Ukraine-Militärhilfe bei „Lanz“ „Es geht jetzt darum, Russland zurückzudrängen und die Ukraine zurückzuerobern“

Hamburg · Wie geht die Talkshow-Szene mit Scholz‘ überraschender Ankündigung von Leopard 2-Lieferungen an die Ukraine um? „Markus Lanz“ schaltet einen Korrespondenten aus den USA ein – und bekommt Strategiewechsel statt Streit.

 Die Talkshow „Markus Lanz“ am 25. Januar 2023.

Die Talkshow „Markus Lanz“ am 25. Januar 2023.

Foto: ZDF

Kurzfristig dreht sich bei „Markus Lanz“ am Mittwochabend das Gästekarussell. Das größte Gewicht unter den drei Teilen der Talkshow nimmt eine aktuelle Wendung in der deutschen Außenpolitik ein.

Die Gäste:

  • Elmar Theveßen, Journalist mit Arbeitsplatz in Washington
  • Omid Nouripour, Ko-Vorsitzender der Grünen
  • Martin Knobbe, Journalist

Kaum steht bei „Markus Lanz“ am Mittwochabend die Schalte zu US-Korrespondent Elmar Theveßen, schon vertröstet der Moderator seinen neuesten Gast und wendet sich Omid Nouripour zu – mit einem Klassiker aus dem Lanz’schen Frageköcher: „Wann haben Sie erfahren …“ Der Grünen-Politiker, der gemeinsam mit Ricarda Lang den Parteivorsitz innehat, verweist darauf, dass es schon seit einer Weile Gespräche „mit den Amerikanern“ über das Thema Panzerlieferungen gegeben habe. „Es war am Wochenende absehbar, dass sie zu einem Ergebnis führen.“

Statt nun über Inhalte zu sprechen, beißt sich Lanz an Abläufen fest und variiert seine Einstiegsfrage nur minimal. „Na, man redet miteinander in der Koalition“, sagt Nouripour, „das gehört sich so.“ Nach und nach zeichnet sich ab, dass den Moderator am meisten interessiert, wer zuerst von der Entscheidung wusste – die Presse oder das Koalitionsmitglied. Allerdings rückt der Journalist Martin Knobbe ebensowenig mit seinen Quellen heraus wie Nouripour. Welcher Erkenntnisgewinn von solchen Informationen ausginge, bleibt ebenso schleierhaft.

Schließlich bittet Lanz den aus der US-Hauptstadt berichtenden Theveßen darum, die Runde „hinter die Kulissen der großen Politik in Washington“ zu führen. Konkret geht es darum, dass die USA die Lieferung von Abrams-Panzern in die Ukraine angekündigt haben – kurz nach Scholz‘ Bekanntgabe über die Bereitschaft Deutschlands, Lieferungen von Leopard 2-Panzern in die Ukraine zu erlauben. Zuvor hatte es Gerüchte gegeben, Scholz habe seine Zusage an die Abrams-Lieferbereitschaft der USA geknüpft.

Theveßen diagnostiziert hinter den Kulissen „Enttäuschung, vielleicht auch ein Stück weit Ärger“. Zwar hätten die USA tatsächlich Verständnis für die Schwierigkeiten, die Deutschland beim Thema Waffenlieferungen habe. „Andererseits ist man über diesen Huch-Effekt verwundert.“ Es sei ja keine Überraschung, dass man nach den Gepard- und Marder-Panzern an irgendeinem Punkt auch über den Leopard 2-Panzer entscheiden müsse, erklärt Theveßen seine Wortschöpfung.

Schließlich erinnert er daran, dass die Zeitenwende-Rede des Kanzlers gehalten wurde, als man davon ausging, russische Soldaten würden innerhalb weniger Tage an der polnischen Grenze stehen. Auf diesem Hintergrund sei es für US-Politiker wenig verständlich, warum in Deutschland daraufhin keine Strategie für kommende militärische Entscheidungen entwickelt worden sei.

Nach Ansicht des Journalisten hat ein Medienbericht Druck auf die US-Regierung ausgeübt, demzufolge der Bundeskanzler gesagt habe, es würden nur dann Leopard 2-Panzer geliefert, wenn die USA wiederum Abrams-Panzer lieferten. Das sei ein Gegensatz zur Haltung und zum Verhalten der US-Regierung über viele Monate gewesen: „Wir drängen euch Deutschen nicht, aber jetzt auf einmal drängt ihr.“

Es dauere allerdings mindestens bis zum Herbst, bis die ersten Abrams-Panzer tatsächlich in die Ukraine geliefert würden, da diese zunächst bei der US-Industrie bestellt würden. Theveßen lenkt daher die Aufmerksamkeit auf aktuelle Vorbereitungen für Lieferungen aus den USA und den Niederlanden, die der Ukraine zu Geländegewinnen verhelfen sollen. „Das ist eine Veränderung des strategischen Ziels: Es geht jetzt darum, Russland zurückzudrängen und die Ukraine zurückzuerobern.“ Später muss der US-Korrespondent sachte drängeln, um diesen Strategiewechsel im Zusammenhang mit der Leopard 2-Entscheidung einzuordnen.

Lanz interessiert sich stattdessen für einen früheren Punkt: Ob US-Präsident Joe Biden sich von Kanzler Olaf Scholz gedrängt gefühlt habe. Theveßen bezweifelt dies. Er glaubt, dass Biden von den konkreten Umständen des Kriegs in der Ukraine gedrängt worden sei. „Wenn es dazu hilft, dass am Ende die Hilfe kommt, die die Ukraine jetzt dringend benötigt, dann verspricht man die Abrams-Panzer.“

Der Journalist betont, dass eine Lieferung jener Panzer nach amerikanischer Ansicht militärisch keinen Sinn ergäbe. Dies würde ukrainische Kommandeure Zwingen, die unterschiedlichsten Technologien zu berücksichtigen, bei denen zudem sowohl Nachschub als auch Wartung problematisch seien. Wichtig sei für die USA vielmehr, dass damit ein Strategiewechsel „erkauft“ würde: von der Defensive zur Offensive. Hintergrund für diesen Strategiewechsel sei die Beobachtung, Russland habe sich zum Ziel gesetzt, aus seinen Stellungen in der Ukraine heraus die dortige Zivilgesellschaft in Schutt und Asche zu legen.

Lanz möchte nun offenbar nicht über Strategien oder deren mögliche Folgen, sondern weiter über etwaige Streitereien hinter den Kulissen sprechen. Nouripour blockt dies ab, Theveßen wiederholt seine Aussagen von zuvor und spricht von einem Abwägen zwischen militärischem Nutzen und politischer Geschlossenheit. Flink fügt er noch etwas hinzu, wonach Lanz bislang nicht gefragt hat: „Man will, dass Deutschland eine Führungsmacht in Europa ist – auch weil man langfristig nicht immer als Amerika gerufen werden will.“

Bald darauf lenkt Lanz das Gespräch auf die Semantik des Olaf Scholz und wendet sich an den anderen Wortschmied in der Runde. Knobbe bekundet: „Tja, die Frage, wie man den Kanzler versteht, ist eine große“ und erwähnt Faktoren von verbaler Eskalationsvermeidung bis zu Tabufragen. Nach Ansicht des Journalisten hat Scholz aber einen Coup gelandet: Der Kanzler habe es geschafft, sein Prinzip durchzusetzen. Dieses Prinzip beschreibt Knobbe so: „So lange wie möglich machen wir das nicht alleine.“ Daher wertet er die US-Ankündigung der Abrams-Lieferung als wichtiges politisches Signal. Es zeige, dass der Westen bei all seinen Schritten geeint sei.

Daran knüpft Nouripour an. Angesichts des Schulterschlusses mit den Amerikanern weist er darauf hin, dass auch die Einheit innerhalb Europas gewährleistet werden müsse. „Da darf es keinen deutschen Sonderweg geben.“

Als das Gespräch auf die Reaktion des russischen Botschafters in Washington zu sprechen kommt, sagt Theveßen: „Aus Washingtoner Sicht ist das ein Beweis dafür, dass Russland die Definitionshoheit über alles haben will.“ Der russische Botschafter hatte behauptet, bei Panzerlieferungen könne man nicht von Verteidigungswaffen sprechen. Theveßen hingegen definiert es so: Es ginge darum, ukrainisches Territorium zurückzuerobern – das sei kein Angriff, sondern Teil der Verteidigung des Landes.

In den USA sei die Sichtweise eindeutig: „Russland muss verlieren.“ Dabei ginge es auch um ein geopolitisches Signal, etwa als Warnung an China. Allerdings gebe es in den USA kein einheitliches Bild davon, wie dieser Verlust Russlands konkret auszusehen habe, ob etwa auch die Krim zur Rückeroberung zähle. Eine Grenze bei der militärischen Unterstützung der Ukraine durch die Amerikaner vermutet Theveßen bei den Kampfjets.

An diesem Punkt verweist Nouripour zusätzlich auf praktische Einschränkungen: Die Ausbildung für Kampfflieger dauere mehrere Jahre. Was den politischen Willen angeht, bekundet der Grünen-Vorsitzende: „Ich sage zu nix auf gar keinen Fall.“ Seine Bedingungen für eine Zusage an Militärhilfe definiert Nouripour ebenfalls kurz und knapp: „Wenn es nötig ist, wenn es möglich ist, wenn klar ist, dass es nicht zur Eskalation beiträgt, und wenn es im Bündnis nicht hochstrittig ist.“

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