TV-Nachlese zu „Lanz“ „Wollt ihr wirklich auf Kosten der Sklaverei dort produzieren?“

Düsseldorf · Organisierter Volkeswille, eine Demokratie mit Dellen und Gerhard Schröders Portemonnaie: Bei „Markus Lanz“ geht es um Diktaturen wie China, und dabei nimmt der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour kein Blatt vor den Mund.

 Die Talkrunde bei „Markus Lanz“ am 1. Februar 2022.

Die Talkrunde bei „Markus Lanz“ am 1. Februar 2022.

Foto: ZDF

Am Dienstagabend sitzen in der Talkrunde bei „Markus Lanz“ ein Politiker und drei Journalisten. Sie sprechen vor allem über internationale Fragen.

 Die Gäste:

  • Omid Nouripour, Vorsitzender der Grünen
  • Helene Bubrowski, Journalistin
  • Ulf Röller, Journalist
  • Elmar Theveßen, Journalist

 Darum ging’s:

Um China, die Ukraine und Omid Nouripours Krawatte.

 Der Talkverlauf:

Am Anfang der Sendung gibt Markus Lanz den Modekritiker. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour trägt Krawatte, und das passt nicht ins Klischeedenken des Moderators. Bei einer scherzhaften Replik will Lanz es nicht belassen. Schließlich erklärt ihm Nouripour, er sitze im Bundestag schon seit 16 Jahren mit Krawatte. „Aber nicht hier“, sagt Lanz, als zähle der Rest der Welt nicht.

Flugs geht’s ins Lanz’sche Sprachlabor mit Politikerformulierungen, die ihm unverständlich erscheinen, allerdings nicht aus Nouripours Mund stammen. Der Grünen-Politiker empfiehlt, die Urheber der Äußerungen danach zu fragen. „Ich bin nicht als Pressesprecher von Scholz gewählt worden“, sagt er. Da ist das Gespräch schon bei der Frage angelangt, ob und wie eine Regierung die Olympischen Spiele in Peking boykottieren sollte.

Der aus China zugeschaltete Journalist Ulf Röller glaubt, die chinesische Regierung sei zufrieden damit, dass es keinen diplomatischen Boykott von Seiten Europas gebe. Xi Jinping sei es gelungen, über wirtschaftlichen Einfluss die Entscheidungsprozesse in Europa zu lenken. „Das Gefühl der Chinesen ist: Wenn es um die Frage geht, ob man wirtschaftliche Interessen für Fragen der Menschenrechte opfert, dann wird man sich immer für die wirtschaftlichen Interessen entscheiden“, sagt Röller. Und das sei der Hebel, mit dem China sich durchsetze.

Nouripour pflichtet ihm bei: „So wird man in China nicht ernstgenommen.“ Deshalb hofft der Grünen-Vorsitzende, dass das Investitionsabkommen ziwschen der EU und China nicht ratifiziert wird. Wenn das Land sage, „wir stehen für Demokratie und damit auf Seiten der Menschenrechte“, dann müsse sich das auch im Handeln zeigen. Deutschland solle etwa angesichts von Zwangsarbeit in China eine klare Linie benennen und deutschen Firmen die Frage stellen: „Wollt ihr wirklich auf Kosten der Sklaverei dort produzieren?“ Nouripour hält es außerdem für wichtig, die Schwächen Chinas zu benennen – etwa das Fehlen einer Fehlerkultur. Dieses Fehlen unterstreicht auch der China-Korrespondent Röller. Es gebe keine Fehlerkultur und keine Diskussionen, berichtet er. Die offizielle Lesart sei: Die kommunistische Partei sei perfekt und mache keine Fehler.

Der Journalist Elmar Theveßen erinnert daran, dass die USA trotz einer wirtschaftlichen Abhängigkeit klar sagen, der Umgang der Chinesen mit den Uiguren sei Völkermord. „Die große Frage ist: Hat es wirklich extrem negative Konsequenzen, wenn man klare Worte spricht?“

Eine Möglichkeit für Folgen zeigen Beispiele von Firmen wie H&M auf, die wegen menschenrechtlicher Bedenken aufgehört haben, entsprechende Rohstoffe aus China zu beziehen. Angesichts solcher Kritik ausländischer Firmen werde im chinesischen Internet ein „organisierter Volkeswille“ demonstriert, berichtet Röller, und blitzartig entstehe ein Boykott.

Welche Konsequenzen klare Worte innerhalb Chinas haben, zeigen Einspieler einer TV-Dokumentation von Röller und Theveßen. Dabei geht es um einen Menschenrechtsanwalt und eine Bloggerin, die in 2020 ein Video in Wuhan drehen wollte. Beide kamen ins Gefängnis, und inzwischen wissen die Journalisten nicht, ob beide noch leben. „China kreiert ein Image von sich und versucht mit allen Mitteln durchzusetzen, dass die Welt das glaubt“, sagt Röller. Theveßen nennt Hintergründe beim Namen: Xi Jinping habe Angst vor diesem Anwalt, er habe Angst vor einer Tennisspielerin, sogar vor der (in China verbotenen) Zeichentrickfigur Winnie The Pooh. „Warum haben wir Angst, offen auszusprechen, was da passiert?“, fragt er.

Nouripour glaubt, es brauche noch mehr als einige Menschen, die das Unrecht in einem autoritären System erlebt haben und davon berichten, so wie etwa Röller es tut. Es brauche viele Stimmen wie etwa in der Ukraine. Leidenschaftlich wendet sich der Politiker gegen eine Weltsicht, die Lanz während der Sendung mehrfach ins Spiel gebracht hat: eine „Abenddämmerung der Demokratie“. „Ich glaube, in diesem Land gibt es eine starke, robuste Demokratie, auch wenn sie gerade Dellen hat“, sagt Nouripour.

Dann erfreut er Lanz mit einigen Sätzen Klartext, die nicht zu Aussagen der SPD passen. „Wir als Grüne fanden Nordstream 2 schon immer falsch und finden das auch immer noch.“ Das sei ein alter Dissenz mit der SPD. Ebensowenig teilt der Grünen-Politiker die Lesart, die Gas-Pipeline sei eine privatwirtschaftliche Angelegenheit. „Es gibt auf dem ganzen Planeten kein Energieprojekt solcher Größenordnung, das nur privat ist.“ Und Gerhard Schröder „spricht nicht für die Sozialdemokratie, sondern für sein Portemonnaie“. Nur in der Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine mauert Nouripour. Es müsse klar sein, dass Russland eine Aggression wehtun würde. „Aber jetzt Anlässe geben, dass diplomatische Bemühungen den Bach runtergehen, das ist nicht das Gebot der Stunde.“

Die Journalistin Helene Bubrowski meint, Putin könne gemütlich zuschauen, wie uneins der Westen sei. „Das ist das Gegenteil von Abschreckung.“ Sie findet es zudem naiv zu glauben, Putin werde irgendwann Ruhe geben. Schließlich zieht der China-Korrespondent Röller die Verbindung zu der Diktatur, in der er aus beruflichen Gründen wohnt. China werde die Entwicklung an der ukrainischen Grenze sehr genau beobachten. „Daraus werden sie ihre Schlussfolgerungen ziehen, wie stark der Westen noch ist in der Verteidigung seiner Werte.“

(peng)
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