Finale bei „Let’s Dance“ Die Selbstermächtigung der Anna Ermakova

Analyse | Düsseldorf · Anna Ermakova hat in der Tanzshow „Let’s Dance“ durch ihre Leistung überzeugt – und damit die Macht über ihr Bild in der deutschen Öffentlichkeit erobert. Das ist beeindruckend – und die ermutigende Geschichte einer jungen Frau, die von Geburt an zum Objekt gemacht wurde.

Let's Dance 2023 Finale Fotos: So tanzten die Promis - Anna Ermakova gewinnt
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So tanzten die Promis im „Let’s Dance“-Finale 2023

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Foto: dpa/Henning Kaiser

Am Ende war sie Alice im Wunderland, stieß die weiße Tür auf in ein fantastisches Reich, in dem das Undenkbare denkbar ist, und zeigte, was sie als Tänzerin kann. Und so gewann Anna Ermakova im Finale der RTL-Show „Let‘s Dance“ mit ihrem Profi-Tanzpartner Valentin Lusin die meisten Zuschauerstimmen. Knackte zugleich einen Rekord bei den Jury-Noten: Sie übertraf im Finale die Serie der zehn Bestbewertungen, die Ella Endlich vor Jahren erreicht hatte. Also ein Sieg nach Sympathiewerten und Fachurteil – das ist die Königsmischung im Show-Geschäft.

4,3 Millionen Zuschauer haben das gesehen. Auch zuvor haben Millionen eine junge Frau erlebt, die sich Folge umd Folge selbst behauptet. Die aus dem Bild hervortritt, das man sich in der Öffentlichkeit von ihr gemacht hat – von ihrer Geburt an. Diesmal war Ermakova aus London nach Deutschland gekommen, um freiwillig in die Öffentlichkeit zu treten und endlich als eigenständige Person mit ihren Fähigkeiten in Erscheinung zu treten. Und sie hat genau das getan. Sie hat durch ihre tänzerische Leistung und ihre gewinnende Art als Kandidatin in einer Talent-Show überzeugt.

Nicht als Tochter von. Vielmehr trotz ihrer Herkunft, denn die hat sie all die Jahre zum Objekt gemacht. Zum Gegenstand von Interesse, das abgelichtet und auf Ähnlichkeiten untersucht wurde. Wer da heranwuchs, was Boris Beckers Tochter konnte und wollte, kam nicht zur Sprache. Die heranwachsende Frau hatte keine Chance hinter dem Skandalösen, Kuriosen hervorzutreten. Und ihr Vater verbat sich die Fragen nach den Umständen seiner Vaterschaft nicht, sprach über pikante Details, nahm ihre Kompromitierung in Kauf.

Bisher hat Anna Ermakova Deutschland daher gemieden. Erst eine Talent-Show bot ihr die Chance, hinter dem grellen Bild hervorzutanzen und etwas von sich selbst zu zeigen. Das war Selbstermächtigung live auf einer Fernseh-Bühne. „Ich bin von England nach Deutschland gekommen, um zu tanzen. Ich hätte nie gedacht, dass ich hier mit so offenen Armen aufgenommen werde“, sagte Ermakova sichtlich gerührt in einem Sprachmix aus Deutsch und Englisch. Die größte Herausforderung sei für sie gewesen, sich auf dem Tanzparkett „emotional zu öffnen“. Sie hat also eine Kunstform genutzt, um sich gegenüber einem Publikum auszudrücken, das ihr gegenüber etwas gutzumachen hatte. Das den kalten Blick der Voyeure austauschen musste gegen den teilnehmenden eines Publikums. Das ist in einer kommerziellen Talente-Show geglückt, auch weil Ermakova sich nicht als „Tochter von...“ vermarkten lassen wollte. Keine rührenden Interviews mit dem reuigen Vater Boris Becker, keine schmalzigen Familienzusammenführungen. Stattdessen soll Ermakova in ihrem Vertrag mit RTL festgeschrieben haben, dass der Name Boris Becker während der Live-Shows nicht fällt. Ermakova kann nicht leugnen, woher sie kommt. Und natürlich hat es ihr erhöhte Aufmerksamkeit verschafft auch gegenüber den Tanzkonkurrenten. Und Aufmerksamkeit ist im Show-Geschäft per se ein Vorteil. Laut Medienberichten soll sie dafür auch eine hohe Gage herausverhandelt haben. Aber dann hat sie sich aufs Tanzen konzentriert. Und nur darum konnte sie die Siegerin Anna Ermakova werden, eine junge Frau, deren Namen man jetzt auch ohne Zusatz kennt.

Boris Becker hat indes viel versucht, um am Erfolg seiner Tochter teilzuhaben. Während Annas Mutter Angela Ermakova im Zuschauerraum mitfiebern konnte, blieben ihm nur Video-Botschaften in die Öffentlichkeit hinein: „Die Herzen der Deutschen hast du schon erobert – und zwar im Sturm. Dein Talent, deine Disziplin, deine Leistung und – noch mehr – deine Persönlichkeit sind hervorragend. Und ich könnte stolzer nicht sein“, verkündete er bei Instagram. Er freue sich schon, sie „abseits des Scheinwerferlichts bald wiederzusehen“. Auch spärliche Privataufnahmen mit Anna postete er im Vorfeld des Tanzfinales.

Doch zeigt das nur, dass Ermakova eben kein Paparazzi-Objekt mehr, sondern zu einer Persönlichkeit geworden ist, die nun von ihrem Vater umworben wird. Sie wird von jetzt an ihren eigenen Weg finden müssen im Umgang mit ihrer prominenten Familie. Aber sie kann es selbstbestimmt tun. Deutsch hat sie begonnen zu lernen, das deutet darauf hin, dass sie in der Becker-Heimat nicht nur tanzen will. Vielleicht wird sie jedoch auch schnell genug haben, von Auftritten in Deutschland. Denn im öffentlichen Geschäft schlägt den Außenseitern stets viel Wohlwollen entgegen, die schwierige Zeit beginnt nach dem Sieg. Wenn die Aufstiegsgeschichten erzählt sind. Wenn Anna Ermakova mehr sein muss als die junge Frau, die sich von ihrer Herkunftsgeschichte befreite.

Dieser Schritt aber ist ihr gelungen. Scheinbar spielend im Lindy Hop-, Tango- und Foxtrott-Takt. Spannend, wie es mit ihr weitergeht.

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