Talk-Highlights von „Illner“ „Solidarität heißt halt nicht Nulltarif“

Berlin · Die Sozialkeule, kein Himmelbett, aber ein 200-Milliarden-Blanko-Wumms-Scheck: Kevin Kühnert, Jens Spahn und Sarah-Lee Heinrich nehmen bei „Maybrit Illner“ den Mund so voll, wie es in einer Talkshow von ihnen erwartet wird.

 Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 20. Oktober 2022.

Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 20. Oktober 2022.

Foto: ZDF

Am Donnerstagabend steht die Talkshow „Maybrit Illner“ unter dem Motto „Energie, Krise, Inflation – trifft es Deutschland am härtesten?“.

Die Gäste:

  • Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär
  • Sarah-Lee Heinrich, Bundessprecherin der Grünen Jugend
  • Jens Spahn, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
  • Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie
  • Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung
  • Helene Bubrowski, Journalistin

Einige Talk-Highlights:

Talkshows setzen immer wieder mit neuen Mitteln auf die Anbahnung von Schlagabtauschen. Bei „Maybrit Illner“ geht es am Donnerstagabend los mit einem Einspieler über einen Koalitionsstreit über Atomkraftwerke, untermalt mit Musik im Stile alter Schwarzweiß-Thriller – und teils passend eingefärbten Videobildern, in denen verwirrend viele Kühe vorkommen. Danach sagt Moderatorin Maybrit Illner mit Blick auf die Grünen-Politikerin Sarah-Lee Heinrich, diese sei nach der Kompromissentscheidung der Bundesregierung unglücklich gewesen. „Müssten Sie nicht eigentlich total dankbar sein, dass die Atomkraft jetzt in vier Monaten vorbei ist?“

„Wir finden es auf jeden Fall sehr gut, dass sich die Debatte rund um die Atomkraft endlich erledigt hat“, sagt die Sprecherin der Grünen Jugend. Dabei handle es sich schließlich um eine Scheindebatte. „So wirklich zur Energiesicherheit trägt das nicht bei, und das wissen alle. Auch dass es eine sehr faktenfreie Entscheidung war.“ Richtlinienkompetenz, oder, in den Worten ihres Co-Sprechers Timon Dzienus, „Bastapolitik“, hätte es nach Ansicht von Heinrich an anderer Stelle gebraucht – etwa mit einer deutlich früheren Entscheidung für einen Gaspreisdeckel. „Dass wir jetzt bei diesen wichtigen Fragen so hinterherhängen, das finde ich sehr schlecht“, sagt Heinrich.

Eine Richtlinienkompetenz habe es vielleicht gar nicht gebraucht, meint SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert mit Blick auf den Atomkompromiss. „Die beiden Protagonisten, die darum wochenlang gerungen haben, haben hinterher beide gesagt, sie können mit dem Ergebnis leben.“

Damit beginnt Kühnert ein in Talkshows häufig zu beobachtendes Federballspiel mit der Verantwortung. CDU-Vize Jens Spahn allerdings spielt zunächst nicht mit. Sein Parteivorsitzender Friedrich Merz hatte zwar umgehend die FDP kritisiert, sie sei „umgefallen“. Doch Spahn will lieber über die Härten des kommenden Winters reden. „Das Prinzip, alles was in Deutschland Energie produzieren kann, Biogas, Solar, aber eben auch Kohlekraft und Kernkraftwerke ans Netz und am Netz bleiben, ist erst einmal ein sehr logisches, sehr vernünftiges Prinzip.“ Der Unions-Politiker, der Windkraft nicht erwähnt, glaubt zudem, die deutschen Atomkraftwerke müssten bis zum übernächsten Jahr weiterlaufen.

Schließlich nimmt Spahn doch den Federballschläger auf. „In 16 Jahren Angela Merkel hätte es das nie gegeben im Umgang von Koalitionspartnern“, bemerkt Spahn mit Blick auf das Atomkraft-Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Die nächste Ausfahrt ist die Vertrauensfrage.“

Als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie lenkt Siegfried Russwurm das Gespräch auf ein anderes Thema. Wie viel Gas im Frühjahr in den Speichern sein werde, sei offen. Klar sei aber, dass man nicht mehr so günstig an Energie kommen werde wie in den vergangenen Jahrzehnten. Das schaffe neue Rahmenbedingungen. „Die Frage ist, was wir aus diesem Geschäftsmodell des Industrielandes Deutschland für die Zukunft machen“, sagt Russwurm. Als wichtigen Punkt führt er dabei die nötigen Ausgaben für den Wandel in die Klimaneutralität an.

Nach einigen Wirtschaftsprognosen aus einem weiteren Einspieler mit mattem Hollywoodglanz sagt der Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Felbermayr: „Ich würde meinen, dass die Situation sich wieder verbessern wird.“ Die großen Preissteigerungen würden bereits „hinter uns liegen“, wie sich etwa auf den Erdöl- und Gasmärkten abzeichne. Der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung weist aber auch auf den sogenannten Niveaueffekt hin: Was jetzt verloren gehe, das käme nicht mehr wieder. „Es kommen wieder Jahre mit Wachstum, das ist klar, aber diese Reduktion des Wohlstands wird Deutschland lange erhalten bleiben.“

Die Journalistin Helene Bubrowski findet, zur vielzitierten Zeitenwende gehöre auch ein Umdenken in der Frage, was Solidarität bedeute. „Solidarität heißt halt nicht Nulltarif, und sie endet nicht da, wo es anfängt, uns wehzutun, sondern beginnt dort im Grunde.“ Bubrowski hält es für eine typisch deutsche Haltung, wenn Menschen, die keine ernsthaften Sorgen haben, bei einem Problem umgehend fragen, wer dafür zahle – „und meistens ist es der Staat“.

Spahn kritisiert, die Pläne der Bundesregierung seien zu unkonkret. „Morgen soll im Bundestag abgestimmt werden, ein 200-Milliarden-Blanko-Wumms-Scheck – keiner weiß, wofür.“ Das Instrument selbst findet zwar Anklang bei Spahn. Allerdings müsse man erst entscheiden, was man tun wolle, und dann Schulden machen. Der CDU-Politiker vergleicht das Vorgehen der Bundesregierung mit einem Kneipendeckel, der bezahlt werde, ehe bekannt sei, wie viel Bier getrunken werde. Der Federball wummst in Kühnerts Ecke, doch Illner lässt ihn nicht zuschlagen.

Vom „parteitaktischem Hin und Her“ zeigt sich Heinrich genervt: Sie wirft Spahn vor, auf der einen Seite soziale Maßnahmen zu betonen, auf der anderen Seite laut über Einsparungen beim Bürgergeld oder den Krankenkassen nachzudenken. Heinrich nennt das „Arme gegen Ärmere ausspielen“. „Dass Sie die große Sozialkeule rausholen, finde ich dann schon irritierend“, sagt die Grünen-Politikerin an Spahn gewandt.

Beim Problemlösen dringt Kühnert auf Differenzierung. Mit Blick auf Vorschläge zum Energiesparen etwa sagt er: „Einfach jeder 20 Prozent weniger, das ist keine sachgemäße und adäquate Antwort.“ Das gelte nicht nur für Bürger, sondern auch für Industrieunternehmen. Die Einführung eines Industriestrompreises hält Kühnert beispielsweise für notwendig. Es reiche nicht, für die Industrie „ein bisschen den Preis abzusenken“. Da gehe es „um internationale Konkurrenzfähigkeit“. Aber: Das Motto „You never walk alone“ bedeute auch nicht, „wir bauen dir ein Himmelbett“.

(peng)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort