Habeck und Sewing bei „Illner“ „Da gibt es eine Gerechtigkeitsunwucht“
Düsseldorf · Treffen sich ein Wirtschaftsminister, ein Bankdirektor und eine Journalistin zum Talk – das ist kein Witz, sondern der Donnerstagabend bei „Maybrit Illner“. Komisch wurde es aber nur unfreiwillig.
In die „ZDF-Themenwoche Energiekrise“ reiht sich die Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstagabend mit dem Thema „Energie, Geld, Jobs – keine Strategie in der Mega-Krise?“ ein.
Die Gäste:
- Robert Habeck (Grüne), Bundeswirtschaftsminister
- Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank
Darum ging’s:
In großen Teilen um die Vergangenheit, aber ab und an auch um die eigentlich im Sendungstitel versprochene Strategie.
(Unfreiwillig) komische Szene:
Illner fragt nach Entlastung für die Bürger, speziell: „Wann kommt der Dezember-Abschlag?“ – Habeck: „Na im Dezember. Deswegen heißt er ja Dezember-Abschlag.“
Der Talkverlauf:
Moderatorin Maybrit Illner spart sich die Wohlfühlfrage zum Einstieg. Vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Christian Sewing, will sie wissen: „Was ist das für eine Wirtschaft, die in jeder Krise gerettet werden muss?“ Zuvor hat sie an die mit Steuergeld bezahlte Bankenrettung während der Finanzkrise von 2008 erinnert und auf die jüngsten Geldspritzen für Energiefirmen verwiesen. Sewing räumt mit Blick auf die Finanzkrise zwar Fehler ein – „Wir waren Teil des Problems“ – versichert aber, die Banken seien inzwischen „Teil der Lösung“.
Mit Blick auf die Energiekrise legt Sewing seiner Bewertung die Schuldfrage zugrunde. „Es ist glaube ich richtig, dass man unverschuldet in die Krise gekommene Unternehmen jetzt rettet.“ Das könne aber nicht immer die Lösung sein, sagt der Chef der Deutschen Bank. Sewings Empfehlung für einen Ausweg: „langfristig an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten“.
Wer gerettet werden soll und wer nicht, beschäftigt die Runde später noch einmal. Dabei schimmert dann durch, was Sewing mit „unverschuldet“ gemeint haben könnte. Er unterscheidet in Rettungsfragen zwischen international aufgestellten Großkonzernen, die ihre Produktion oder ihre Rohmaterialbeschaffung verlagern können, und Mittelständlern mit „Ein-Produkt-Strategie“.
Dann will Illner von beiden Gästen wissen, ob sie glauben, dass man ihnen persönlich und, in Sewings Fall, auch der Bankenbranche, vertrauen kann. Überraschungen oder Erkenntnisse kommen bei den Antworten nicht heraus. Nachdem Sewing beteuert hat, diverse Fehler bei der Deutschen Bank seien „ausgeräumt“, hakt Illner jedoch nach. Schließlich habe es erst kürzlich wieder Durchsuchungen gegeben, diesmal bei der Fonds-Tochter DWS. Die Ermittlungen gehen Vorwürfen nach, die Vermögensverwalter hätten Angaben zu vermeintlich nachhaltigen Investments erschwindelt.
„Wenn Sie ein Unternehmen führen mit weltweit 85.000 Mitarbeitern, dann würde ich niemals sagen, Frau Illner, dass wir fehlerfrei seien“, sagt Sewing. Dabei suggeriert er, dass „Fehler“ nicht unbedingt bewusst gemacht würden. Ansonsten vergleicht er das Führen eines Bankenkonzerns mit der Kindererziehung: „Wenn man Fehler macht, muss man dazu stehen, ändern, aufräumen und dann einen besseren Weg nach vorn machen.“
Sewing, der neben seinem Posten bei der Deutschen Bank auch Präsidiumsmitglied im CDU-Wirtschaftsrat ist, hält es für eine gute Lösung, dass die Dezember-Soforthilfezahlung zur Energiekostenentlastung von Höherverdienenden versteuert werden muss. Generell allerdings warnt Sewing mit Blick auf ausländische Investoren: Deutschland habe im OECD-Vergleich ohnehin schon „ziemlich hohe Steuern“.
Beim Thema Inflation streift Illner den Tarifstreit in der Metallbranche, und Sewing spricht sogleich vom hohen Anteil der Löhne an den Kosten in seinem eigenen Unternehmen. Eine Erhöhung der Löhne würde sofort zur Frage der Rentabilität, bekundet der Bankmanager. Dasselbe lässt er allerdings nicht für die Milliarden an Boni und Dividenden gelten, die die Deutsche Bank ausschüttet. Da geht es Sewing plötzlich um Beteiligung. „Wir müssen immer schauen: Was haben wir verdient, wie ist der wirtschaftliche Ausblick?“
Sewing geht davon aus, dass sich die Höhe der Inflationsrate bis Februar oder März halten werde. Für 2023 sieht er ansonsten eine Inflation von 7,5 Prozent voraus. Aber: „Ich glaube, die Bundesregierung hat insgesamt sehr ordentlich agiert.“ Sewings Ansicht nach sollte die Bundesrepublik im Jahr 2024 auf eine Inflationsrate unter fünf Prozent kommen.
Immer wieder betont Sewing, die Inflationsbekämpfung sei nun das wichtigste Thema. Deshalb sei die „Reaktion der Zentralbank richtig“. Die Europäische Zentralbank hat den Kurs der Zinserhöhung eingeschlagen. Deutsche Bank wiederum hat erst kürzlich mitgeteilt, im dritten Quartal 2022 mit 1,6 Milliarden Euro fast dreimal so viel wie im Jahr zuvor verdient zu haben. Dabei profitiert sie vor allem von gestiegenen Zinsen.
Auch Habeck stellt die Inflationsbekämpfung an erste Stelle. Allerdings stellt er ihr ein zweites Ziel zur Seite: Man dürfe die Rezession nicht tief und lang werden lassen. „Deswegen müssen wir zwei Strategien gleichzeitig fahren. So wie Gas kaufen und erneuerbare Energien ausbauen“, sagt der Wirtschaftsminister.
In der Frage nach einer Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten stellt sich Sewing gegen Habeck. „Wir sollten keine Alternative ausschlagen“, sagt der Konzernchef. Auf Dauer seien aber erneuerbare Energiequellen im Preiswettbewerb nicht nur eine Alternative, sondern wettbewerbsfähig.
Nach Habecks Einschätzung hingegen ist die Entscheidung zum Ende der Atomenergie im kommenden Frühjahr endgültig. „Die Atomdebatte ist aus meiner Sicht für diese Koalition mit der Ansage von Olaf Scholz erledigt. Wenn man die Autorität des Kanzlers nicht beschädigen will, hält man sich auch an das, was entschieden wurde“, sagt der Grünen-Politiker.
Für den Winter 2023/24 sieht Habeck die Versorgungssituation auch ohne Atomkraft besser als aktuell voraus. „Der Unterschied wird sein, dass wir über das nächste Jahr weitere Gas-Kapazitäten dazubekommen“, sagt er und verweist auf die Projekte an den norddeutschen Küsten. Damit könne ein Großteil des Ausfalls von russischem Gas ersetzt werden.
„Die Sorge, dass wir ein Stabilitätsproblem im Netz bekommen, weil die Gaskraftwerke nicht vernünftig laufen, ist deutlich geringer, im Grunde ist sie damit genommen“, sagte Habeck. Am Dienstag war im niedersächsischen Wilhelmshaven der erste Anleger für Flüssigerdgas (LNG) in Deutschland eröffnet worden. Von Mitte Januar an sollen Tanker mit LNG in Wilhelmshaven eintreffen.
Nach einem Video-Einspieler soll sich Habeck zur Gerechtigkeitsfrage bei Entlastungsmaßnahmen angesichts hoher Heizkosten äußern. „Gerecht wäre, dass diejenigen, die besonders bedürftig sind, besonders viel bekommen“, sagt der Wirtschaftsminister. „Aber diese Daten liegen nicht vor.“ Dazu erläutert er, wo seiner Ansicht nach der Hase im Pfeffer liegt: Energieversorger wie beispielsweise Stadtwerke könnten nur pauschal den Gasverbrauch pro Haushalt feststellen. Deshalb sei es nicht zu ermitteln, ob die Villa einer alleinstehenden Person oder eine vollgepackte WG geheizt werde und wie hoch das Einkommen der Bewohner sei.
„Da gibt es eine Gerechtigkeitsunwucht, die kann man nicht wegdiskutieren“, sagt Habeck. Gemindert werde sie dadurch, dass höhere Einkommensgruppen die Hilfen versteuern müssten. Habeck deutet an, dass eine wirklich gerechte Lösung aufwändige monatliche Erhebungen von Daten in allen Haushalten bedeutet hätte. „Man kann das alles kritisieren, aber dann muss man auch wissen, welche Konsequenz das hätte. Nämlich dass in der Regel gar nichts passiert.“
„Die Gasumlage war richtig“, sagt der Wirtschaftsminister, als Illner einmal mehr in die Vergangenheit blicken will. Habeck begründet dies mit einem Mangel an Alternativen zu der Zeit, als er die Gasumlage im Namen der Bundesregierung verteidigte. Illner zeigt sich erstaunt darüber, dass Habeck die Gasumlage noch immer in Schutz nimmt, und klebt sich geradezu daran fest. Unter anderem fragt sie danach, wer Schuld sei und warum Scholz es Habeck allein überlassen habe, die Gasumlage zu verteidigen. „Ich finde das völlig irrelevante Fragen“, sagt Habeck schließlich.
Als Illner einmal mehr über Vergangenes reden möchte – diesmal: die lange Diskussion der Regierungskoalition über Atomkraftwerke – entgegnet Sewing: „Ich glaube, worüber wir viel mehr reden müssen, ist: Wie stellen wir die langfristige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sicher?“
Habeck ist es dann, der Ansätze wie Maßnahmen zur Energieeffizienz in und Transformation von Unternehmen und die dazugehörigen Umstellungsprozesse anspricht. An diesem Punkt entdeckt er in der Krise, deren Tragik er deutlich anerkennt, auch einen positiven Wandel: „Das tiefe Verständnis, dass wir keine Zeit mehr haben.“