TV-Talk mit Maybrit Illner "Der Applaus muss sich in Ekel wandeln"

Düsseldorf · Bei "Maybrit Illner spezial" drehten sich 90 kurzweilige Minuten um die Frage "Wie wird aus Wut Politik?". Die Politiker in der Runde tappten selbst allzu oft in die Populismus-Falle.

  • Julia Klöckner (CDU), stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende
  • Daniel Cohn-Bendit (Bündnis '90/Die Grünen), Publizist , ehemaliger Europa-Abgeordneter
  • Gisela Stuart (Labour), Abgeordnete im britischen Unterhaus, Brexit-Beführworterin
  • Christoph Schwennicke, Chefredakteur des politischen Magazins Cicero
  • Torben Lütjen, Politologe und Professor am Göttinger Institut für Demokratieforschung
  • Stefan Petzner, ehemaliger Pressesprecher des österreichischen FPÖ-Politikers Jörg Haider
  • Malte Kaufmann, ehemaliges CDU-Mitglied, künftig bei der AfD

"Für mich wäre es ein Alptraum, wenn Trump Präsident wird. Aber ich halte das nicht für ausgeschlossen", sagte Brexit-Befürworterin Gisela Stuart. Für sie laufe die Demokratie in den USA derzeit schief. In England sei das anders: Der Brexit sei eine Entscheidung des Volkes gewesen. Als Populistin sehe sie sich daher nicht. Der Grüne Daniel Cohn-Bendit sah das Problem darin, dass es generell zu wenige Verteidiger der offenen Gesellschaft gebe. "Ich habe es satt, dass wir uns nur über die anderen unterhalten. Wir müssen uns überdenken!", so der Grüne. Und er fügte hinzu: "Der Brexit wird verdammt teuer!" In kühler, britischer Thatcher-Manier konterte Stuart: "Abwarten und Tee trinken."

Aus der Sicht eines Politologen

Moderatorin Illner fragte, ob jeder Populist automatisch ein Rassist sei. Torben Lütjen, Politikwissenschaftler an den Universitäten Düsseldorf und Göttingen, verneinte das. Warum Donald Trump, der Frauen, den Islam und Zuwanderer ablehnt, so erfolgreich ist? Lütjen: "Trump hat einen Teil der Republikaner gekapert. Dort haben sich zwei krasse Lager gebildet."

Die populistische Botschaft sei die Zweiteilung der Gesellschaft: Auf der einen Seite stehe das hart arbeitende Volk, auf der anderen das korrupte Establishment. Die Populisten drehen laut Lütjen an einer Wutschraube. "Ein Populist wird dann zum Radikalen, wenn er sich als alleiniges Sprachrohr des Volkes sieht." Wut sei nicht das Problem. "Die Frage ist, wie man Wut kanalisiert und in positive Projekte leitet."

Trump als neue Dimension des Populismus

Auf Twitter schieden sich an diesem Abend die Geister an seiner Anwesenheit in der Talk-Show. Darüber hinaus wagte Cohn-Bendit auch einen fragwürdigen Vergleich: "Obama ist der schlimmste Politiker nach Hitler", zitierte er einen "taz"-Artikel, der wiederum die Aussage von US-Schülern wiedergab. Er versuchte anhand dessen zu erklären, wie Amerika derzeit tickt. Was Trump liefere, nannte er eine "Freakshow". Dem schloss sich Christoph Schwennicke an: "Die Amerikaner werden noch lange Scherben kehren", sagte der Cicero-Chefredakteur.

Die Verantwortung des Volkes

Obwohl viele Tageszeitungen für den Verbleib in der EU waren, hatte eine Mehrheit der Briten in der Volksabstimmung für den Brexit gestimmt. "Für die Briten war das eine eigene Entscheidung", sagte Stuart. Cohn-Bendit konterte: "England war immer gegen ein soziales Europa. Entweder akzeptiert ihr die Regeln des Binnenmarktes oder ihr seid ganz raus." "Gute Reise", ergänzte Journalist Schwennicke in Richtung Stuart.

Stuart empörte sich, dass die Briten keine kleinen Kinder seien, die unwissend abgestimmt hätten. Julia Klöckner (CDU) empfand die "Vote Leave" Kampagne als Köder für die Briten. Ihnen sei Geld versprochen worden, "Populisten können Wind machen, aber wenn Verantwortung gefragt ist, machen sie sich aus dem Staub". Sie nahm die Bevölkerung der jeweiligen Länder dennoch in die Verantwortung: Das Volk müsse sich fragen, von welcher Regierung es regiert werden wolle.

Julia Klöckner machte eine gesamtdeutsche Stimmung für die jüngsten Wahlerfolge der AfD verantwortlich. Die AfD sei ein Resonanzboden für unzufriedene Menschen. "Und ich verstehe, wenn einige sagen, es kann doch nicht sein, dass kein Politiker mehr meine Meinung repräsentiert", fügte Klöckner an.

Cohn-Bendit erinnerte an den Wahlerfolg der "Republikaner" in Baden-Württemberg, nachdem Helmut Kohl im Zuge des Balkan-Krieges 250.000 Bosnier in Deutschland aufnahm. "Das schwierigste im Leben ist es, Fremde aufzunehmen", sagte er. "Wenn es um Flüchtlinge geht, ist die zivilisatorische Decke unserer Gesellschaft extrem dünn. Er nannte "Schwenninger" als Faktor dafür, dass die Decke dünner werde. "Aufpassen, Herr Cohn-Bendit", warnte Schwennicke. Und wies den Grünen auf seinen richtigen Namen hin.

Auch Parteiwechsler stärken radikale Parteien. Malte Kaufmann verließ die CDU und wird in die AfD eintreten: "Die CDU ist immer weiter nach links gerückt", nannte Kaufmann als Grund für seine Entscheidung. "Die AfD greift die Sorgen der Bürger auf und präsentiert alternative Lösungswege", war er sich sicher.

Illner fragte, ob er sich an der Seite von Rechtsradikalen wie Jörg Meuthen wohlfühle. "Ich habe mit Herrn Meuthen gesprochen, und die Partei grenzt sich gegen Rechtsradikalismus ab", entgegnete Kaufmann. Das rief CDU-Politikerin Klöckner auf den Plan: "Die AfD will raus aus der Nato, den Einsatz von Schutzwaffen, nennt Merkel eine Diktatorin und will Homosexuelle zählen. Sind das christliche Werte für Sie?" Kaufmann bezeichnete ihre Vorwürfe als "ganz schön reißerisch, an dieser Stelle." Mehr hatte er nicht zu entgegnen.

Die Masche der Populisten

Zum Schluss gastierte Stefan Petzner. Als Pressesprecher von Jörg Haider (FPÖ) vertrat er einst einen der Stammväter des erfolgreichen Populismus. Es wundere ihn nicht, dass die AfD die Grünen überholt habe, so Petzner. Er nannte Provokation, Tabubruch und das bewusste Überschreiten von Grenzen als drei Methoden der Populisten. "Sie wollen den öffentlichen Diskurs bestimmen, um Aufmerksamkeit zu erhaschen."

Trump mache es genau so: Er bekäme bisher die meiste TV-Sendezeit, weil er immer provokativ auftrete. Das mache den sachlichen Diskurs unmöglich. "Die Medien fallen auf Trumps Masche rein." Zu lernen, Tabubrüche zu ignorieren, das sei heilsam: "Dann kann es passieren, dass sich der erhoffte Applaus bei den Bürgern in Ekel umwandelt."

Fazit des Abends: Klöckner nannte die AfD einen "Stachel" in der deutschen Politik. "Wir brauchen die AfD nicht, darum müssen wir sie überflüssig machen." Cohn-Bendit forderte eine Politik, die Probleme benennt und löst. Doch während Illner gekonnt viele Themen unter einen Hut brachte und für 90 kurzweilige Minuten sorgte, entlarvten sich die Teilnehmer Stuart, Cohn-Bendit, Kaufmann und Klöckner letztlich doch als Politiker, die selbst wie Fähnchen im Wind auf schwierige Fragen reagierten.

(ball)
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