TV-Talk mit Maischberger "Erdogan spaltet sein Volk"

Düsseldorf · In den Niederlanden dämpft der Wahlausgang den Aufwind des Populismus. In der Türkei macht Präsident Erdogan weiter Stimmung gegen die EU und Deutschland. Die Gäste im Talk bei Maischberger diskutieren erneut den richtigen Umgang mit Erdogan.

  • Ursula von der Leyen, Bundesverteidigungsministerin (CDU)
  • Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP
  • Jeroen Akkermans, niederländischer TV-Journalist
  • Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik"
  • Necla Kelek, Publizistin, Erdogan-Kritikerin
  • Haluk Yildiz, deutsch-türkischer Politiker, BIG-Partei

Nach dem Verbot der Wahlkampfauftritte von türkischen Ministern in den Niederlanden hat sich der Konflikt zwischen Europa und der Türkei weiter zugespitzt: Nazi-Vergleiche und Warnungen vor diktatorischen Strukturen vergiften die Debatte. Sandra Maischberger wollte diskutieren: Wie stark hat der Streit die niederländischen Wähler beeinflusst? Wird die Konfrontation zwischen Europa und Erdogans Türkei eskalieren?

Die Runde zeigte sich angesichts der ersten Ergebnisse der Wahl in den Niederlanden überwiegend erleichtert. Vor allem diskutierten die Politiker, eine Journalistin und zwei türkisch-stämmige Deutsche über die Populismus-Debatte im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen der Türkei, Europa und Deutschland.

Ursula von der Leyen freut sich als erste über den Wahlausgang in den Niederlanden: "Das ist eine gute Wahl für die Niederlande, eine gute Wahl für Europa", sagt die CDU-Politikerin und verweist auf die Populismus-Debatte: Nach einem schweren Jahr würden die Leute jetzt merken, was das Ergebnis sein könne, wenn sie auf Populisten hörten. Als Beispiele nennt sie Obamacare und Brexit.

Auch FDP-Mann Lindner hält die Niederlande-Wahl für ein gutes Signal. Rutte habe auch der deutschen Politik eine Lektion erteilt, wie man mit Populisten umgeht; er habe Wilders entlarvt und die Zusammenarbeit mit Populisten vollständig ausgeschlossen. Andererseits habe er Probleme gelöst und die liberale Wertordnung mutig verteidigt. "Ich kann Deutschland nur empfehlen, daraus eine Lehre zu ziehen und keinen Zentimeter auf unsere Rechtspopulisten zuzugehen." Außerdem ist Lindner der Meinung, dass der Umgang des niederländischen Regierungschefs mit Erdogan völlig richtig war.

Journalist Jeroen Akkermans warnt, der Wahlsieg für Rutte bedeute nicht, dass Populismus-Debatte und Frust in der Gesellschaft auf einmal vorbei seien. Akkermans sagt, den Niederländern sei bewusst gewesen, wie sehr Europa auf den Wahlausgang schaue. Viele sind nach Ansicht des Korrespondenten auch deshalb zur Wahl gegangen. "Wir haben ganz klar 'Stopp dem Populismus' gesagt."

Auch Markus Preiß, als Leiter des ARD-Studios in Brüssel zugeschaltet aus Den Haag, spürt ein Aufatmen. Daraus solle man aber für die EU nicht den Fehlschluss ziehen, dass nun die Probleme gelöst seien. Vielleicht könne man nach der Wahl in Frankreich etwas beruhigter weiter arbeiten, meint Preiß.

Dann geht es in der Talkrunde vor allem um die Politik eines anderen Landes — Erdogans Türkei. Die Publizistin Necla Kelek fordert, der Islam müsse sich von Innen reformieren und der Koran müsse von Gewaltpassagen gereinigt werden. Anschließend kreist die Debatte lange ums Für und Wider der Verbote von Wahlkampfauftritten türkischer Minister.

Von der Leyen mahnt, Kerneigenschaften wie Meinungs-, Rede und Pressefreiheit hochzuhalten. Sie hält Präsident Recep Tayyip Erdogan vor allem für provokant: "Er versucht, uns so sehr zu provozieren, dass vor allem er einen Wahlkampfvorteil daraus zieht." Man könne ausländerrechtlich reagieren und die politische Betätigung verbieten oder auch auf kommunaler Ebene agieren. Vor allem aber mahnt die Verteidigungsministerin zu Gelassenheit.

Christian Lindner ist indes keine Spur gelassen: "Merkel ist nach Ankara gereist, hat sich sogar noch unterworfen und Erdogan im Wahlkampf den Rücken gestärkt. Und jetzt wirbt Erdogan für eine islamistische Präsidialdiktatur, deren Werte nichts nichts mit uns zu tun haben", wütet der FDP-Mann. "Auf Meinungsfreiheit kann man sich nicht berufen, wenn man mit dieser Freiheit die Freiheit bekämpft will."

Leyen fürchtet, Erdogan habe erreicht, was er wolle, wenn Auftritte verboten würden. Auch Journalistin Sylke Tempel ist überzeugt, es schade, Erdogan Auftritte zu verbieten. Sie glaubt, er mache "diesen ganzen Wirbel" nur, weil er sich über den Ausgang des Referendums unsicher sei. Sie empfiehlt stattdessen smarte Außenpolitik und nennt seine Anschuldigungen lächerlich, den Schuh müsse man sich einfach nicht anziehen. Es gebe cleverere Möglichkeiten zu reagieren, es sei zum Beispiel nach türkischem Gesetz verboten, im Ausland Wahlkampf zu machen. Man könne zudem prüfen, ob wirklich Volksverhetzung passiere und diese dann verbieten. "Aber wir sollten nicht von vornherein in die Falle treten."

"Warum soll Erdogan nicht in Deutschland auftreten?" fragt Sandra Maischberger und Journalistin Kelek hat eine Antwort: Erdogan behandle Deutschland ohnehin wie einen Teil der Türkei und habe für ein gespaltenes Volk gesorgt. "Erdogan macht als Staatspräsident AKP-Propaganda auf Staatskosten", kritisiert sie. "Er ist ein alter Osmane. Er hört auf Entspannungsrufe nicht, sondern nutzt die Spaltung seines Volkes aus, anstatt uns zusammenzubringen."

Der deutsch-türkische BIG-Politiker Haluk Yildiz sieht es anders, argumentiert allerdings auf verlorenem Posten: "Ich höre hier so viele Mutmaßungen und Unterstellungen ohne faktische Relevanz", klagt er. Dem türkischen Sportminister, der am Sonntag in der Talkrunde bei Anne Will den Nazi-Vergleich Erdogans verteidigt hatte, sei es nicht um den Vergleich "Volk gleich Nazis" gegangen, sondern um die Praktiken wie Redeverbote im Dritten Reich. Erdogan-Beleidigungen in Magazinen und sogar in Schulbüchern hält er für verwerflich, weil damit auch alle Erdogan-Anhänger beleidigt würden.

Maischberger will wissen, wie gefährlich Erdogans Einfluss auf Türkei-Deutsche ist, und bekommt eine Antwort von Necla Kelek: Der Einfluss des Präsidenten auf Türkeistämmige in Deutschland sei groß. "Er hat uns nicht gut getan, sondern spaltet uns." Auch Akkermans hat in den Niederlanden das Gefühl, dass Erdogan das freie Wort missbrauche.

Für ungefährlich hält auch Sylke Tempel Erdogan nicht: "Er will die Türkei in eine Präsidialdiktatur verwandeln." Da müsse man sich nur den Inhalt des Referendums anschauen. Der Konflikt sei einer zwischen einer künftigen und teils bereits sichtbaren Autokratie und einer Demokratie — zwei Systeme, die in ihren Augen nicht miteinander vereinbar sind. Sie rät: "Warum sind wir nicht schau und laden auch Oppositionspolitiker nach Deutschland ein?"

Zuletzt fragt Sandra Maischberger, welche Rolle der Flüchtlings-Deal mit Erdogan spielt, der Hunderttausende auf dem Weg nach Europa in der Türkei stoppt und den Türken dafür raschere Visa-Freiheit in Aussicht stellt. Von der Leyen hält es für unklug, das Abkommen zu kündigen. Erdogan sehe das wahrscheinlich ähnlich, denn er würde viel Geld verlieren, meint sie. Vor dem Abkommen habe es keinerlei Möglichkeit gegeben, "den Strom zwischen der Türkei und Griechenland zu stoppen." Auch Lindner will den Deal nicht kündigen, wünscht sich aber einen besseren Modus, der unsere Grundwerte nicht von Erdogans 'Goodwill' abhängig mache.

Auch Necla Kelek ist überzeugt, dass Erdogan den Flüchtlingsdeal finanziell brauche. Er spiele nur mit der Drohung, den Deal zu kündigen. Kelek wünscht sich, dass die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbricht: "Mit jemandem, der wie ein Straßenkämpfer auftritt, kann man doch keine Staatsverträge aushandeln". Yildiz entgegnet, er sei gar nicht sicher, ob die jüngere Generation der Türken überhaupt noch in die EU wolle. Im übrigen sei Erdogan nicht auf das Geld aus Europa angewiesen.

Lindner fordert, die Beitrittsgespräche sofort zu beenden: "Wenn wir unsere Werte ernst nehmen, passt die Türkei nicht zu uns". Von der Leyen sieht, dass sich die Türkei von der EU entferne, aber nicht umgekehrt. Die Verteidigungsministerin und auch Journalistin Sylke Tempel finden: Auf Eis legen könne man die Beitrittsgespräche vielleicht, dürfe aber nicht alle Bande kappen. Auch den Menschen zuliebe, die dort leben. "Die Türkei wird unser Nachbar bleiben, damit gilt es umzugehen." Tempel: "Denn trotz Verhaftungen und Druck gibt es eine Zivilgesellschaft in der Türkei, die hofft, dass die Tür nicht zugeschlagen wird."

Von der Leyen: "Das ist für mich nicht klare Kante, Herr Lindner, das ist eine Art, dicke Eier zu zeigen mit einer Art Dicke-Eier-Zeigen zu beantworten".

Lindner: "So ist die Welt."

(juju)
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