TV-Nachlese „Maybrit Illner“ „So etwas Albernes habe ich ja noch nie gehört“

Düsseldorf · Ob in der AfD oder auf „Querdenker“-Demonstrationen: Den meisten Talkgästen bei „Maybrit Illner“ fehlt die klare Abgrenzung gegenüber Gruppen, die mit der deutschen Verfassung nichts am Hut haben. Aber was tun?

 Die Talkrunde bei "Maybrit Illner" am 3.12.2020.

Die Talkrunde bei "Maybrit Illner" am 3.12.2020.

Foto: ZDF

Am Donnerstagabend diskutierten die Gäste bei „Maybrit Illner“ zum Thema „Rechts, links, quer – wer profitiert von Angst und Spaltung?“ Dabei ist auch der Streit innnerhalb der AfD ein Thema.

Die Gäste:

Darum ging’s:

Wer mit wem gemeinsame Sache macht und was das über die Beteiligten aussagt, das ist die Kernfrage in dieser Talkrunde. Direkt gefragt wird sie nicht. Aber das eigentliche Problem wird zwischendurch erwähnt: verfassungsfeindliche Ziele.

Der Talkverlauf:

Nachdem Jörg Meuthen gerade erst mit einer Brandrede beim Parteitag der AfD für Schlagzeilen und vor allem für Kritik aus den eigenen Reihen gesorgt hat, kommen auf seinen Ko-Parteivorsitzenden Tino Chrupalla Fragen nach einer möglichen Spaltung der Partei zu: Alexander Gaulands „Corona-Diktatur“ auf der einen Seite und Jörg Meuthens Warnung vor einem Schulterschluss mit den „Querdenkern“ auf der anderen. In der Öffentlichkeit hört man darauf nur selten eine klare Antwort, und so spitzt die Talkrunde die Ohren, was Zwischentöne angeht.

Chrupalla spricht von einem „super Parteitag“, versichert, dass Meuthen und er sich gegenseitig unterstützten und er sich auf keine Seite schlage, sondern für alle Strömungen in der Partei stehe. In der zweiten Hälfte der Sendung sagt Chrupalla dann: „Jörg Meuthen hat in der Vergangenheit die Partei zusammengehalten. Das ist die Aufgabe, die ich jetzt ausfülle.“

Der Journalist Georg Mascolo ist der Ansicht, Meuthens Abgrenzung komme recht spät, aber er beobachte ein „genuines“ Ringen der AfD um die Frage „wie viel Rechtsextremismus es denn sein soll und sein darf“. Dabei erinnert Mascolo an eine anstehende Entscheidung des Verfassungsschutzes, der dem so genannten „Flügel“ bereits rechtsextremistische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bescheinigt hat. Das habe die Spannungen innerhalb der Partei massiv erhöht. Die Entscheidung werde eine Illusion beenden, die die AfD erweckt habe: Dass man aus Rechtsextremisten und bürgerlich-konservativen Menschen eine Partei formen könne.

„Sie haben schon üble und finstere Gestalten in Ihren Reihen“, sagt die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht an Chrupalla gewandt. Aber deshalb könne man nicht so tun, als könne man die ganze AfD verbieten. Wagenknecht schlägt eine andere Strategie vor: eine Politik, die für Verbesserungen sorgt. „Ich will die AfD im Grunde irrelevant machen“, sagt sie. Ohne die breite Unzufriedenheit in der Bevölkerung hätte die Partei schließlich keine Chance.

Auch die Proteste während der Debatte um das Infektionsschutzgesetz geben der Talkrunde Stoff für eine Diskussion über Unzufriedenheit und Wut – und darüber, wer sich diese zunutze macht. Chrupalla stellt klar, er sei keineswegs der Ansicht, in einer Diktatur zu leben. Aber er kritisiert die Corona-Politik der Bundesregierung. „Ich lasse mir von Ministerpräsidenten und auch von der Kanzlerin nicht vorschreiben, wie ich Weihnachten zu feiern habe“, sagt er. Auch Wagenknecht findet berechtigte Kritikpunkte auf den Demonstrationen. Diese würden aber durch NS-Vergleiche und Ähnliches diskreditiert.

Mascolo verweist darauf, dass es viele andere Proteste gebe, in denen man sich sehr darum bemühe, die Regeln einzuhalten. Probleme sieht er, wo Regelbruch mit der Demo einhergeht. „Wenn Rechtsextremisten aufmarschieren, nutzt auch 1,50 Meter Abstand nicht“, so Mascolo. Er hält es nicht für Zufall, dass es gleichzeitig vor und im Bundestag Proteste gab; AfD-Angehörige hätten draußen schließlich auch Reden gehalten. An diese Wut suche die AfD den Anschluss, glaubt Mascolo.

Wagenknecht findet es problematisch, den Protest auf den Teil zu reduzieren „der überhaupt nicht repräsentativ ist“. Die eigentlich Frage sei doch: „Wer ist verantwortlich dafür, dass so viele Leute wütend sind?“ Wohl kaum die AfD, denn sie regiere ja nicht. Wagenknecht kritisiert, dass bei der Vergabe von Hilfsgeldern wirtschaftliche Interessengruppen mehr Einfluss hätten als Bürger. Da müsse man ansetzen.

Damit bringt Wagenknecht allerdings den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul auf die Palme. „Wir werden in unseren Entscheidungen doch nicht durch die Wirtschaft geprägt, also so etwas Albernes habe ich ja noch nie gehört“, sagt Reul. Stattdessen bestimmten Wissenschaftler die Debatte. Wagenknecht weist ihn daraufhin, dass sie nicht über Schutzmaßnahmen, sondern über Rettungspakete gesprochen habe. Und Stützgelder für Unternehmen, die Dividenden ausschütten, während Freiberufler erst im November erstmals eine Beihilfe für den Lebensunterhalt bekommen hätten.

Doch Reul beharrt in Inhalt und Gesprächsstil auf seiner Linie. Er nennt Wagenknechts Argument „absurd“ und führt die Zahl der Arbeitsplätze an, die an großen Unternehmen hingen. Doch damit schießt er sich einen Bock. Die Lufthansa habe nicht einmal die Arbeitsplätze gesichert, erinnert ihn Wagenknecht, und Menschen um die 60 entlassen, die kaum eine Chance auf einen neuen Arbeitsplatz hätten. Reul sagt darauf: „Die Menschen kämpfen um ihr Leben, und Sie machen hier Kapitalismusdebatte.“

Es wirkt ein bisschen so, als sei Moderatorin Maybrit Illner gar nicht mehr da. Schließlich schaltet sich Mascolo ein. Er erinnert daran, dass mit der Hoffnung auf Impfung ja auch ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen sei und man später sicher noch sehr genau aufarbeiten werde, was wo falschgemacht worden sei. Der wichtigste Satz für jeden Politiker und jede Politikerin sei in der Zwischenzeit: „Ich weiß es so genau auch nicht.“

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