TV-Nachlese zu „Lanz“ „Deutschland ist ein Niedrigsteuerland für Vermögen“

Hamburg · Ein Talk über Steuern hätte trocken werden können, aber bei „Lanz“ werfen sich die Gäste große Worte um die Ohren – vom blutenden Mittelstand bis zur Unterwanderung der Demokratie, von Gerechtigkeitslücken bis zum Feudalismus.

 Die Gäste im Talk bei „Markus Lanz“ am 14. März 2023.

Die Gäste im Talk bei „Markus Lanz“ am 14. März 2023.

Foto: ZDF

Am Dienstagabend geht es bei „Markus Lanz“ um Steuern. Aus Österreich zugeschaltet ist dabei eine Millionenerbin, die sich für eine stärkere Besteuerung von Superreichen einsetzt.

Die Gäste:

  • Marlene Engelhorn, Millionenerbin
  • Sarna Röser, Unternehmerin
  • Christoph Trautvetter, Steuerexperte
  • Johannes Vogel, stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender
  • Roman Pletter, Journalist

Darum ging’s:

Brutto und Netto, Arbeit und Vermögen, Macht und Gerechtigkeit.

Der Talk:

Zum Beginn der Sendung fragt Moderator Markus Lanz alle Gäste, ob sie das deutsche Steuersystem für gerecht halten. „Hätten wir ein gerechtes Steuersystem, dann würde ich nicht aus Wien zugeschaltet werden, um Ihnen zu erklären, wie gerecht oder nicht gerecht das Steuersystem ist“, sagt Marlene Engelhorn. Die Millionenerbin und Gründerin der Initiative „taxmenow“ (auf Deutsch: „Besteuere mich jetzt“) verweist auf die Milliarden, die die Ausnahmen in der Erbschaftssteuer den Staat jedes Jahr kosten. „Deutschland ist ein Niedrigsteuerland für Vermögen“, sagt Engelhorn. Mit ihrer Initiative wolle sie nach Lösungen suchen, um zu verhindern, dass künstlich ein an Familienunternehmen gebundener Geldadel geschaffen werde. Darin sieht die Nachfahrin des BASF-Firmengründers eine Unterwanderung von Demokratie.

Engelhorn kritisiert, dass Arbeitnehmer nicht um ihre Meinung zur Steuergerechtigkeit gebeten werden, wogegen ihrer Ansicht nach Erben Einfluss auf die Gestaltung von Steuerregelungen nehmen. „Es geht hier um Macht und wie sie verteilt wird“, analysiert sie. „Steuerpolitik ist nicht nur ein Mittel, um den Haushalt aufzubessern, sondern auch ein Mittel, um Macht, die sich durch Vermögen bei Privatpersonen und bei Eigentum akkumuliert, zu redemokratisieren und zu resozialisieren.“

Der FDP-Politiker Johannes Vogel empfindet das deutsche Steuersystem „im Grundsatz als gerecht“. Unfair findet er die vergleichsweise hohe Besteuerung von Unternehmen sowie kleiner und mittlerer Einkommen. „Es gibt Reformbedarf, aber kein ethisches Desaster bei unserem Steuersystem“, meint der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende.

Die Unternehmerin Sarna Röser verweist zunächst auf die Geldsorgen ihrer Mitarbeiter. Als Konsequenz nimmt sie nicht etwa Lohnerhöhungen ins Visier, sondern Steuererleichterungen – „dass Arbeitnehmer am Ende des Monats mehr Netto vom Brutto übrig haben“. Davon abgesehen sieht sie eine gerechte Verteilung im Steuersystem. Beim Gedanken an eine höhere Erbschaftssteuer zeichnet Röser das Schreckgespenst vom Ausbluten des Mittelstands und vom Verkauf an chinesische Investoren an die Wand.

An diesem Punkt hakt der Journalist Roman Pletter ein. Er findet es zwar falsch, wenn ein Unternehmen zerschlagen werden müsse, um die Erbschaftssteuer zu bezahlen. Aber man könne zum Beispiel den Staat über mehrere Jahre wie einen stillen Teilhaber an den Gewinnen beteiligen. „Und wenn jemand dann nicht in der Lage ist, diese dann wirklich lächerliche Erbschaftssteuer zu entrichten, mein Gott, dann soll jemand das Unternehmen führen, der das kann.“

Der Steuerexperte Christoph Trautvetter weist darauf hin, dass viele Mittelstandsunternehmen in Deutschland nicht mehr investieren, sondern ihre Gewinne auf dem Konto liegen lassen. Bei Rösers Unternehmen seien das derzeit drei Millionen, sagt er mit Verweis darauf, dass Unternehmensabschlüsse öffentlich einsehbar seien. „Da kann man doch froh sein, dass der deutsche Mittelstand vorsorgt“, sagt Röser dazu.

Trautvetter lenkt den Blick auf die Vermögensverteilung, die er als „extrem ungleich“ und „extrem ungerecht“ bezeichnet – „ganz weit entfernt von unseren europäischen Nachbarn und fast wieder so wie im Feudalismus“. Weil das Steuersystem in den letzten 30 Jahren geschwächt worden sei, würde es nicht schaffen, dabei für Gerechtigkeit zu sorgen, meint der wissenschaftliche Referent des Netzwerks Steuergerechtigkeit.

Trautvetter bringt jede Menge Daten mit. 3.000 Menschen hätten in den letzten zehn Jahren mehr als 26 Millionen Euro geerbt, berichtet er etwa. Diese Erben hätten 80 Milliarden Euro gespart durch Ausnahmen bei der Erbschaftsbesteuerung, die sie mit ihrem Einfluss gegen das Verfassungsgericht durchgesetzt hätten. „Das hat mit Demokratie nicht viel zu tun“, meint Trautvetter. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit habe 30 „Gerechtigkeitslücken“ definiert. Sie zu stopfen könnte demnach 75 bis 100 Milliarden Euro einbringen und dafür eingesetzt werden, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.

Eine Dynamik, die „tendenziell eher zum Schlechteren läuft“, sieht auch der Journalist Roman Pletter, vor allem in Bezug auf Einkommen- und Konsumsteuern. Zwar sei es richtig, was Röser und Vogel zitieren: Mehr als die Hälfte des Steueraufkommens kämen von den oberen zehn Prozent der Steuerzahler. Zu den oberen zehn Prozent nach Einkommen zählten aber nicht etwa Superreiche, sondern diejenigen, die als Single zwischen 3.500 und 4.000 Euro netto nach Hause bringen. Der Spitzensteuersatz beträfe alle, die etwas über 60.000 Euro brutto verdienten. „Wir leben in einer Welt, in der wir Arbeit sehr, sehr hoch besteuern und unverdientes Vermögen nicht besteuern.“ Mit dieser Formulierung bezieht sich der Journalist vor allem auf Erbschaften.

Zwischenzeitlich geht es mit Begrifflichkeiten und Wortmeldungen drunter und drüber. Letztlich ist es die Millionenerbin Engelhorn, die das Knäuel entwirrt. Sie pocht darauf, die Besteuerung von Arbeit und von Vermögen sauber zu trennen. Zudem gehe es ihr um Erben von sehr großen Vermögen: Eine nennenswerte Erbschaftssteuer sei ein „absolutes Nischenthema“, das höchstens fünf Prozent der Bevölkerung betreffe. Diese würden mit Lobbyarbeit dafür sorgen, dass alle möglichen Ausnahmen bei der Erbschaftssteuer gemacht würden. Die Folge beschreibt Engelhorn so: „Die immer selben Familien sind in der Machtposition und entscheiden darüber, wie Geld und Vermögen verteilt wird, wie die Unternehmenslandschaft ausschaut und welche Priorität bestimmte Krisen haben oder nicht.“ Deshalb sieht Engelhorn Steuerpolitik als „in Zahlen gegossene Gesellschaftspolitik“.

Dem stimmt der Journalist Pletter zu, gleichzeitig sorgt er für eine Erweiterung: Ein Steuersystem brauche auch eine kulturelle Basis. Deutschland sei keine Feudalgesellschaft mehr, und dadurch hätten sich viele Risiken, die früher die Familie abfedern musste, auf den Staat übertragen. Das spiegelt sich seiner Ansicht nach aber nicht im aktuellen Steuersystem wider. „Das Steuerrecht und das Steuersystem spiegeln Machtinteressen wider, und das ist ein großes Problem.“

In einen kulturellen Rahmen will der FDP-Politiker Vogel sogleich die „Tradition der Familienunternehmen“ eingeordnet wissen, zudem spricht er von dem Anspruch von Privatleuten, das hart erarbeitete Häuschen steuerfrei vererben zu können. Zwischen diesen beiden Gruppen will er nicht trennen. Dann versucht er, das Gespräch von der Vermögens- oder Machtverteilung weg und hin zur Chancenverteilung zu lenken. Später macht er dann doch noch einen konkreten Vorschlag: Steuerentlastungen für Arbeitnehmer könnten durch einen Teil der Mehreinnahmen des Staates finanziert werden.

Pletter führt vor, dass es noch viel mehr Spielraum im Steuersystem gibt. Seiner Ansicht nach könnte die Bundesregierung die Subventionen für die Pendlerpauschale, Kerosin, Gastronomie und so weiter streichen.

Engelhorn führt an, dass Arbeitnehmer es auch dann hinkriegen, ihre Steuern zu bezahlen, wenn sie mit allen möglichen Problemen von kaputten Waschmaschinen bis pflegebedürftigen Angehörigen konfrontiert sind. „Aber ein Unternehmen in einer hoch vermögenden Größenordnung schafft es nicht, so zu wirtschaften, dass man auch ab und zu mal ein bisschen Steuern zahlen kann?“, fragt sie. Sie will wissen, welcher Grundsatz dahinter steckt.

Engelhorn warnt vor dem Einfluss, der sich mit diesem Hochvermögen kaufen lasse – in Politik, Medien und Wirtschaft. Als Beleg führt sie die laufende Talkshow an: „Wir sprechen über Steuergerechtigkeit, aber wer aus der Arbeiterklasse ist hier? Das sind schließlich die, die eigentlich diesen Staat tragen.“ Sie kritisiert zudem, wie gering der Anteil am Haushalt ist, der aus vermögensbezogenen Steuern gespeist wird: 1,1 Prozent. Die Millionenerbin plädiert darauf, dieses Vermögen im Steuersystem „wieder einzufangen“ – ihr eigenes eingeschlossen.

(peng)
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