche, antibürokratische Held, Draufgänger in der beigen Feldjacke, James Bond der kleinen Leute, Proletarier unter den Ermittlern, ein ruppiger Macho, aber immer ehrliche Haut.

Götz George hat diesen Schimanski geformt, verkörpert, hat sich darin ausgelebt. Er lag ihm einfach, dieser Typ mit Schnauzbart, der sich bei seinen Ermittlungen in den Bars hinter dem Bahnhof seinen Schrammen holt, sich vom Chef nicht gängeln lässt und ein echter Kumpel ist für Thanner, den verlässlichen Kollegen und vernünftigen Gefährten. Schimanski, das war eine Injektion Wirklichkeit in die Welt der öffentlich-rechtlichen Kommissare mit ihren gebügelten Wettermänteln und Aktentaschen. Und er war eine Provokation. Dazu brauchte es einen Schauspieler, der glaubhaft rebellisch sein konnte, aufbrausend, rücksichtslos — und so verletzlich, wie es Kerle immer sind.

Götz George hat sich mit dieser Figur ein Alter Ego geschaffen, das die Leute lange faszinierte. In 29 "Schimmi"-Folgen hat er den Ruhri gegeben, hat sich durchs Revier geprügelt, gesoffen, geflucht. So erfolgreich, dass ihm das Erste 1997 mit Schimanski eine eigene Serie einrichtete. Und auch das funktionierte 48 Folgen lang bis ins Jahr 2013. Obwohl man diesen Typen doch inzwischen in- und auswendig kannte und das Ruhrgebiet nicht mehr qualmte, sondern sich längst strukturgewandelt hatte. George sah man trotzdem weiter zu, weil er Figuren so verinnerlichte, dass er in ihnen auch alt werden konnte.

Und dass die Zuschauer bisweilen das Grauen packte, wie 1995 als er in "Der Totmacher" den homosexuellen Massenmörder Fritz Haarmann gab, der in den 1920er Jahre 24 junge Männer tötete. In der Enge eines Verhörzimmers gab George wieder, was Haarmann selbst über seine Taten gestanden hatte und machte aus diesem dokumentarischen Experiment das bestürzend intime Porträt eines Täters.

Denn natürlich konnte George mehr als Raubein. Etwa komisch sein. In Helmut Dietls "Schtonk!" zum Beispiel spielte er den Skandalreporter Hermann Willié, der dem "Stern" Hitlers vermeintliche Tagebücher aufschwätzt. Sein manieriertes Schniefen, die zur Schau gestellte Blasiertheit und Selbstgefälligkeit dieser Figur spielt George mit solcher Lust und Perfektion, dass man sich wünschte, er habe den Schimanski ein paar Jahre eher an den Drachen gehängt und über das Ruhrgebiet davon segeln lassen, um mehr Zeit für andere Rollen zu haben.

Natürlich ist sein Filmschaffen aber auch so vielfältig genug. Er spielte den KZ-Arzt Josef Mengele ("Nichts als die Wahrheit"), einen an Alzheimer erkrankten Busfahrer ("Mein Vater"), einen Taschendieb ("Das Trio"), einen blinden Klavierlehrer ("Der Novembermann"), einen Öko-Aktivisten ("Lüg weiter, Liebling") und einen todgeweihten Staatsanwalt ("Nacht ohne Morgen").

Und dann war da noch seine anstrengendste Rolle, die als der Götz George der Fernsehauftritte, der sich mit Thomas Gottschalk anlegte, der Interviewer vorführte, der den Querulanten gab, oft klug, kritisch, unnachgiebig, manchmal selbstgefällig, launisch, divenhaft. Jedenfalls schien George besessen davon, herauszustechen, außergewöhnlich, unbequem zu sein. Vielleicht hatte das mit seiner Herkunft zu tun, mit dem Vater, Heinrich George, dem großen Mimen, der auch während der Nazi-Zeit Karriere machte und 1946 in sowjetischer Gefangenschaft starb.

Götz, der seinen Vornamen der Lieblingsrolle des Vaters als Goethes "Götz von Berlichingen" verdankt, war damals acht Jahre alt. Die Mutter, die Schauspielerin Berta Drews, zieht ihren "Putzi" nun auf, doch der berühmte, umstrittene Vater bleibt eine mächtige Figur in seinem Leben. Zumindest gab Götz George das selbst zu Protokoll: "Du hast mich halt immer überholt. Du warst halt immer besser, besessener", sagte er in einer Doku anlässlich seines 75. Geburtstags über seinen Vater. Und besiegt hat er ihn dann doch noch — indem er ihn spielte. "George" hieß der Film schlicht.

Mit 77 Jahren ist Götz George nun am 19. Juni nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. So gab es seine Agentin erst jetzt bekannt. Laut "Bild" wurde er in Hamburg im engsten Familienkreis beigesetzt.

Götz George war ein großer Schauspieler, und er hat den Deutschen mit Schimanski einen neuen Helden geschenkt, einen Aufmüpfigen, Leidenschaftlichen, Unverbesserlichen, einen echten Kerl. Solche Typen sind unsterblich.

(dok)
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