TV-Nachlese Wie Markus Lanz mit dem Leid eines verletzten Iraners umgeht

Hamburg · Bei den anhaltenden Protesten im Iran schießen die sogenannten Revolutionsgarden gezielt auf Menschen. Erfan Ramizipour wurde dabei schwer verletzt. Daraus wird bei „Lanz“ ein schwer zu ertragendes Gespräch.

Die Talkgäste bei „Markus Lanz“ am 31. Mai 2023.

Die Talkgäste bei „Markus Lanz“ am 31. Mai 2023.

Foto: ZDF

Am Mittwochabend ging es bei „Markus Lanz“ um mehrere Themen. Diese TV-Nachlese konzentriert sich auf den letzten Teil, in dem es um Gewalt der iranischen Regierung gegen die eigene Bevölkerung geht.

Die Gäste:

  • Erfan Ramizipour, iranischer Oppositioneller
  • Kamran Safiarian, Journalist
  • Sigmar Gabriel (SPD), Politiker
  • Kirsten Dunz, Journalistin

Der Talkverlauf:

Am Mittwochabend geht es bei „Markus Lanz“ zunächst um Heizungen, Ampel-Streit und ein bisschen Geopolitik mit dem SPD-Politiker Sigmar Gabriel, der Journalistin Kirsten Dunz und ihrem Berufskollegen Kamran Safiarian. Schweigend sitzt der iranische Oppositionelle Erfan Ramizipour dabei, dessen Geschichte Moderator Markus Lanz zu Beginn der Sendung mit Videobildern zusammengefasst hatte. Am 16. November 2022 war Ramizipour bei einer Demonstration im Iran von 25 Schrotkugeln getroffen worden.

Erst ganz zum Schluss der Sendung schafft es der junge Mann mit dem Augenpflaster, seine Einschätzung zur Lage in dem Land zu äußern, in dem seit September 2022 Demonstrationen stattfinden und blutig niedergeschlagen werden: „Diese Revolution wird nur dann zum Sieg kommen, wenn die ausländischen Kräfte die Revolutionsgarden auf ihre Terroristenliste setzen und die Diplomaten aus diesen Ländern ausweisen“, sagt Ramizipour.

Was zuvor in dem Gesprächsteil passiert, der sich um eben jene Revolution dreht, ist schwer zu ertragen. Ehe Lanz den verletzten Iraner in die Gesprächsrunde holt, wiederholt der Moderator zu den Bildern eines eingeblendeten Videos, wie der iranische Oppositionelle am 16. November 2022 bei einer Demonstration im Iran von 25 Schrotkugeln getroffen wurde. Es werde gezielt auf die Augen der Demonstranten geschossen, um sie zu markieren, sagt Lanz. Wegen seines Augenpflasters später auf der Straße als Regimegegner erkennbar, sei Ramizipour nur knapp einer Verhaftung entkommen. Über Italien sei ihm die Flucht nach Deutschland gelungen, wo er nun in einem Flüchtlingsheim auf politisches Asyl hoffe. Sein Ziel sei die Rückkehr – seiner Ansicht nach werden die Proteste im Iran Wirkung zeigen. Nach diesen Vorbemerkungen wendet sich Lanz an seinen Gast.

Im Gegensatz zu anderen Gästen nennt er den Iraner beim Vornamen und fragt nach Details von dem Tag, der für Ramizipour traumatisch gewesen sein muss, und das trotz der vorangegangenen ausführlichen Einführung inklusive Videomaterial vom Abend von Ramizipours Verletzung und Krankenhausbildern. Diese Vorgehensweise ist auch deshalb bemerkenswert, weil Lanz sich gern als Journalist darstellt, und zumindest seine Redaktion die ethischen Standards für Journalisten im Umgang mit Gewaltopfern kennen sollte. Dazu gehört unter anderem die Vorgabe, diese durch die Berichterstattung nicht zum zweiten Mal zum Opfer zu machen. Auch mehrfache Befragungen zu traumatischen Erlebnissen gelten als unnötig belastend, nicht nur unter Journalisten. Warum Lanz dennoch nach dem bereits bekannten Geschehen fragt, bleibt unklar.

Ramizipour schließt seine Schilderung damit ab, dass sieben Kugeln in seinem Körper zurückgeblieben seien und mit ihnen die Gefahr einer Lähmung. Auf die Schilderung geht Lanz aber überhaupt nicht ein, schlimmer noch: Er ignoriert Ramizipour komplett und suggeriert den anderen Gästen gegenüber Misstrauen. „Ich konnte das kaum glauben“, sagt er, nicht etwa an den verletzten Ramizipour gewandt, sondern an den Journalisten Safiarian. „Die schießen gezielt auf Demonstranten, um sie später als Regimegegner zu erkennen?“, fragt Lanz.

Genau dieses Misstrauen versucht die iranische Regierung in ihrer Bevölkerung zu säen. Das berichtet auch Safiarian, noch ehe Lanz ähnliche Fragen stellt, die, sofern sie an Ramizipour gerichtet sind, meist persönlich bis intim ausfallen.

Aber erst wird es absurd. Safiarian antwortet auf Lanz‘ Glaubensfrage mit einem Fingerzeig auf Ramizipour: „Er hat mir selbst erzählt, die schießen gezielt auf die Augen.“ Ramizipour fühle sich deshalb wie ein gebrandmarktes Tier, sagt Safiarian, als sei der Mann nicht anwesend. Als Lanz sich dann noch für die eingeblendete Reihe an Aufnahmen von Ramizipours Augenverletzung feiert – „Wir zeigen das ganz bewusst“ – erzählt Safiarian, wie wichtig es Ramizipour sei, dass man ihm glaube.

Dessen Geschichte ist längst von unabhängigen Journalisten überprüft. Der in Teheran geborene Safiarian selbst war an einem Bericht über Ramizipours Fall beteiligt.

Aber mit dieser Sendung stellt Lanz wohl ein für allemal klar, dass seine Talkshow nicht der Aufklärung oder Dokumentation dient, sondern der Unterhaltung. Dieser Umstand ist bei Diskussionen über politische Entscheidungen schon anstrengend genug. Aber das Leid eines Menschen in ein Unterhaltungsformat zu zerren ist, mit Verlaub: zum Knochenkotzen.

(peng)
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