TV-Nachlese zu „Lanz“ „Wir sind hier nicht die Bestellabteilung der Ukraine“

Hamburg · Am Donnerstagabend geht es bei „Markus Lanz“ ganz schön zackig zu. Verschiedene Waffentypen und Militärtaktik sind ein Thema – und die Frage, wie Deutschland es mit den Waffenlieferungen in die Ukraine halten soll.

Die Talkrunde bei „Markus Lanz“ am 21. April 2022.

Die Talkrunde bei „Markus Lanz“ am 21. April 2022.

Foto: ZDF

Am Donnerstagabend diskutieren die Gäste in der Talkshow „Markus Lanz“ vor allem über den Umgang mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Die Gäste:

  • Marieluise Beck (Grüne), Politikerin
  • Ulrike Herrmann, Journalistin
  • Carlo Masala, Militärexperte
  • Ronja Kempin, Politologin

Darum ging’s:

Um Waffenlieferungen und militärische Überlegungen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Der Talkverlauf:

Am Anfang der Talkshow berichtet Marieluise Beck von ihrer Reise nach Kiew. Die Gründerin des Zentrums Liberale Moderne und ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete schildert unter anderem, dass moderne Kriege auch bedeuten, Luftalarm-Meldungen aufs Handy zu bekommen. Diesen Alarm habe sie sehr häufig erlebt, sagt Beck. Sie weist darauf hin, dass bei den Angriffen in allen Teilen des Landes auch immer wieder Menschen sterben. Ihre Schlussfolgerung zur Taktik Russlands: „Das System dieser Kriegsführung ist Zerstörung und vor allem Einschüchterung und Terrorisierung der Zivilbevölkerung.“

Der Militärexperte Carlo Masala soll nun seine Einschätzung dazu abgeben, was während der so genannten „Osteroffensive“ in der Ukraine geschieht. „Wir sehen einen massiven Artilleriebeschuss über eine Länge von 420 Kilometern auf ukrainische Stellungen, auf zivile Einrichtungen“, sagt der Politikwissenschaftler, der an der Bundeswehruniversität in München lehrt. Seiner Ansicht nach soll dies den Weg für Infanterie und „leichtgepanzerte Verbände" freischießen. Russland gehe es dabei möglicherweise sowohl darum, die Regionen Luhansk und Donezk zu erobern und halten, als auch darum, die ukrainischen Streitkräfte einzukesseln, sodass sie von zwei Seiten bekämpft werden. „Dieser Vernichtungskrieg wird jetzt noch härter geführt werden“, sagt Masala.

Zwar wisse man nicht genau, wie viele russische Soldaten in der Ukraine oder an deren Grenze aufmarschiert sind und wie viele Soldaten die Ukraine mobilisiert hat. „Aber egal welche Zahlen man nimmt: Die russischen Streitkräfte sind den ukrainischen nicht so massiv überlegen, dass man sagen könnte, deren Offensive wird unbedingt ein Erfolg werden.“ Das sei erst bei einem Verhältnis von drei oder vier Angreifern auf einen Verteidiger gegeben. Deshalb geht Masala von einer langfristigen Auseinandersetzung aus.

Bald kommt in der Talkrunde auch die Rolle von Deutschland ins Spiel. So soll sich die Politikerin Beck zu einer früheren Äußerung erklären. Auf Twitter hatte sie geschrieben, Deutschland stehe erneut auf der falschen Seite. Das sei sehr hart, räumt die Politikerin ein. Ihre Kritik beziehe sich vor allem auf das Wegschauen angesichts des monatelangen Truppenaufbaus der Russen und begleitender Äußerungen aus dem Kreml.

Bereits im Herbst hätte ihrer Ansicht nach eine Diskussion darüber stattfinden müssen, wie die Ukraine ausgestattet werden müsse, damit Putin möglicherweise gar nicht erst angreife. „Das ist Abschreckung“, sagt Beck, gibt aber zu, dass es ihr schwerfällt, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Schließlich standen die Grünen traditionell hinter der Forderung, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Allerdings findet Beck es heute „dramatisch falsch“, nach den Erfahrungen mit dem Bosnienkrieg noch nach der folgenden Logik zu handeln: „Je schlechter die Angegriffenen bewaffnet sind, desto besser.“

Die Journalistin Ulrike Herrmann widerspricht. „Ich glaube, es ist völlig falsch zu sagen, dass der Westen nicht auf den Angriff auf die Ukraine vorbereitet war.“ Bereits seit zwei Jahren hätten US-amerikanische und britische Experten das Militär in der Ukraine beraten und ihm auch schon Waffen geliefert. „Dass Kiew nicht gefallen ist, liegt nur an westlichen Waffen“, sagt Herrmann. Selbst der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, würde dies einräumen. Melnyk kritisiert häufig die zögerliche Haltung der Bundesregierung in Bezug auf Waffenlieferungen.

Als ein Problem stellt sich nach Herrmanns Ansicht nun aber die Abrüstungspolitik in Europa heraus: Im Vergleich mit Russland besäßen Deutschland, Frankreich und Großbritannien nur 20 Prozent der Panzer. Herrmann stellt zudem infrage, ob Putin sich hätte abschrecken lassen. Herrmann spricht sich Hinblick auf die Ukraine zwar klar für Aufrüstung aus. „Aber die Deutschen haben nichts, das haben die Ukrainer inzwischen auch schon gemerkt“, sagt sie.

Das führt die Diskussion auf die ukrainische Forderung nach einer Lieferung von 100 Marder-Schützenpanzern aus Deutschland. „So ein Panzer hat die Tücke, dass er schnell mal liegenbleibt“, sagt Herrmann und verweist auf Bilder aus der Ukraine. Nötige Reparaturen lerne ein Soldat aber nicht in ein paar Wochen. Ein liegengebliebener Panzer sei später für die Bundeswehr verloren, die insgesamt nur rund 250 funktionsfähige Marder aus den 1970er Jahren besitze. Und das Nachfolgemodell laufe gar nicht, sagt sie.

Das wiederum mag Moderator Markus Lanz nicht glauben. „Rheinmetall liefert doch keine Panzer aus, die nicht funktionieren“, sagt er. Nun schaltet sich der Militärexperte Carlo Masala ein. „Es geht um das sogenannte zweite Los Puma, das mit großen Problemen behaftet ist“, bestätigt er. Kurz darauf erwägt Lanz, die Sendung zu beenden. „Denn wenn die Russen jetzt mithören, dann wird es schwierig“, sagt er – und macht weiter.

Die Politikerin Beck schaltet sich mit Kritik an den wechselnden Begründungen von Bundesregierung und Bundeswehr ein, warum die Marder-Panzer nicht in die Ukraine geliefert werden können. „Da geht ein Stück Vertrauen verloren“, sagt sie. Sie suggeriert, dass man das Kriegsgerät in Wahrheit nicht herausrücken wolle.

Masala gibt unterdessen Herrmann in vielem Recht, möchte aber die Marder-Geschichte geraderücken. Man könne zwar Ukrainer in der Bedienung von Marder-Panzern ausbilden, das dauere nach Aussage der Ex-Generäle Egon Rams und Lothar Domröse zwei bis drei Wochen. Aber bei einem Einsatz in der Ukraine würden dann bald Mechaniker fehlen, die die im Vergleich zu etwa sowjetischen Panzern völlig andere, oft komplizierte Technik beherrschen. Insofern folgen einige Experten den Ausführungen von Herrmann.

Allerdings gebe es noch eine andere „Schule“ beim Abwägen solcher Waffenlieferungen, sagt Masala. Diese würde argumentieren: „Bildet die Leute aus, schmeißt das ins Gefecht, und wenn es zwei Wochen hilft, dann hilft es.“ Für die Abwehr sei dies in der Tat hilfreich, meint Masala. Er weist aber auch darauf hin, dass schweres Gerät allein nicht ausreiche, um eine Schlacht für sich zu entscheiden.

Die Politologin Ronja Kempin bringt einen europäischen Blick in die Runde. Sie erinnert daran, dass die neue Bundesregierung mit dem Versprechen einer neuen Europapolitik angetreten sei. Nun aber sei es immer wieder Deutschland, das die europäische Einigkeit in Bezug auf Sanktionen oder Waffenlieferungen bremse.

Trotz ihrer Kritik an der Bundesregierung weist die Journalistin Herrmann nun darauf hin, dass Deutschland dennoch vieles in Bewegung setze, etwa über den Vorsitz bei G7-Verhandlungen, bei denen 50 Milliarden für die Ukraine beschlossen wurden, sowie über Beiträge für europäische Waffenlieferungen. „Dieses Gefühl, Deutschland macht irgendwie gar nichts, das ist falsch“, sagt Herrmann.

Sie wendet sich auch gegen die Idee, sämtliche Waffenforderungen der Ukraine müssten erfüllt werden. Es sei schlimm, was in der Ukraine geschehe. Das heiße aber nicht, dass Deutschland aufhöre, Politik zu machen und sich zu überlegen, was sinnvoll sei. „Wir sind hier nicht die Bestellabteilung der Ukraine“, sagt Herrmann. Zudem liefere auch kein anderes Land Panzer in die Ukraine. „Man schickt Dinge, die sie bedienen können, und man macht Ausbildungsprogramme.“

Als sich Fragen über die Unterscheidung zwischen Waffenkategorien auftun, springt der Militärexperte Masala ein. Die Unterscheidung zwischen defensiven und offensiven Waffen habe immer nur „die deutsche Seele streicheln“ sollen, um die Bevölkerung für die Idee von Waffenlieferungen zu erwärmen. Eine Flugabwehr etwa sei zwar in erster Linie dazu da, Angreifer abzuschießen. Sie ließe sich aber auch dazu benutzen, eine Offensive abzusichern.

Die Äußerung von Bundeskanzler Olaf Scholz, Deutschland gehe mit Waffenlieferungen so vor wie die anderen Länder, sei in Bezug auf Panzer richtig, bestätigt Masala. Auch würden Experten Mörser zu den schweren Waffen zählen, die Deutschland offenbar in die Ukraine schicke. Aber in Bezug auf andere schwere Waffen, etwa Panzerhaubitzen oder gepanzerte Fahrzeuge, gingen Länder wie die USA, Australien oder möglicherweise nun auch die Niederlande weiter.

Dabei gibt Masala zu bedenken, dass eine Art „Arbeitsteilung in der Nato“ dahinterstecken könnte. Nach diesem Modell würden dann etwa die Niederlande eine Panzerhaubitze liefern, während Deutschland für die Munition und die Ausbildung zuständig sei. Kritik äußert Masala an anderer Stelle. „Man muss einfach damit leben, wenn diese Regierung sich entscheidet, bestimmte Grenzen zu haben“, sagt er. „Aber die müssen dann auch klar kommuniziert werden.“

(peng)
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