So war der „Tatort“ aus Frankfurt Wenn Tränen „Augenpisse“ sind

Eine junge Autorin ist tot, in ihrem Roman scheint sich die Lösung für ihr Schicksal zu verbergen. Der Frankfurter Fall „Luna frisst oder stirbt“ ist besonders erzählt, weil die Annahmen der Ermittler immer in eigene Szene umgesetzt werden. Das einzig Ärgerliche: Kommissare lesen langsam.

 Wer hat’s geschrieben? Luise Nathan (Jana McKinnon) und Nellie Kunze (Lena Urzendowsky, r.) sind Freundinnen und interessieren sich beide für Literatur.

Wer hat’s geschrieben? Luise Nathan (Jana McKinnon) und Nellie Kunze (Lena Urzendowsky, r.) sind Freundinnen und interessieren sich beide für Literatur.

Foto: HR/Bettina Müller

Worum ging es? Luise Nathan (Jana McKinnon) ist mit ihrem Debütroman „Luna frisst oder stirbt“ ein Coup gelungen. Sie erzählt darin das Leben einer jungen Frau, die Luna heißt und die gegen die sozialen Ungerechtigkeiten ankämpft. Ihre Mutter macht mit Typen rum, der Kühlschrank ist leer, die Heizung kalt. Luise kleidet Lunas Leben in eine wilde, rohe, fantasievolle Sprache: Wenn sie „weinen“ sagen will, schreibt sie „es pisst aus meinen Augen“. Ihr Buch sei eine Kampfansage an die Verhältnisse, der Einzelne immer nur so stark wie das Netz, das einen auffange. Und wenn Luna am Abgrund stehe, stelle sie sich schon die Frage, ob sie springe. Doch dann wird Luise tot unter einer Brücke gefunden, und die Kommissare  Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) fragen sich, ob Luise ihren Tod in dem Buch vorweggenommen hat. Und ist Luise eigentlich Luna? Ihr Leben ist aber ganz anders als das der Romanfigur: Sie lebt mit ihrer Mutter in einer großzügigen Altbauwohnung, doch der Kühlschrank ist auch leer. „Süß, mittel, scharf – von Senf kann man nicht leben“, heißt es in ihrem Buch. Die Autorin äußerte sich in TV-Beiträgen zur Authentizität von Luna, sie sagt nicht, wer Luna sei, wichtig sei nur, dass es sie gebe. In einem Sozialcafé hatte sich Luise mit Nellie  Kunze (Lena Urzendowsky) angefreundet. Sie ist eine junge Frau aus schwierigen Verhältnissen, die sich selbst für Literatur interessiert. 

Worum ging es wirklich? Um die Frage, wie authentisch Kunst sein muss und wie viel Fremdes man sich aneignen darf. Die Frage treibt jeden Leser um: Was ist Fiktion, was Wahrheit? Autoren dementieren, entblößen sich, ordnen ein. Mitunter geht bei manchen Bekenntnissen der Zauber verloren. Und mittlerweile wird auch diskutiert, ob man sich fremde Erlebnisse überhaupt zunutze machen darf. Der Krimi geht dieser Frage nach.

Was war gut? Die andere Erzählweise. Zunächst startet der Krimi mit drei Perspektiven: den Ermittlungen, TV-Beiträgen und der Verfilmung von Szenen aus dem Buch. Je tiefer Janneke und Brix in das Buch eintauchen, desto öfter wechseln die Protagonisten in den Szenen. Hat das Luise erlebt und Luna untergeschoben? Oder ist Nellie in Wahrheit Luna? Dieser Wechsel ist erzählerisch herausfordernd, kann aber überzeugen.

Was war weniger gut? Die Kommissare fräsen sich zu dritt durch den kurzen Roman und kommen doch nicht richtig voran. So spannend der andere Dreh ist, so zäh wird die Ermittlung dadurch. Trotzdem war dieser „Tatort“ ein Vergnügen.

Woher kennt man die? Jana McKinnon und Lena Urzendowsky spielten schon gemeinsam in der Neuauflage von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ für Amazon. McKinnon verkörperte Christiane F., Urzendowsky die junge Drogensüchtige Stella. Wie in der Serie harmonieren die beiden perfekt: Sie wirken verletzlich und cool, ihre raue Sprache fügt sich ein in die Atmosphäre, die Regisseurin Katharina Bischof für sie bei ihrem „Tatort“-Debüt mit den wechselnden fiktiven Szenen kreiert.

Die lustigste Szene? Bei der Release-Party bekommen Brix und Janneke eine Tasche mit dem Buch, Infomaterial und einem Keks – ein klassisches Give-Away. Janneke packt den Cookie aus und schiebt ihn sich in Krümelmonster-Manier halb in den Mund. „Was?“, fragt sie bröselnd ihren Kollegen, „ich komme nur unserer Verpflichtung nach, alles ganz genau zu überprüfen.“ Da muss nicht nur Brix schmunzeln.

Der beste Dialog Nellies Mutter Jessie steht mit Kommissar Brix auf dem Balkon. „Starke Frauen geben nicht auf, die heulen kurz und ziehen in den Krieg“, sagt sie. Darauf Brix: „Sind sie zu schwierig, bist du zu schwach.“

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