TV-Nachlese zu „Lanz“ „Ich betrachte mich als Ukrainerin, nicht Halbrussin“
Hamburg/Kiew · Die Ukrainerin Hanna Polonska hat trotz dramatischer Kriegserlebnisse Hoffnung. Doch das ist nicht Lanz‘ Thema. Mit einem vermeintlichen „Interview“ bricht er frühere Rekorde fürs Fremdschämen.
Am Dienstagabend ging es bei „Markus Lanz“ um die Ukraine. Am Anfang der Talkshow stand dabei eine Leitung nach Kiew: Von dort war die ukrainische Deutschlehrerin Hanna Polonska zugeschaltet.
Die Gäste:
- Hanna Polonska, Lehrerin
- Norbert Röttgen, CDU-Politiker
- Jan van Aken, Linken-Politiker
- Liana Fix, Politikwissenschaftlerin
- Marcel Fratzscher, Ökonom
Der Talkverlauf:
Am Beginn der Talkshow soll die aus Kiew zugeschaltete Deutschlehrerin Hanna Polonska mit Lanz sprechen. Ein Einspieler schildert ihre Geschichte: Die Ukrainerin hatte bei ihrer Flucht aus Butscha ihren Mann verloren, als russische Soldaten auf ihr mit weißen Fahnen gekennzeichnetes Auto schossen. Sie selbst wurde dabei schwer verletzt und verlor ihr ungeborenes Kind.
Wie beginnt man ein Gespräch mit einem Opfer solcher Gewalt? Für diese Art Interviews bieten Experten aus Psychologie und Journalismus Leitfäden und Workshops. Und Moderator Markus Lanz richtet sich an die junge Frau – und spricht über sich selbst. Ihre Geschichte habe ihn so berührt, weil sie „auch jedem von uns hätte passieren können“, sagt er. Als bräuchte der Schmerz der Ukrainerin erst noch eine Aufwertung, um redenswert zu werden.
Dann lässt sich Lanz über die teuren deutschen Städte aus, aus denen die Menschen in Vororte umzögen – wie in Kiew! Wäre diese Szene ein Talkshow-Einspieler und Polonska eine Politikerin, hätte der Moderator seine Gäste nun wohl dazu gedrängt, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. Nun wechselt Lanz nach alter Gewohnheit übergangslos von der Nabelschau zur Frage nach den Gefühlen.
„Ich werde diesen Tag nie vergessen“, sagt Hanna Polonska über den 24. Februar 2022. Als sie davon erzählt, wie sie morgens um sechs von ihrem verreisten Mann per Telefon vom Kriegsbeginn erfuhr und davon, dass die Gegend nun gefährlich war, in der sie gerade mit dem Hund spazierte, unterbricht Lanz. Polonska soll lieber rasch sagen, wann die Entscheidung zur Flucht gefallen war.
„Mit jedem Tag wurde es schlimmer und schlimmer“, sagt sie und berichtet von knapp werdenden Lebensmitteln und dem kompletten Ausfall von Elektrizität, Heizung und Leitungswasser in Butscha. „Jede normale Person hatte Angst davor, was passieren könnte.“ Am 4. März sei es vormittags etwas ruhiger gewesen, und ihr Mann und sie hätten sich entschlossen, die Stadt zu verlassen. „Wir hatten keinen konkreten Plan“, sagt sie, also etwa, wohin sie flüchten wollten. „Wir hatten nur den Plan, Butscha zu verlassen. Aber leider ist es uns nicht gelungen.“
Daraufhin blendet die Redaktion ein fröhliches Foto von Polonska mit ihrem verstorbenen Mann ein, während Lanz noch einmal nach „dieser Situation“ fragt, und zwar so: „Ich weiß nicht, ob Sie in der Lage sind, darüber zu sprechen, Sie müssen das nicht, aber ich würde es trotzdem gerne verstehen, weil es so klarmacht, wie unmittelbar dieses Grauen in Ihr Leben eingebrochen ist.“
Polonska erzählt dann, wie ihr Auto nach fünf Minuten Fahrt beschossen wurde und ihr sofort klar war, dass ihr Mann tot ist. Sie schildert, wie später ein ukrainischer Soldat sagte, sie solle aus dem Auto aussteigen – und sie ihre Beine nicht bewegen konnte. Und auch, wie sie nach ihrem Hund geschrien habe, den ihr ein Soldat schließlich aus dem zerschossenen Auto holte.
Doch das reicht Lanz offenbar nicht. Er lässt das Auto einblenden und spricht ihr ein Zitat vor, das eine deutsche Journalistin im Gespräch mit der Ukrainerin aufgenommen hatte. Nach einem Moment, in dem keine Frage folgt, wiederholt Polonska, was Lanz zuvor gesagt hatte. „Das Einzige, was mir geblieben ist, ist unser Hund.“
Sie wiederholt, dass sie sofort verstanden hatte, dass ihr Mann tot sei und das Einzige, was sie noch habe, ihr Leben und ihr Hund sei. Deshalb habe sie die Kraft, weiter gegen alle Hindernisse und Schwierigkeiten zu kämpfen. Polonska hofft, eines Tages wieder gehen zu können.
In diesen hoffnungsvollen Moment grätscht Lanz mit der Bemerkung, Polonskas Beispiel zeige, „wie perfide dieser Krieg ist“. An der Geschichte der Halbrussin, die Familie in Russland habe, könne man erklären, wie russische Propaganda funktioniere. Doch statt erneut Entsprechendes zu liefern, rückt Polonska Lanz‘ Gerede gerade. „Ich betrachte mich als Ukrainerin“, sagt sie, „nicht Halbrussin.“ Ihr Vater stamme zwar aus Russland, aber sie wolle sich „nie mehr mit dem Land assoziieren“.
Dann berichtet Polonska, ihre in Russland lebende Großmutter habe ihr bei Anrufen im Krankenhaus nahegelegt, nach Russland zu flüchten. Die Großmutter sähe die Region Kiew zwar als gefährlich an, aber nicht wegen russischer Angriffe. Stattdessen würde sie an den Haaren herbeigezogene Quellen der Gewalt zitieren, die in russischen Staatsmedien propagiert werden. Polonska sagt, das könne sie nicht akzeptieren. Deshalb habe sie die Kommunikation mit Verwandten aus Russland abgebrochen. „Es hat keinen Sinn.“