So war der „Tatort“ aus Hamburg Radikaler Schmerz

Düsseldorf/Hamburg · Der Hamburger Tatort „Schattenleben“ zeigt, wie Diversität im Fernsehen wirklich funktioniert - vor und hinter der Kamera. Vor allem aber ist er ein richtig guter Film geworden.

 Kommissarin Julia Grosz (Franziska Weisz, l.) feiert mit Nana (Gina Haller, M.) und Maike (Jana Julia Roth).

Kommissarin Julia Grosz (Franziska Weisz, l.) feiert mit Nana (Gina Haller, M.) und Maike (Jana Julia Roth).

Foto: NDR/O-Young Kwon

Darum ging es: Bei einem Brandanschlag stirbt die Frau des Polizisten Bastian Huber (Robert Höller). Alles sieht nach einem linksextremen Racheakt aus, denn derlei Anschläge gab es in der letzten Zeit häufiger, immer galten sie Polizeibeamten, gegen die interne Ermittlungen wegen unverhältnismäßiger Gewalt im Einsatz liefen. Ermittlungen, die stets eingestellt wurden. Die Kommissare Julia Grosz (Franziska Weisz) und Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) übernehmen den Fall, der sich als ziemlich heikel erweist: Nicht nur war die Vorgehensweise der Kollegen bei den Einsätzen in der linken Szene offenbar alles andere als vorschriftsmäßig – jemand hat auch noch Polizei-Interna weitergegeben.

Bei den Ermittlungen muss Falke allerdings weitgehend auf seine Partnerin verzichten, denn Grosz hat andere Prioritäten: Nach Jahren der Funkstelle meldet sich ihre Kollegin Ela Erol bei ihr, sie ist panisch, braucht Grosz’ Hilfe. Doch bevor die Kommissarin herausfindet, worum es geht, ist Ela verschwunden. Grosz vermutet das Schlimmste, denn die Freundin war als verdeckte Ermittlerin in der linksautonomen Szene unterwegs. Ist ihre Tarnung aufgeflogen? Grosz beschließt, auf eigene Faust zu ermitteln: Mit falscher Identität schlüpft sie in der linken WG unter, in der Ela zuletzt wohnte.

Die inoffizielle Ermittlung wird für die Kommissarin zu einer schmerzhaften Reise in die Vergangenheit, denn Ela ist viel mehr als nur eine Kollegin: Die beiden Frauen kennen sich aus der Ausbildung, einen Sommer lang waren sie glücklich verliebt. Doch als Ela die Beziehung damals offiziell machen wollte, „da hab’ ich Schiss gekriegt“, sagt Grosz. Sie sagt es zu Nana (Gina Haller), die inzwischen Elas Partnerin ist. Sie traut Grosz nicht, und auch immer weniger ihrer Freundin. Erst recht nicht, als sie erfährt, dass Ela mit einem Polizisten verheiratet ist. War die Beziehung zu ihr eine einzige Lüge? Grosz wiederum verdächtigt die aufbrausende, wütende Nana, Ela etwas angetan zu haben. Und liegt nicht auch die Vermutung nahe, dass Nana den Brandanschlag auf Bastian Huber verübt hat?

Die Auflösung: Wie sich herausstellt, irren sich alle. Ela war sich ihrer Liebe zu Nana sicher. So sicher, dass sie ihren Mann verlassen wollte. Der wiederum hat den Anschlag auf das Haus des Kollegen verübt – und wollte die Schuld auf Nana lenken, in der Hoffnung, dass seine Frau zu ihm zurückkehrt. Ein Plan, den Ela durchschaut. Doch bevor sie ihn verlassen und sich Hilfe holen kann, bringt ihr Ehemann sie um. Und auch Falke, der inzwischen auf der gleichen Spur ist, hätte es fast erwischt – zum Glück ist Julia Grosz rechtzeitig zur Stelle. So kann sie zwar den Tod des Kollegen verhindern – für Ela aber kommt jede Hilfe zu spät.

Darum ging es wirklich: Um Gewalt und um Liebe. Und um all die Vorurteile, die wir mit uns herumtragen, obschon doch klar sein dürfte, dass das Leben komplizierter ist. Bastian Huber, der Polizist, der beim Anschlag seine Frau verliert, „ist einer von den guten“, wie Falkes Kollege (Jonathan Kwesi Aikins) sagt.

Und, mal ehrlich, wie schlecht kann jemand sein, der seine kleine Tochter stundenlang herumträgt, bis diese endlich eingeschlafen ist? Im Polizeieinsatz allerdings war Huber wohl alles andere als zartbesaitet. Nana, als Afrodeutsche ständig mit Rassismus konfrontiert, hält Polizisten grundsätzlich für seelenlose Gewaltmaschinen, während die Kommissare wiederum den linksautonomen Frauen ihren Pazifismus nicht abnehmen.

Am Ende ist nichts, wie es zunächst scheint: Tatsächlich hat Huber den schwarzen Kollegen immer in Schutz genommen – unverhältnismäßig brutal im Einsatz war er trotzdem. Und Nana ist zwar cholerisch und ramponiert fremdes Eigentum – mit dem Anschlag jedoch hat sie nichts zu tun.

Das war besonders gut: Neben den Schauspieler*innen, denen man ihren Schmerz jede Sekunde abnimmt: Die gekonnte, elegante Umsetzung eines knüppelharten Themas, das noch dazu gespickt ist mit Klischeefallen. Das hätte wirklich leicht schiefgehen können: Polizeigewalt, linksradikale Autonome, lesbische Liebe, Rassismus – wann immer diese Themen im deutschen Fernsehen auftauchen scheint der Weg bereitet für Fettnäpfchen in Form von peinlichen Vorurteilen und abgedroschenen Dialogen. Noch dazu provoziert allein der Umstand, dass im Fernsehen, queere Menschen auftauchen, Rassismus thematisiert oder gar gegendert wird, regelmäßig Widerspruch. Muss das sein?, heißt es da schnell. Und: Hat das überhaupt etwas mit der Lebenswirklichkeit zu tun?

Beide Fragen lassen sich getrost mit Ja beantworten – was diesen „Tatort“ aber so gut macht, ist die Selbstverständlichkeit, mit der Regisseurin Mia Spengler die Geschichte erzählt und dabei mit den Klischees spielt, statt sie zu bedienen oder krampfhaft zu umschiffen.

Dass bei diesem „Tatort“ nicht nur der inhaltliche Fokus auf den Schicksalen der Frauen liegt, sondern auch hinter der Kamera ein Frauenteam am Werk war (Regie, Producerin, Drehbuch, Kamera), ist nicht nur deshalb erwähnenswert, weil beides im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer noch viel zu selten vorkommt. Sondern auch deshalb, weil „Schattenleben“ zeigt, wie Diversität wirklich funktioniert: Dann nämlich, wenn – wie hier – Herkunft oder sexuelle Orientierung zwar eine Rolle spielen, am Ende aber zurücktreten hinter einer Geschichte, die spannend bleibt bis zu einem dramatischen Finale, an dessen Ende gleich zwei Frauen mit gebrochenen Herzen zurückbleiben.

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