TV-Nachlese zu „Illner“ „Bitte jetzt nicht das ganze Wahlprogramm“

Düsseldorf · Saskia Esken und Christian Lindner sollen bei „Maybrit Illner“ über Wohlstand sprechen. Doch die Vorsitzenden der SPD beziehungsweise FDP prallen immer wieder vor die lästige Frage nach einer Ampel-Koalition.

Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 2. September 2021.

Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 2. September 2021.

Foto: ZDF

Unter dem Motto „Liberal oder sozial – was sichert Wohlstand für alle?“ lud „Maybrit Illner“ am Donnerstagabend die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und den FDP-Chef Christian Lindner zum Gespräch.

 Die Gäste:

  • Saskia Esken (SPD), Parteivorsitzende
  • Christian Lindner (FDP), Parteivorsitzender
  • Henrike Roßbach, Journalistin
  • Gabor Steingart, Kolumnist

 Darum ging’s:

Um Einkommen, mögliche Koalitionspartner und die Macht der FDP.

 Der Talkverlauf:

Olaf Scholz ist in der Talkrunde zwar nicht zu Gast, aber im ersten Teil kommt das Gespräch immer wieder auf ihn. „Ich verstehe nicht, warum sich Herr Scholz in die Tradition von Frau Merkel stellt“, krittelt der FPD-Parteivorsitzende Christian Lindner. Die Journalistin Henrike Roßbach versteht wiederum diese Bemerkung nicht. Das funktioniere im Wahlkampf doch hervorragend. „So unzufrieden scheinen die Deutschen nicht gewesen zu sein, vor allem mit der Art und Weise, wie die Kanzlerin das Land geführt hat“, sagt sie und verweist darauf, dass es im Wahlkampf auch um Regierungsstile gehe.

Von möglichen Rangeleien zwischen Kanzlerkandidat Scholz und der SPD-Parteispitze nimmt sich Saskia Esken nichts an. Nach einem Einspieler von 2019, der Uneinigkeit zwischen Esken und Scholz illustrieren soll, stellt die SPD-Parteivorsitzende fest: „Das Land zu führen und die Partei zu führen sind zwei sehr verschiedene Aufgaben.“ Der Autor Gabor Steingart sieht Scholz, Esken und Kevin Kühnert als „Personal, aus dem Konfliktstoff geboren wird“. Das sieht er allerdings nicht als Argument gegen eine Regierungsbeteiligung der Partei, deren Geschichte von vielen Konflikten mit einem linken Flügel geprägt sei.

Bald landet das Gespräch bei der Frage, welche Chancen eine Koalition der SPD mit der Partei Die Linke habe. Moderatorin Maybrit Illner will von Lindner wissen, ob er eine Regierung mit der Linken verhindern würde, wenn er könnte. Schließlich habe er zuvor den Bruch der FDP mit einer „Jamaika“-Koalition mit der Furcht vor einem Linksruck begründet. Nun ließe sich dies vermeiden, „nicht indem man nicht regiert, sondern in dem man regiert“, sagt Illner. Doch Lindner wiegelt ab. „Verhindern allein wäre ein zu bescheidener Anspruch an Gestaltung“, sagt der FDP-Vorsitzende.

Auf mögliche Koalitionspartner will Lindner sich nicht festlegen, das sei ihm „zu abstrakt“. Welche Rolle ihm bei dieser Bundestagswahl für seine Partei vorschwebt, macht Lindner aber mit einem Seitenhieb auf die vorherige Bundestagswahl deutlich. „Die FDP war 2017 nur als Mehrheitsbeschaffer und nicht als Ideengeber eingeplant“, kritisiert er. Von Illners Wahrnehmung, er habe sich auf Armin Laschet als Kanzler und sich selbst als Finanzminister eingeschossen, will Lindner nichts wissen. „Das ist ein Missverständnis, die FDP entscheidet nach Inhalten“, sagt er. Doch als Saskia Esken gegen Ende der Sendung auf konkrete Vorhaben der SPD eingeht, sträubt sich Lindner gegen eine Diskussion: „Bitte jetzt nicht das ganze Wahlprogramm.“

Auch ohne Stoppuhr drängt sich der Eindruck auf: Christian Lindner beansprucht die meiste Redezeit in dieser Talkrunde. Der FDP-Parteivorsitzende setzt sich über nonverbale Signale ebenso wie deutlich hörbare Appelle hinweg, seine Ausführungen zu beenden. Und wenn andere reden, unterbricht er. Verhältnismäßig einsilbig wird Lindner nur angesichts von Kritik. „Stimmt nicht“, quittiert er einen Einspieler, der Zweifel von Wirtschaftsinstituten an der Finanzierbarkeit der von der FDP geplanten Steuersenkungen zusammenfasst. „Keine seriöse Gesprächsgrundlage“ nennt er eine weitere Studie, die anhand der Wahlprogramme von SPD und FDP kalkuliert, was sich für die Finanzlage einer Familie mit geringem und einer Familie mit erklecklichem Einkommen verändert und dabei zu dem Schluss kommt, dass keine Partei den Vielverdienern mehr nutzt als die FDP.

Esken gibt Lindner bei seiner Forderung nach Steuerentlastungen in einem Punkt recht: Kleine und mittlere Einkommen bräuchten diese Entlastung. „Aber Einkommen in einer Höhe wie Sie, Herr Lindner, und ich sie haben, die können durchaus mehr beitragen zum Gemeinwesen dieses Staates“, fügt Esken hinzu. Im Übrigen sei die Höhe der Unternehmenssteuer nicht das, was Investitionen bremse. „Diese Investitionszurückhaltung in der deutschen Wirtschaft hat damit zu tun, dass keine Klarheit herrscht, wohin es eigentlich geht.“ Deshalb müsse die künftige Regierung den Klimaschutz vorantreiben. Ihr Argument unterstreicht Esken mit einem Verweis darauf, wie das beim Beispiel Elektromobilität schon geschehe.

Moderatorin Maybrit Illner bringt das Gespräch noch einmal zu den angesprochenen Beiträgen der Reichen und wendet sich an Lindner. Der FDP-Chef verweist darauf, dass diese Menschen für Arbeitsplätze verantwortlich seien, dass die Gesellschaft von ihrer Leistung profitiere. Der Autor Gabor Steingart sieht Aufstiegschancen als bessere Lösung als etwa eine Erhöhung des Mindestlohns. Seiner Ansicht nach sei Aufstieg durch Bildung garantiert, nicht durch den Staat. „Aber Herr Steingart“, wendet Esken ein. „Die Jobs, die schlecht bezahlt sind und die wir besser bezahlen wollen, die müssen ja trotzdem gemacht werden.“ Wenn alle Paketboten die Paketstationen übernähmen, stellte sich die Frage, wer dann die Pakete ausliefere.

(peng)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort