Finanzminister bei „Illner“ Christian Lindner und die „Geste der Solidarität“

Berlin · FDP-Chef Christian Lindner hat offenbar ein neues Lieblingswort: Solidarität. Für manche Talkgäste bei „Maybrit Illner“ ist das ein gefundenes Fressen bei der Diskussion um die Gasumlage.

Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 25. August 2022.

Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 25. August 2022.

Foto: ZDF

Am Donnerstagabend widmet sich die Talkshow „Maybrit Illner“ der Kernfrage „Preise steigen, Sorgen wachsen – wie gerecht wird die Hilfe?“.

Die Gäste:

  • Christian Lindner (FDP), Finanzminister
  • Veronika Grimm, Ökonomin
  • Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen
  • Ramona Ballod, Energiespezialistin bei der Verbraucherzentrale Thüringen
  • Robin Alexander, Journalist

Darum ging’s:

Um die Gasumlage, die Schuldenbremse und die Frage, was Solidarität eigentlich bedeutet.

Die Talk-Highlights:

Die Wirtschaftsexpertin Veronika Grimm findet die Grundidee der Gasumlage richtig. Dabei verweist sie darauf, dass ganz Deutschland viel Gas sparen müsse, um für einen etwaigen Lieferstopp im Winter gerüstet zu sein. Und ein steigender Preis erzeuge einen Sparanreiz. Für die Entlastung der Verbraucher gebe es allerdings mehrere Vorschläge, zum Beispiel eine Kostenerstattung nur für den Umfang eines „Grundverbrauchs“ an Gas. „Viel Gas zu verbrauchen wäre dann teuer, und das ist wichtig“, sagt Grimm. „Dass man durch die Mehrwertsteuer den Preis senkt, ist eigentlich kontraproduktiv.“

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) begrüßt die Idee, eine Grundlast zu subventionieren – möglicherweise nur für eine begrenzte Gruppe der Bevölkerung – und über einem solchen Bedarf dann Marktpreise walten zu lassen. Vor allem aber müsse nun schnell gehandelt werden, sagt Weil mit Blick auf die inzwischen beinahe sprichwörtliche „Nachdenklichkeit“ des Bundeskanzlers. Zudem weist er ebenso wie Grimm auf Probleme hin, die nicht unmittelbar vor der Tür stehen – Grimm führt dabei etwa die im Sommer 2023 anstehenden Nebenkostenzahlungen an. „Wir sind nicht am Scheitelpunkt der Krise oder am Ende der Krise“, sagt Weil. „Wir sind am Anfang der Krise.“ Deshalb spricht er sich dafür aus, sich „auf dem Boden der Schuldenbremse“ finanziell für Notlagen zu wappnen.

Von solchen Notlagen kann die Verbraucherschützerin Ramona Ballod bereits jetzt ein Liedchen singen. Sie berichtet von Energieversorgungsunternehmen, die dieses Jahr bereits mehrfach ihre Preise erhöht haben. Zudem würden in den Sprechstunden der Verbraucherzentrale Gespräche zunehmen, die einer Sozialberatung ähnelten, „die wir gar nicht anbieten können“, sagt die Referatsleiterin Energieberatung bei der Verbraucherzentrale Thüringen. Mit Blick auf Maßnahmen von Tankrabatt bis Energiegeld beobachtet Ballod große Verwirrung unter den Bürgern: „Die Krisenkommunikation der Regierung lässt arg zu wünschen übrig.“ Ein weiterer Kritikpunkt: „Viele dieser Hilfen werden mit der Gießkanne ausgekippt.“ Den Tankrabatt etwa hätten auch Gutverdienende mitgenommen, obwohl sie ihn gar nicht nötig gehabt hätten. Hingegen bekämen Haushalte mit niedrigem Einkommen bislang keine gezielten Beihilfen.

Als Moderatorin Maybrit Illner danach fragt, ob angesichts möglicher Energiesperren eine Klagewelle zu erwarten sei, hat Ballod eine Überraschung parat. „Wir haben schon sehr viele Energieversorger abgemahnt, weil sie ungerechtfertigte oder falsche Erhöhungsschreiben verschickt haben“, berichtet die Verbraucherschützerin. „Es herrscht ja gerade völlig Wilder Westen am Energiemarkt.“ Beispielsweise seien die Preise in einem Fall von 6 Cent auf 30 Cent erhöht worden. Deshalb fordert Ballod, dass Behörden wie die Kartellämter den Energiemarkt unter die Lupe nehmen und Grenzen setzen. Den Bürgern empfiehlt sie zwei Dinge: „Man muss Energie sparen, keine Frage, und man muss sich rechtlich wehren.“

Der stellvertretende Chefredakteur der „Welt“, Robin Alexander, startet seinen Talk-Beitrag mit einer süffisanten Zusammenfassung der politischen Entstehungsgeschichte der Gasumlage. Überraschend habe Brüssel gesagt, „auch ihr müsst euch an die Gesetze halten“, als Finanzminister Christian Lindner (FDP) nach einem Steuererlass gefragt habe, sagt Alexander etwa.

Als Lindner selbst an der Reihe ist, geht es aber schon um die Frage, wie es zu verstehen sei, dass Bürger Milliarden hergeben sollen, um Unternehmen zu helfen, die dies eigentlich gar nicht nötig hätten. Doch Lindner will schon von der Frage nichts hören. „Es geht nicht darum, irgendwelche Konzerne zu retten, sondern es geht darum, Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen“, sagt der FDP-Vorsitzende. Die Idee sei eine „solidarische Lösung unter den Gaskundinnen und Gaskunden“. Deren Kosten fielen ansonsten unterschiedlich hoch an, je nachdem, ob ihr Gasversorger seine Energie aus Russland beziehe oder nicht.

Mit Blick auf Alexander und seine Steuer-Stichelei fügt Lindner hinzu: „Auf eine Geste der Solidarität unter den Menschen noch Mehrwertsteuer zu erheben, dass also der Staat von Solidarität profitiert, das wäre völlig falsch und unethisch gewesen.“ Der Finanzminister gibt zu, dass das europäische Recht eine Umgehung dieser Besteuerung nicht zulässt. Er findet aber, man habe trotzdem auf eine Ausnahme hoffen können.

Solidarität als Kernargument hätte man vielleicht eher dem SPD-Politiker in der Runde zugeordnet. Doch an diesem Abend scheint Lindner das Wort gepachtet zu haben. Ein bisschen zeigt er sich sogar solidarisch mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): An Pauschalkritik gegenüber dessen Idee beteilige er sich nicht, konstatiert Lindner. Allerdings macht er gleichzeitig keinen Hehl aus seiner Solidarität mit Habecks Kritikern. „Eine Maßnahme der Solidarität kann nicht dazu dienen, dass einzelne Unternehmen ihre Rendite pflegen und Gewinne darauf machen“, sagt Lindner. „Das muss man sich genau ansehen.“ Unverhohlen schiebt er diese Aufgabe auf Habeck ab. Der kenne die Fakten besser. „Aber wenn es eine Notwendigkeit gibt, etwas zu verändern, dann scheuen wir uns nicht vor Korrekturen.“

Robin Alexander fällt Lindners Liebe zur Solidarität auf – und er möchte auf „eine Merkwürdigkeit“ hinweisen. Dazu definiert er Solidarität als etwas, das jenen zukomme, die schuldlos in Not gerieten, und fragt: „Sind diese Unternehmen schuldlos in Not geraten?“ Als Erster in der Runde nennt Alexander Namen: Es ginge nur um zwei Unternehmen, die ehemalige Tochter des russischen Konzerns Gazprom und den Düsseldorfer Energiekonzern Uniper. „Uniper hat wie kein anderes dieser Unternehmen auf russisches Gas gesetzt“, sagt der Journalist. Es habe auch über Lobbyisten Druck ausgeübt, etwa für den Bau von Nord Stream 2. „Die haben also geholfen, uns Putins Schlinge um den Hals zu legen.“ Gazprom Germania wiederum sei „Putins Schlinge“ gewesen.

Alexander findet es zwar richtig, diese Unternehmen zu stützen, damit das Problem nicht auf Stadtwerke und Verbraucher abgewälzt würde. Dennoch missfällt ihm das Vorgehen. Der Uniper-Vorstandsvorsitzende Klaus-Dieter Maubach habe den Kanzler und den Wirtschaftsminister bei ihrer Kanadareise begleitet. „Und er wirkte auf dem Flug schon sehr entspannt für jemanden, der jeden Tag ein paar Millionen Euro verliert.“

Daraufhin beteuert Lindner, der Staat würde Uniper und Gazprom Germania „mit vielen Milliarden Euro“ unterstützen. Der Staat sei also „reingegangen“, und deshalb, so die Argumentation des Finanzministers, würden diese Unternehmen nicht gerettet. Mit dem Vorgehen solle ein Dominoeffekt wie bei großen Finanzfirmen während der Finanzkrise von 2008 verhindert werden. Nicht möglich sei hingegen, dass der Staat die gesamte Gasversorgung übernehme, betont Lindner. Danach hatte allerdings niemand gefragt.

Nun hakt Illner nach – und prallt mit der vielbesungenen Solidarität zusammen. Sie will wissen, wieso die Umlage nur von Gasverbrauchern verlangt werde und nicht auch von Menschen, die mit Öl oder Strom heizen. Lindner zitiert erst Entlastungspakete, die auf allgemeinen Steuermitteln beruhen, und spricht dann von „Solidarität innerhalb der Gaskunden“. Wer Gas aus Norwegen bekäme, würde sich solidarisch mit jenen zeigen, die Gas aus Russland bekämen.

Doch der niedersächsische Ministerpräsident Weil deckt im Handumdrehen auf, wie Lindner hier versucht, den Rahmen zu verengen, damit seine Argumentation funktioniert. Der Gaskunde mit der Heizenergie aus Norwegen könne ganz genau wie der Ölkunde angesichts der Gasumlage sagen „Was geht mich das an?“. Der SPD-Politiker findet, die Gasumlage könne auch von Öl-Kunden und anderen mitgetragen werden. „In Wirklichkeit muss es darum gehen, eine Sonderlast für eine Gruppe auf möglichst viele Schultern zu verteilen“, sagt Weil.

Gewohnt ketzerisch legt Alexander nach. „Warum kann ein so eloquenter Mensch wie Christian Lindner das hier nicht so erklären, dass alle zu Hause sagen: Okay, leuchtet ein, ist eine gute Sache“, fragt er und schiebt die Antwort gleich hinterher: Weil es ein Kompromiss zwischen Grünen und FDP sei. „Das hätte Robert Habeck nie gemacht, wenn er hätte alleine entscheiden können.“

Vehement bestreitet Lindner, dass es sich bei der Gasumlage um einen Kompromiss handle. Er stellt sie als Vorschlag dar, der „federführend“ aus dem Wirtschaftsministerium stamme. Auf Nachfrage bekräftigt Lindner, er gehe davon aus, Habeck hätte die Idee auch dann eingebracht, wenn es keine Koalition mit der FDP gebe. Der Rest der Runde gibt sich allerdings skeptisch.

Gegen Ende der Sendung kommt die Sprache auf Finanzierungsfragen und die Schuldenbremse. Illner erinnert daran, dass diese nicht mit der berühmten schwarzen Null, also einem schuldenfreien Haushalt, gleichzusetzen sei. Und dann sagt Lindner: „Wir machen nächstes Jahr Schulden.“ Er plane für 2023 etwa 17 Milliarden Euro an Neuverschuldung ein, plus „Dutzende Milliarden Euro, die wir aus einer Rücklage einsetzen“.

(peng)
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