Olaf Gericke bei „Markus Lanz“ „Die Rechnung werde ich Herrn Tönnies schicken“

Düsseldorf · Nach Gütersloh muss auch der Kreis Warendorf in den Lockdown – weil dort rund 1300 Tönnies-Mitarbeiter wohnen. Von Warendorfer Landrat Gericke will Lanz wissen, wie groß die Wut ist.

 Die Talkrunde bei "Markus Lanz" am 24.06.2020. Zugeschaltet: Olaf Gericke, Landrat im Kreis Warendorf.

Die Talkrunde bei "Markus Lanz" am 24.06.2020. Zugeschaltet: Olaf Gericke, Landrat im Kreis Warendorf.

Foto: ZDF

Die Masseninfektionen beim Gütersloher Schlachtbetrieb Tönnies fungieren bei „Markus Lanz“ am Mittwochabend als Aufhänger, um einmal mehr über das Coronavirus zu sprechen.

Die Gäste:

  • Olaf Gericke (CDU), Landrat des Kreises Warendorf
  • Alexander Kekulé, Virologe
  • Robin Alexander, Journalist
  • Helge Braun (CDU), Kanzleramtschef
  • Elmar Theveßen, Journalist
  • Sandra Navidi, Juristin

Darum ging’s:

Um Wut. Über den verpatzten Urlaub, ruinierte Vorzeigezahlen, skandalöse Verhältnisse in der Fleischindustrie. Der Warendorfer Landrat Gericke bekommt in der Talkrunde viel Sympathie – und seine missliche Lage lenkt den Blick auf den Umgang mit Verantwortung.

Der Talkverlauf:

Die erste Frage der Sendung ist ein typischer Lanz: Wie groß ist die Wut? Als ob es dafür eine Messlatte gäbe. Der Warendorfer Landrat Olaf Gericke beantwortet die Frage dennoch – zwischen den Zeilen und mit seinem beherrschten Ton, der eben jenen Zorn im Zaum hält.

Der Landrat berichtet davon, was es heißt, die Mitarbeiter der Fleischfabrik ausfindig zu machen, die nur auf Zeit im Kreis Warendorf untergebracht sind. Tönnies habe große Schwierigkeiten gehabt, dem Gesundheitsamt die Namen und Anschriften dieser Mitarbeiter zu geben. Das sei aber sowohl für eine Durchsetzung der Quarantäne als auch für die Kontaktnachverfolgung dringend nötig.

„Eine Firma, die sich vor wenigen Wochen noch gerühmt hat, alles im Griff zu haben, hat es leider versäumt, in der Hauptverwaltung eine Liste zu haben, auf der steht, wer wo wohnt“, sagt Gericke. Das habe zu Verzögerungen geführt, und schließlich habe das Gesundheitsamt mit mehr als fünf verschiedenen Listen arbeiten müssen, auf denen teils die Anschriften fehlten. Die Suche nach diesen Menschen sei eine logistische Mammutaufgabe. „Das ist ein großer Scherbenhaufen, den Tönnies da angerichtet hat“, sagt Gericke. Und das ist nicht alles.

Gericke berichtet auch, dass Städte, Gemeinden, Hilfsorganisationen und Bezahldienste gemeinsam Soforthilfe leisten und die betroffenen Tönnies-Mitarbeiter in ihren Unterkünften mit Lebensmitteln versorgen – „was Tönnies und die Subunternehmer nicht machen, obwohl sie es versprochen haben“. Dass die Arbeits- und Wohnbedingungen der Tönnies-Mitarbeiter nicht erst seit gestern bekannt sind, kommentiert der Landrat allerdings wenig überzeugend.

Gericke fordert, dass der Schlachthof die Lebensmittelversorgung übernimmt, für Transparenz bei Namen und Adressen von Mitarbeitern sorgt und auch das gesamte Testen im Kreis Warendorf übernimmt. Das habe der Landkreis bereits auf eigene Kappe begonnen, damit es schneller ginge. Schließlich würden am Freitag die Ferien beginnen. „Aber die große Rechnung werde ich Herrn Tönnies schicken“, sagt Gericke. Und schiebt hinterher, dass er auch das Landes- oder Bundesgesundheitsministerium in der Pflicht sieht.

Die Wut, nach der Lanz fragt, kommt allerdings nicht vom geplatzten Urlaub. Die Wut kommt aus der Ungerechtigkeit: Der Kreis Warendorf hatte Gericke zufolge unterdurchschnittliche Infektionszahlen. Alle Regeln befolgt, alles dafür getan, damit alle gesundbleiben – und dann kommt eine Firma und schlampt, dass die Tassen klirren, aber die Suppe müssen andere auslöffeln.

Das Prinzip vom Suppe-auslöffeln-lassen sieht der Journalist Robin Alexander auch als Schwachstelle im großen Rahmen der deutschen Pandemiebekämpfung. Bund und Länder hätten einen ungelösten Konflikt auf Kommunalpolitiker ausgelagert: Was soll passieren, wenn die Grenze von 35 Infektionen auf 100.000 Einwohner überschritten wird? Im bundesweiten Entwurf für den Weg aus den Corona-Beschränkungen sei noch die Regelung enthalten gewesen, dass es bei einem Überschreiten der Infektionsgrenze automatisch wieder zurück auf den Stand der Maßnahmen „vor dem 20. April“ gehe. Im Beschluss fehle allerdings jegliche Regelung, was beim Überschreiten der Grenze passieren solle. Doch für Kommunalpolitiker sei die Entscheidung über einen Lockdown besonders schwierig, nicht nur im Blick auf eine Wiederwahl: „Ein Landrat hat seine eigene Bevölkerung maximal an den Hacken“, so Alexander.

Auch der Virologe Alexander Kekulé findet es nicht fair, die Entscheidung auf Landratsschultern zu legen. Schließlich gehe es dabei um immer wieder unterschiedliche und sehr komplexe Sachverhalte, bei denen auch Fachleute sich nicht immer einig seien. Mit Blick auf den Herbst warnt Kekulé: „So etwas Ähnliches wird sich in Deutschland wiederholen.“

Da knüpft Kanzleramtschef Helge Braun an. „Diese größeren Ausbrüche haben jetzt gezeigt: In dem Moment, wo man dem Virus eine Chance gibt, schlägt es auch wieder zu.“ Die Infektionszahlen müssten niedrig bleiben, nicht nur um Erkrankungen und Todesfälle zu vermeiden, sondern auch, damit sich die Wirtschaft erholen und die soziale Lage entspannen könne. „Deshalb glaube ich, ist die Aufgabe jetzt wirklich, jeden lokalen Ausbruch sehr, sehr genau und sehr schnell zu beantworten, aber auch nicht zu sorglos zu werden.“

Die regionalen Einschränkungen des öffentlichen Lebens nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies begrüßte Braun. Die Entscheidung zu einem Lockdown, um die Situation zu beruhigen und um die Zeit zu haben, „uns wirklich ein Bild zu verschaffen“, sei ein „sehr verantwortungsvolles Vorgehen“. An diesem Punkt der Talkshow ist Olaf Gericke längst nicht mehr dabei – er war nur anfangs zugeschaltet. Schade. Seine Erwiderung wäre möglicherweise hörenswert gewesen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort