„Maybrit Illner Spezial“ zu Hanau „Rassismus ist die Norm“

Düsseldorf · Rassistische Sprache, Verharmlosung, Hasskommentare: Bei „Maybrit Illner“ diskutieren die Talkgäste mögliche Wurzeln des rechten Terrorismus – und kommen auf mögliche Gegenmaßnahmen zu sprechen.

 Die Talkrunde bei "Maybrit Illner spezial" am 20.02.2020.

Die Talkrunde bei "Maybrit Illner spezial" am 20.02.2020.

Foto: ZDF

Für das „Maybrit Illner Spezial“ zu den rassistischen Anschlägen von Hanau hatte sich die Redaktion den Titel „Anschlag in Hanau: Rechter Terror außer Kontrolle?“ ausgedacht. In der Talkrunde ist die Kernfrage indessen, ob Terror überhaupt kontrollierbar sein mag.

Die Gäste:

  • Claudia Roth (Grüne), Bundestags-Vizepräsidentin
  • Armin Laschet (CDU), NRW-Ministerpräsident
  • Janine Wissler (Die Linke), Landtags-Fraktionsvorsitzende Hessen
  • Kübra Gümüşa, Journalistin
  • Matthias Quent, Rechtsextremismus-Forscher

Der Talkverlauf

Gleich zu Beginn der Talkrunde wendet sich Moderatorin Maybrit Illner an den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Armin Laschet soll sagen, wie groß seine Sorge ist, dass der rassistische Anschlag von Hanau nicht der letzte seiner Art war. Groß, sagt er. Und die These vom einzelnen Irren will Laschet nicht gelten lassen. „Es gab schon immer psychisch Kranke, die sind aber nicht zu Mördern geworden.“. Aggression werde in der Gesellschaft geschürt, und das Phänomen sei auch nicht neu, sondern 20 Jahre alt. Damit spielt Laschet auf die NSU-Mordserie an.

Auf institutionellen Rassismus weist die hessische Landtags-Fraktionsvorsitzende der Linken, Janine Wissler, hin. Sie war Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss. Mit Blick auf Hanau sagt sie, die Anteilnahme auf der Straße sei wichtig, entscheidend seien aber die Konsequenzen.

So beantwortet Wissler auch die Frage, warum immer wieder Hessen zum Schauplatz rassistischer Gewalttaten wird, mit der mangelnden Aufklärung der NSU-Morde und der Verharmlosung solcher Fälle in vielen Behörden. Noch etwas anderes mache Hanau deutlich: „Das zeigt, dass die Gefahr von rechts kein Ostproblem ist.“

Die Journalistin Kübra Gümüşa kritisiert, dass die Verantwortung für das Ansprechen von Missständen meist auf die Betroffenen abgeladen würde. „Wir empören uns über Menschen, die sich rassistisch verhalten, als sei das eine große Überraschung; dabei ist Rassismus die Norm.“

Damit streift die Talkrunde die Frage, welche Rolle Sprache in diesem Zusammenhang spielt. „Es fängt an mit dem Sagbaren, dann kommt das Machbare“, sagt die Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth. Dem Angriff auf das Menschliche folge der Angriff auf den Menschen. „Wo melden sich bitteschön Menschen, die auf einer Feindesliste stehen?“, fragt sie und fordert eine Taskforce Rechtsextremismus beim Innenministerium. Zudem plädiert Roth für mehr wissenschaftlich fundierte Grundlagen für eine Politik gegen Rechtsterrorismus, ein anderes Waffenrecht und den Kampf gegen das Vollzugsdefizit – Hunderte unter anderem wegen Personalmangels nicht vollstreckter Haftbefehle gegen rechtsextreme Täter.

Laschet sieht neben dem rassistisch motivierten Kostenpflichtiger Inhalt Terrorismus auch eine Bedrohung darin, „dass sie in die Parlamente hineinkommen“. Als Beispiel zieht er die Malbücher mit rassistischen Inhalten heran, die die AfD-Fraktion des Düsseldorfer Landtags produziert hat.

Daran knüpft der Rechtsextremismus-Forscher Matthias Quent einen größeren Zusammenhang. „Rassismus steht nicht nur in AfD-Malbüchern, sondern auch in Schulbüchern.“ Stereotype seien Teil unserer Gesellschaft, doch etwas habe sich geändert: Solchen Fragen könnten heute offen diskutiert werden, weil Deutschland liberaler und vielfältiger geworden sei. Das führe allerdings zu Gegenreaktionen, die von der AfD radikalisiert würden.

Gümüşa sieht auch das Internet als Brutstätte. Die Hälfte der Hasskommentare dort kämen von nur fünf Prozent der Nutzerkonten, und polarisierende Inhalte würden von den Plattformen gefördert – genau wie auch in Talkshows. Diese seien nicht auf einen konstruktiven Diskurs angelegt, sondern sie würden Meinungen gegeneinander antreten und Gäste um die Gunst des Publikums buhlen lassen – „und am Ende gibt es einen Gewinner.“

Doch Laschet verweist auf politische Streitereien mit harten Bandagen aus längst vergangenen Zeiten, die dennoch einen menschlichen Umgang miteinander zuließen. „Die Debatte ist nicht das Problem“, sagt er. Allerdings wünscht er sich modernste Mittel und passendes Personal, um Rechtsradikale wie vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorgesehen im Internet zu finden. Da warnt Quent: Private Plattformen würden zu Hilfssheriffs gemacht – zu Lasten von Bürgerrechten.

„Man darf jetzt nicht überreagieren mit repressiven Schnellschüssen, die alle Internetnutzer treffen, sondern muss genau schauen: Was sind die Stellschrauben?“ Die rechtsextremen Strukturen seien nur eine davon, so Quent. Ebenso wichtig seien Schutz und Solidarität mit betroffenen Gruppen, etwa mit Vertrauenspolizisten, die nach britischem Vorbild wochenlang nach einem Anschlag immer wieder die Tatorte besuchen und dort Beziehungen zur Bevölkerung aufbauen.

Für den Moment legt Quent der Politik eines besonders ans Herz: Die Diskussion über Maßnahmen müsse man mit kühlem Kopf führen, nicht auf dem Hintergrund von Bildern wie jenen aus Hanau. Während der Sendung hingen eben jene hinter der Talkrunde.

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