TV-Nachlese zu „Lanz“ „Es gibt kein Recht auf Energieverschwendung“
Hamburg · Klimaziele standen gerade erst beim G7-Gipfel im Fokus. Nun versucht „Markus Lanz“ das Thema zur Generationenfrage zu stilisieren. Eingeladen ist unter anderem Luisa Neubauer von Fridays For Future.
Energiepolitik steht im Fokus des G7-Gipfels in Elmau, und darum soll es am Dienstag auch bei Markus Lanz gehen. Dabei soll die Klimaktivistin Luisa Neubauer Stellung nehmen zu den klimapolitischen Anstrengungen der G7 und zur deutschen Energiepolitik.
Die Gäste:
- Luisa Neubauer, Klimaaktivistin bei Fridays For Future
- Karen Pittel, Energieökonomin beim ifo Institut
- Yasmine M‘Barek, Journalistin
- Ralf Stegner (SPD), Politiker
Darum ging’s:
Um Klimapolitik.
Der Talkverlauf:
In der Einleitung der Talkshow beschreibt Moderator Markus Lanz die Sendung als Aufeinandertreffen von zwei oder gar „zweieinhalb“ Generationen, und sein Rückschluss daraus lautet: „Es soll heute um beides gehen, Gegenwart und Zukunft.“ Als sei der olle Sponti-Spruch „Traue keinem über 30“ abgelöst worden durch „Aufs Klima pfeif ich mit über 30“.
Erster Einspieler: Robert Habeck, der in Lanz’scher Spaltlogik wohl als Vertreter der älteren Generation daherkommen soll. Der Bundeswirtschaftsminister und Grünen-Politiker kündigt einen größeren Anteil an fossiler Energie an als bislang geplant und bezeichnet diesen Schritt als „sehr schlechte Nachricht“. Dazu soll nun die Klimaaktivistin Luisa Neubauer ebenso Stellung nehmen wie zum Ergebnis des G7-Gipfels – und zwar als Stimme ihrer Generation.
Neubauer berichtet aber erst einmal von alarmierten Anrufen aus dem UN- und G7-Umfeld, die bei der Fridays for Future-Bewegung eingingen. Ihr Tenor sei die Sorge um das Vorgehen des deutschen Kanzleramts gewesen, das wirke, als würde man sich dort bemühen, „um jeden Preis sogenannte gasfreundliche Sprache in das Kommunique zu bringen“.
Allerdings sei die Messlatte für das Ergebnis beim G7-Gipfel nicht, ob es nun besser oder schlechter als die schlimmsten Befürchtungen geworden sei, betont Neubauer. Ihr geht es allein um die Sachfrage, ob die geplanten Maßnahmen ausreichen, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten – und das täten sie nicht. „Das Gravierende an diesem Gipfel ist, dass unter Olaf Scholz dafür gesorgt wurde, dass diese großen Versprechen der letzten Klimakonferenz in Glasgow unterwandert wurden“, sagt die Klimaaktivistin.
Die Journalistin Yasmine M’Barek stimmt Neubauer zu: Das Ergebnis des G7-Gipfels sei „sehr symbolisch“ gewesen, auch im Hinblick auf die Ukraine. Dabei verweist sie auf eine Szene bei einer Pressekonferenz, bei der Bundeskanzler Olaf Scholz eine Konkretisierung von Sicherheitsgarantien verweigert. Sie sieht das als Warnsignal, dass Scholz es sich in seiner Position erlaube, keine Antworten zu geben. Daraufhin wendet der SPD-Politiker Ralf Stegner ein, man könne nicht öffentlich über Sicherheitsgarantien reden. „Intelligente Menschen merken auch, dass das so ist.“
Stegner betont über die ganze Sendung sein Verständnis für Neubauer und gibt irgendwann zum Besten, dass er in seiner Jugend „ja auch gegen Atomenergie demonstriert“ habe. Als Stegner Neubauer in seine Ecke holen will mit der „Warum kümmern wir uns statt um die Ukraine eigentlich nicht um Klimaschutz“-Frage, stellt jene klar: „Ich sehe überhaupt keinen Grund, den echten Einsatz für Frieden in der Ukraine auszuspielen gegen den Kampf für Klimagerechtigkeit. Das kann man ja sehr gut verbinden.“
Die Energieökonomin Karen Pittel schaltet sich mit dem Hinweis ein, dass hohe Energiepreise mit einem Kriegsende nicht automatisch vom Tisch seien. Nachdem Stegner die Wirksamkeit von Sanktionen ins Spiel bringt, wendet sich Neubauer an Stegner: „Wären Sie denn dann für ein volles Energie-Embargo gegen Russland?“ Der SPD-Politiker antwortet mit dem Schreckensszenario einer scheiternden Demokratie angesichts von Massenarbeitslosigkeit nach dem Zusammenbruch der Industrie. Dennoch beteuert er, Neubauers Forderungen richtig zu finden. „Wir können die Generation nicht vertrösten, wir müssen das mit dem Klimawandel angehen“, sagt Stegner, ehe er erneut einen rechtsradikalen Umsturz an die Wand malt.
„Sie tun ja geradezu so, als hätten wir keine Regierung mehr, wenn wir ein Embargo hätten“, kontert Neubauer. Nun will Lanz von einer Fachfrau hören, wie wahrscheinlich ein Zusammenbruch von Industrien sei. Pittel stellt klar: Auch in komplexen Berechnungen seien die Werte „nicht desaströs“. Das Energieproblem ließe sich aber nicht allein durch Ordnungspolitik regeln, also beispielsweise mit Regeln dafür, welche Branche auf welche Energiemengen verzichten solle. Als Ausweg käme etwa die Auktionierung von Verzichtsmengen infrage.
Stegner entpuppt sich als Fan von Verzicht – aber sozialverträglich soll er sein. „Wir wissen, die größte Energiequelle ist das Energiesparen“, sagt der SPD-Politiker. Umgehend bestreitet Pittel, dass ein Tempolimit oder ein Sonntagsfahrverbot mit Blick auf Russland viel brächte. Denn: „Erdöl ist momentan weniger unser Problem als Erdgas.“ Hohe Preise brächten nach Ansicht der Ökonomin viel mehr.
Neubauer bringt die Diskussion auf die Grundlagen zurück. Spätestens durch den Krieg in der Ukraine würden Zusammenhänge offensichtlich: „Es gibt kein Recht auf Energieverschwendung.“ Nachdem diese Illusion geplatzt sei, könnte die Gesellschaft sich neu orientieren und feststellen: „Fossile Energien stärken Autokraten, sie sind antidemokratisch und gefährden Demokratien.“ Ein Ausstieg sei also gar nicht unbedingt ein Ökoprojekt, sondern ein pro-demokratisches Projekt.
Für die Umsetzung dieses Projekts zitiert Neubauer einen Lösungsansatz, bei dem sehr viele Maßnahmen gleichzeitig eingesetzt werden, von Windkraft und Wärmepumpen bis Tempolimit und erschwinglichem Nahverkehr. Mit Blick auf klimabedingte Probleme wie Trinkwasserknappheit und Ernteausfälle fragt Neubauer: „Fangen wir an, umzustrukturieren, wie wir das wollen? Oder lassen wir das die Katastrophe diktieren?“
Pittel äußert Zweifel daran, dass ein Ausstieg aus russischer Energie bis zum Jahresende umsetzbar sein. Probleme sieht die Energieforscherin etwa darin, dass rund 30 Prozent der Privathaushalte in Deutschland mit Gas heize, in der Industrie sei der Anteil an Gas noch etwas höher. Neubauer stimmt zu, dass die Bereiche Strom, Gas und Öl getrennt betrachtet werden müssen. Gleichzeitig weist sie darauf hin, wie viele verschiedene Möglichkeiten existieren, an denen die Politik ansetzen könne. Die Klimaaktivistin stimmt der Energieforscherin auch darin zu, dass eine Unterscheidung zwischen kurz- und langfristigen Möglichkeiten sinnvoll ist. Sie drückt aber stärker auf die Tube und wünscht sich für die klimagerechte Transformation dieselbe politische Energie wie die, „mit der Olaf Scholz und seine Kollegen gerade um die Welt reisen, und fossile Energien zukaufen.“
Die Journalistin M’Barek erkennt die politischen Bemühungen um eine Versorgungssicherheit an, äußert aber heftige Kritik am Ampel-Koalitionsvertrag. Klimapolitisch sei er nur einen Hauch ambitionierter als bei der Großen Koalition. Sie sagt aber mit Blick auf Kohlekraftwerke auch: „Der Krieg hat auch dafür gesorgt, dass man aus deutscher politischer Sicht bestimmte Klimadinge wieder in den Hintergrund rücken kann.“
„Das Problem ist nicht, dass man sagt, man macht kurzfristig ein bisschen mehr Kohle“, sagt Luisa Neubauer. Die Lücken seien ja da und müssten geschlossen werden. Statt dogmatisch an das Thema heranzugehen, müsse geschaut werden, was notwendig ist. Ihr fehlt aber ein Plan, wie Extra-Treibhausgas-Ausstoß wieder ausgeglichen werden soll. Als zentralen Maßstab nennt Neubauer das restliche Emissionsbudget von drei bis vier Gigatonnen, das Deutschland noch ausstoßen kann, ehe der höchstmögliche Ausstoß von Treibhausgasen überschritten wird. Wenn man heute mehr Emissionen ausstoße als geplant, etwa durch Kohleverbrennung, müsse das eben wieder eingespart werden, sagt Neubauer. Das zu regeln, sei Aufgabe der Regierung. Aber: „Es gibt bisher keinen Grund, darauf zu vertrauen, dass die Regierung unter Olaf Scholz das macht.“